»Philippos!«
Abimilku versuchte, sich durch die Menschenmassen zu drängen und an seine Seite zu gelangen. »Philippos!« Der Kapitän schrie und ruderte mit den Armen, als säßen ihm die Erinnyen im Nacken. Der Grieche schaffte sich mit den Ellbogen Platz und arbeitete sich langsam in Richtung des Seemanns vorwärts.
Als Abimilku endlich vor ihm stand, war der Kapitän völlig außer Atem. »Betrug ...«, keuchte er. »Wir werden mißbraucht. Es ist ...«
Philippos blickte sich besorgt um. Es war nicht klug, hier, inmitten aufgebrachter, zu allem entschlossener Menschen, laut über Betrug und Verrat zu reden. So mochte schon vor der Zeit der Funken geschlagen werden, der jenen verheerenden Brand auslösen würde, der nicht anders als mit berstenden Stadtmauern und tausendfachem Tod enden konnte.
»Still«, zischte Philippos und versuchte, den Seemann aus der Masse herauszuzerren.
Doch Abimilku war wie von Sinnen. »Du hattest recht . «, stammelte er immer wieder. »Wir alle sind dem Untergang geweiht.«
Endlich erreichten die beiden einen Hauseingang, durch den sie auf einen verlassenen Hof gelangten.
»Was, bei Zeus, ist in dich gefahren?« Die Stimme des Griechen überschlug sich vor Zorn. Es war, als wolle sich seine ganze Wehrlosigkeit und Resignation nun an Abimilku entladen.
Philippos hatte den Kapitän bei seiner Tunica gepackt und schüttelte ihn wütend. »Wovon redest du, Mann?«
»Sie betrügen den Gott! Sie wollen im Namen Melkarts morden! Nicht der Herr des Lichtes und der Flammen wird Antonius richten, sondern ein Sterblicher, der sich anmaßt, im Namen des Gottes handeln zu dürfen. Mein Schwager hat es gesehen!«
»Was zum Henker hat er gesehen?«
»Er ist noch einmal an den Platz gegangen, an dem der Ägypter die Bogenschützen unterrichtet hat. Du kennst ihn doch, meinen Schwager? Den großen, bärtigen Mann aus meinem Boot. Er wollte sich noch einmal üben, bevor er seine Pfeile auf die Römer richtet. Als er den Platz erreichte, war dieser Hophra schon dort. Erst wollte mein Schwager ihn ansprechen, doch dann hat er beobachtet, was der Ägypter dort machte. Auch er übte sich im Schießen. Er hatte ganz eigenartige Geschosse. Sie hatten eine vierkantige Spitze, geschmiedet wie ein Nagel und so lang wie ein Finger. Die Schäfte waren aus geschwärztem Holz, und die Befiederung sah aus, als sei sie aus lauterem Gold. Hophra umwickelte die Pfeilspitzen mit ölgetränktem Tuch, hielt sie kurz in ein Feuer. Erst züngelten die Flammen nur träge, doch als er den Pfeil dann steil in den Himmel schoß, loderten sie auf, so daß es aussah, als zöge eine feurige Kugel durch das Firmament. Und da hat mein Schwager begriffen, was der ägyptische Söldner dort übte. Hophra will sich anmaßen, an Stelle des Gottes die Römer zu richten.
Wenn das Volk auf dem Tempelplatz sieht, wie sich eine solche Feuerkugel vom Himmel senkt und Marcus Antonius tötet, so wird jeder glauben, Melkart selbst habe den brennenden Pfeil vom Himmel geschickt. Wenn wir uns aber erheben, ohne wirklich ein Zeichen des Gottes erhalten zu haben, wird uns dann nicht das Schicksal widerfahren, das du mir so eindringlich geschildert hast? Wird nicht der Gott selbst sich gegen uns empören, weil wir seinen Namen verraten haben, indem wir ihn für gemeinen Mord mißbrauchten? Wird nicht .«
»Genug! Wann hat dein Schwager den Ägypter gesehen?«
»Es müssen mehr als drei Stunden seither vergangen sein. Er hat lange gebraucht, um mich zu finden. Er will jetzt die anderen Bogenschützen warnen, sich nicht an diesem schändlichen Betrug zu beteiligen. Wir müssen die anderen aufhalten!«
Philippos schüttelte den Kopf. »Wie willst du fünfhundert Schwertkämpfer aufhalten? Sie stehen hier um den Platz verteilt und warten auf das Zeichen, loszuschlagen. Wir müssen Hophra finden! Wenn er keine Gelegenheit hat, zu schießen, dann wird es vielleicht keinen Aufstand .«
In der Ferne erklangen Hörner. Philippos kannte das Signal aus seiner Zeit bei den Legionen. Es war der Gruß an einen Legaten oder Feldherren. Marcus Antonius mußte das Stadttor erreicht haben! Es galt, keine Zeit mehr zu verlieren!
