»Aber wenn es stimmt, was du sagst, dann deutest du doch an, hier sei ein heidnisches Opfer vollzogen worden und die Verehrung des Idols Cromm gebe es noch.«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»Tigernmas soll der sechsundzwanzigste König nach der Ankunft der Söhne von Mile, die die Kinder Gaels nach Eireann führten, gewesen sein. Er herrschte tausend Jahre vor dem Kommen Christi in diese Welt. Wegen seiner üblen Handlungsweise wandten sich selbst die Druiden gegen ihn. Es wäre unlogisch, anzunehmen, die Verehrung von Cromm existiere noch weiter.«
Eadulf verzog den Mund.
»Doch irgendein Teufelswerk ist hier im Gange.«
»Damit hast du recht. Ich erwähnte die Zahl der Leichen - im ganzen dreiunddreißig .«
»Und du meintest, diese Zahl habe ihre Bedeutung ...«, warf Eadulf rasch ein.
»Als die bösen Götter der Fomorii gestürzt wurden, hieß es, sie seien von zweiunddreißig Fürsten und dazu von ihrem Großkönig befehligt worden. Der große Held Cüchulainn aus Ulaidh erschlug dreiunddreißig Krieger im Schloß einer bösen Fee. Als die Desi von Cormac Mac Art aus Irland vertrieben wurden, mußten sie dreiunddreißig Jahre wandern, ehe sie sich niederlassen konnten. Dreiunddreißig Helden einschließlich des Königs starben in Bricrius Halle . Soll ich noch mehr aufzählen?«
Eadulf staunte.
»Meinst du, daß die Zahl dreiunddreißig in den heidnischen Traditionen deines Volkes eine besondere Bedeutung hat?«
»Ja. Was wir hier sehen, ist ein altes Ritual. Der Dreifache Tod, die Anordnung der Leichen im Kreis nach dem Sonnenlauf und die Zahl der Leichen zeugen davon. Aber die Bedeutung des Rituals müssen wir erst noch ergründen. Eine andere wichtige Tatsache hast du auch nicht erwähnt.«
Eadulf sah sich im Kreis um.
»Was meinst du?« fragte er unsicher.
»Sieh dir den da an und sag mir, was du findest«, antwortete sie und wies mit der Hand auf einen bestimmten Leichnam.
Angewidert stieg Eadulf über die Toten und schaute hinunter. Er schluckte und bekreuzigte sich.
»Ein Bruder«, flüsterte er. »Ein Glaubensbruder. Er trägt die Tonsur des heiligen Johannes.«
»Im Unterschied zu den anderen hat er Schnitt-und Rißwunden an den Beinen, den Armen und im Gesicht.«
»Heißt das, daß er gefoltert wurde?«
»Wahrscheinlich nicht. Es sieht eher so aus, als sei er durch Dorngestrüpp gelaufen und habe sich dabei die Wunden zugezogen.«
»Doch dieser Bruder in Christus wurde rituell hingeschlachtet.« Eadulf war entsetzt. »Sein geistliches Gewand hat ihn nicht vor diesem schlimmen Tod bewahrt. Du hast schon gesagt, was das bedeutet.«
Fidelma sah ihn einen Moment unsicher an.
»So?«
»Es ist offenkundig.«
»Wenn das so ist, dann sag’s mir.«
»Wir wollen in dieses Verbotene Tal, wo ein heidnischer Fürst regiert, der nach deinen eigenen Worten der Wahrheit der Lehre Christi Widerstand entgegensetzt. Du zitierst doch gern lateinische Sprichwörter, Fidelma. Ich nenne dir eins: Cuius regio, eius religio.«
Zum erstenmal, seit sie diesen schrecklichen Anblick vor sich hatten, umspielte Fidelmas Mund ein Lächeln bei Eadulfs Worten.
»Der Herrscher eines Landes bestimmt seine Religion«, übersetzte sie.
»Fürst Laisre ist Heide«, fuhr Eadulf eilig fort. »Und ist dies hier nicht eine heidnische Symbolik, die uns einschüchtern und abschrecken soll?«
»Abschrecken wovon?« wollte Fidelma wissen.
»Nun, davon, daß wir nach Gleann Geis gehen, um über die Gründung einer christlichen Kirche und Schule dort zu verhandeln. Ich denke, daß es als eine Beleidigung deines Bruders als König und des Bischofs Segdae als Bischof von Imleach gemeint ist. Wir sollten diesen Ort sofort verlassen. Uns umdrehen und in ein christliches Land zurückkehren.«
»Unseren Auftrag vergessen?« fragte Fidelma. »Meinst du das wirklich? Von hier fliehen?«
»Um später mit einem Heer zurückzukommen und diesen Heiden, die uns absichtlich beleidigt haben, die Furcht Gottes einzubleuen. Ja, das sollten wir tun. Ich würde mit einer Streitmacht wieder herkommen und dieses Nest heidnischer Schlangen vom Erdboden vertilgen.«
Wenn man hier neben den Leichen stand, konnte man leicht in Erregung geraten. So erging es Eadulf, dessen Gesicht sich vor Zorn rötete.