»Wir müssen Hophra finden! Er muß auf einem der Dächer rund um den Tempelplatz stecken!« Ohne sich nach Abimilku umzusehen, stürmte Philippos durch das Tor auf den Platz zurück. Doch die Menschenmenge war noch dichter geworden.
Schreiend und rücksichtslos die Ellbogen benutzend, kämpfte er sich vorwärts. Den Kopf hatte er in den Nacken gelegt und blickte zu den Dächern empor. Er hoffte auf ein verräterisches Funkeln von Metall, in dem sich die Sonne spiegelte, oder ein Zeichen, das der Gott des Lichtes geben mochte, um den Frevel zu verhindern. Jemand versetzte Philippos einen Stoß.
Der Grieche ging in die Knie. Ein Tritt traf ihn in die Seite. Er durfte hier nicht zu Boden gehen! Verzweifelt versuchte er, sich aufzurappeln. Wenn er stürzte, dann würde er von den drängenden und schiebenden Massen zu Tode getrampelt werden.
Ein kräftiger Arm umschlang ihn von hinten. Er wurde hochgezogen. Abimilku! »Danke«, murmelte Philippos und rieb sich mit der Rechten über die schmerzenden Rippen.
»Siehst du das dort oben?« Der Seemann wies mit ausgestrecktem Arm zum Dach des Tempels empor. »Kannst du die dünne Rauchsäule erkennen? Dort muß er stecken!«
Philippos kniff die Augen zusammen und blickte in die Richtung, in die der Kapitän wies, doch konnte er nichts erkennen.
Eine Bö fegte über die Dächer der Stadt hinweg, und am Horizont türmten sich drohend dunkle Wolken. Hatte der Wind die Rauchsäule aufgelöst? Oder hatte Abimilku sich geirrt? Einen Augenblick lang zögerte Philippos. Wenn sie sich irrten, würde keine Zeit mehr bleiben, um auf eines der anderen Dächer zu gelangen. Doch welche Wahl hatte er schon . Er blickte zum Hauptportal des Tempels, wo sich die Hohepriester und die Würdenträger der Stadt versammelt hatten. Dort würde man sie niemals durchlassen.
»Gibt es noch einen anderen Eingang zum Tempel?«
Abimilku nickte. »Auf der Rückseite.«
»Dann laß uns nicht länger warten!«
Samu hatte darauf bestanden, Marcus Antonius mit in die Stadt zu begleiten. Zuerst war der Feldherr der Meinung gewesen, daß sie als Frau bei diesem gefährlichen Unternehmen fehl am Platz sei, doch schließlich vermochte sie ihn dadurch zu überzeugen, daß sie die einzige Ortskundige war.
Für den Fall, daß sie aus der Stadt fliehen mußten, wäre sie diejenige, die die Führung übernehmen würde.
Schon zwei Stunden vor Morgengrauen hatte man Samu geweckt und in das Zelt des Praefectus equitum gebracht.
Dort hatte sie einen groben Plan der Stadt in den Sand gezeichnet. Marcus Antonius wollte vor allem wissen, wie weit der sidonische Hafen vom Tempelplatz entfernt war und welche Fluchtwege man zum Hafen einschlagen konnte. Danach hatte er dafür gesorgt, daß man Samu ein parthisches Reiterkostüm brachte.
Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß die Priesterin Hosen hatte anziehen müssen. Obwohl dieses Kleidungsstück zum Reiten unbestreitbar praktischer war als ein Rock, fühlte sie sich darin unwohl, ja fast schon eingesperrt. Die Beine der Hose waren weit geschnitten und mit stilisierten Rosenblüten bestickt. Als Oberteil trug sie eine kurze Reittunica mit langen Ärmeln. Dazu trug sie eine skythische Mütze, die ihr langes Haar verbarg. So maskiert, konnte man sie auf ein paar Schritt Entfernung durchaus für einen zart gebauten Knaben halten.
Mit Sonnenaufgang war der kleine Reitertrupp aufgebrochen.
Im Gefolge des Praefectus equitum befanden sich lediglich drei Tribunen und zehn gallische Reiter, die von einem Decurio kommandiert wurden. Die großen, blonden Krieger stellten durchaus eine eindrucksvolle Leibwache dar, doch was vermochten sie schon gegen eine ganze Stadt auszurichten? In den frühen Morgenstunden waren sie im scharfen Galopp am Strand entlanggeritten. Während der fünften Tagesstunde machten sie, schon in Sichtweite von Tyros, eine Rast und setzten dann in gemächlichem Tempo ihren Weg zur Hafenstadt fort. Vor den Toren wurden sie von einer kleinen Abteilung Fußsoldaten empfangen. Auch der Kommandant der Garnison von Tyros war anwesend und warnte Marcus Antonius noch einmal eindringlich vor der Unruhe, die unter den Bürgern herrschte. Doch der Feldherr ließ sich nicht beirren.
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