Fidelma beruhigte ihn.
»Mein erster Gedanke, Eadulf, war der, dem du eben so beredten Ausdruck verliehen hast. Es ist ein naheliegender Gedanke, eine naheliegende Reaktion. Wenn dieser Anblick für unsere Augen bestimmt ist, dann liegt er vielleicht zu nahe. Denk an die Schatten, die helle Laternen werfen.«
Eadulf wurde trotz seiner Furcht und seines Zorn ruhiger, als er versuchte, den Sinn ihrer Worte zu ergründen.
»Was meinst du damit?«
»Es war ein Spruch meines Lehrers, des Brehon Morann von Tara. Die naheliegenden Dinge sind oft Täuschungen, und die Wirklichkeit liegt hinter ihnen verborgen.«
Sie kniff die Augen zusammen und spähte nach einem Gegenstand, der ein Stück weit entfernt am Boden lag.
»Was ist das?« fragte Eadulf, der sich, ihrem Blick folgend, rasch umgewandt hatte, weil er eine neue Gefahr vermutete.
Die Sonnenstrahlen waren auf etwas gefallen, was mehrere Meter entfernt im Ginster lag, und wurden von ihm zurückgeworfen.
Wortlos ging Fidelma durch das Gestrüpp, bückte sich und kam mit dem Gegenstand zurück.
Eadulf hörte, wie sie tief Luft holte.
Rasch trat er zu ihr und betrachtete das Stück.
»Der Halsring eines Kriegers«, stellte sie fest. Auch Eadulf erkannte den goldenen Halsreif, der einst vielfach von den Elitekriegern der Iren und Briten und ganz früher auch der Gallier getragen wurde. Er hatte einen Durchmesser von etwa zwanzig Zentimetern und bestand aus acht verflochtenen Drähten, die in gegossene Endstücke eingelötet waren. Er war mit komplizierter Perlverzierung, gegossenen Erhebungen und winzigen gepunzten Vertiefungen in konzentrischen Ringen geschmückt. Das Material war poliertes Gold und noch so blank, daß das Stück nicht lange dort gelegen haben konnte.
Fidelma untersuchte die Verzierungen genau und reichte dann Eadulf den Reif.
Er fand ihn überraschend leicht, denn er hatte zuerst geglaubt, er sei aus massivem Gold. Doch die Endstücke waren hohl, und die geflochtenen Drähte wogen nicht viel.
»Gibt es da eine Beziehung?« erkundigte er sich und wies mit dem Kopf auf die Leichen.
»Vielleicht, aber vielleicht auch nicht.«
Fidelma nahm den Reif zurück und steckte ihn vorsichtig in ihr marsupium, den Tragebeutel an ihrem Gürtel.
»Ob oder ob nicht, eins ist klar. Dieser Ring hat nicht lange hier gelegen, dafür ist er zu blank. Und zweitens, er gehörte einem Krieger von höherem Rang.«
»Einem Krieger von Muman?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Es gibt feine Unterschiede in den Verzierungen, die die Künstler von Muman oder die anderer Königreiche anbringen«, erläuterte sie. »Ich würde sagen, dieser Reif wurde in Ulaidh irgendwo im Norden hergestellt.«
Sie wollte sich schon abwenden, als etwas anderes ihre Aufmerksamkeit erregte. Ein Schatten finsterer Befriedigung glitt über ihr Gesicht.
»Hier ist der Beweis für deine Behauptung, Ea-dulf«, sagte sie und zeigte auf einen Flecken Erde.
Eadulf sah ihn sich genauer an. Es war eine morastige Stelle in dem sonst steinigen Boden, auf dem der Ginster ungleich wuchs. Er bemerkte, daß sie von Wagenspuren durchzogen war.
»Das beweist, daß die Leichen auf Wagen hergebracht wurden. Siehst du die tieferen Furchen? Und die anderen, weniger tiefen? Die tieferen stammen von den beladenen Wagen und die flacheren von den entladenen.«
Sie betrachtete die Spuren und folgte ihnen ein kurzes Stück. Widerstrebend blieb sie stehen.
»Wir können sie jetzt nicht weiter verfolgen. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, nach Gleann Geis zu reisen.« Sie starrte in die Richtung, in die die Spuren führten. »Sie scheinen aus dem Norden zu kommen, sind aber auf dem steinigen Boden schwer auszumachen. Ich denke, die Wagen kamen über jene Berg e.«
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