»Aber zuvor müssen wir noch zwölf Stunden überleben«, erklärte Eadulf.
»Wir?« fragte Fidelma lächelnd. »Ich habe doch vorgeschlagen, daß du bei Ibor bleibst.«
»Du denkst doch nicht etwa, daß ich dich allein zurückkehren lasse?« fragte Eadulf gereizt.
»Das erwarte ich nicht von dir, Eadulf. Es geht nicht um dein Land.«
»Der Kampf zwischen Cashel und den Ui Fidgente ging mich auch nichts an, aber ich habe mich eingemischt und ihn zu meiner Sache gemacht«, sagte er bestimmt. »Was Cashel bedroht, ist immer auch meine Sache.«
Den letzten Satz sprach er mit einer gewissen Betonung.
Fidelma tat so, als habe sie nicht verstanden, diskutierte aber nicht weiter mit ihm.
»Dann sehen wir dich also morgen früh, Ibor. Wir verlassen uns auf dich.«
Ibor geleitete sie zu der kleinen Schlucht, wo sein rothaariger Unterführer sie, jetzt in sehr respektvoller Haltung, mit ihren Pferden erwartete. Sie verabschiedeten sich kurz, und dann führte sie der rothaarige Krieger aus den Vorbergen heraus bis an den Rand des Tals. Fidelma erlaubte ihm nicht, sie noch weiter zu begleiten, für den Fall, daß sie auf ihrem Rückweg jemandem aus Gleann Geis begegneten. Fidelma und Eadulf ritten weiter nach Süden und hielten sich längs der Vorberge, so daß sie das Tal nicht durchquerten.
»Meinst du wirklich, du kannst beweisen, daß Orla an Solins Tod die Schuld trägt?« brach Eadulf nach einer Weile das Schweigen.
»Ich muß noch eine Frage klären, dann kann ich mit Sicherheit eine Hypothese aufstellen«, erwiderte sie ruhig.
Eadulfs Mundwinkel zogen sich zweifelnd herab.
»Eine Hypothese ist vor einem Richter kein Argument«, antwortete er.
»Stimmt, aber mehr werde ich nicht zu bieten haben«, gab sie zu. »Ich denke, das wird genügen, um die zu mobilisieren, die uns gegen Mael Düin von Ai-lech unterstützen werden.«
»Worin besteht deine Hypothese?«
»Das kann ich noch nicht sagen, bevor ich nicht das letzte Kettenglied gefunden habe, und das beunruhigt mich im Augenblick. Wenn es nicht in die Lücke paßt, bricht meine ganze Beweisführung zusammen.«
Sie waren gerade um einen kleinen Hügel herumgeritten, als plötzlich eine Reiterschar von zwei Seiten auf sie losstürmte. Die Männer schrien und schwenkten drohend ihre Schwerter.
Fidelma riß ihr Pferd herum, aber sie waren umzingelt und waffenlos. Eadulfs Pferd bäumte sich auf und schlug mit den Vorderhufen um sich. Er hatte Mühe, sich im Sattel zu halten, doch es gelang ihm, und er bekam das Pferd unter Kontrolle.
Eadulf vergaß seinen geistlichen Stand und fluchte leise vor sich hin. Zum zweitenmal an diesem Tag wurden sie gefangengenommen.
Die Krieger hatten ihre Schwerter kampfbereit auf den Sattelbug gelegt. Fidelma erschauerte. Das waren nicht Ibors Männer.
»Wartet!« rief eine vertraute Frauenstimme.
Der Ring der Männer öffnete sich und ließ eine Reiterin hindurch. Die schlanke Person war offensichtlich ihre Anführerin. Sie nahm den Kriegshelm ab und schaute sie finster an.
»Wir dachten, du hättest auf unsere Gastfreundschaft verzichtet, Fidelma von Cashel.«
Es war Orla. Ihre Miene verriet Befriedigung.
»Wie du siehst«, erwiderte Fidelma ruhig und ignorierte die drohende Haltung der Krieger, »wie du siehst, sind wir auf dem Rückweg nach Gleann Geis. Wir nehmen eure Gastfreundschaft weiter in Anspruch.«
Es war offenkundig, daß sie damit die Wahrheit sagte, denn sie befanden sich kaum eine halbe Meile vor dem Eingang in die Schlucht und waren eindeutig darauf zu geritten. Orla schien einen Moment verwirrt, als ihr das aufging. Dann verdüsterte sich ihre Miene wieder.
»Du wirst keine Ruhe vor mir haben, Fidelma, bis du deine Anschuldigung gegen mich zurückgenommen hast.« Ihre Stimme klang kühl und brüchig vor Zorn. »Warum seid ihr fortgeritten?«
»Ich dachte, Murgal hätte dir den Grund dafür erläutert«, bemerkte Fidelma ungerührt.
»Murgal? Was hat der damit zu tun?« fragte Orla.
»Murgal ist ein Brehon. Er muß wissen, was mich dazu zwang, Gleann Geis zu verlassen.«
»Nun, da Murgal nicht hier ist, würdest du es mir vielleicht erklären? Oder noch besser dein angelsächsischer Freund? Dann kann ich sicher sein, daß ich die Wahrheit erfahre.«
Fidelma schaute Eadulf besorgt an und hoffte, er würde verstehen, was sie meinte, oder wenigstens Ibor und seine Männer nicht erwähnen.
»Das ist leicht zu machen«, meinte Eadulf gelassen. »Wir sind hierher geritten, um nach den Überresten der getöteten Männer zu sehen und die Spuren zu verfolgen, die vom Ort des Massakers wegführen, um festzustellen, ob wir noch etwas entdecken könnten, was Colla entgangen ist.«
»Ich wußte, daß ihr dem Bericht meines Mannes nicht glauben würdet«, fauchte Orla.
»Es ist nicht eine Frage von Glauben oder Nichtglauben. Dein Mann ist kein ausgebildeter dalaigh bei Gericht, Lady«, erklärte ihr Eadulf. »Er wußte vielleicht nicht, wonach er suchen mußte. Es ist immer nötig, etwas mit eigenen Augen zu sehen.«
Orla versuchte ihre Wut zu beherrschen.
»Das ist nicht der Grund. Ich weiß, ihr beide wollt meinen Mann und mich vernichten. Warum, das weiß ich nicht.«
Fidelma schaute sie traurig an.
»Wenn du nichts Unrechtes getan hast, dann hast du auch nichts zu befürchten. Doch es ist so, wie Ea-dulf sagte. Es gibt keine bessere Art, den Schauplatz eines Verbrechens zu untersuchen, als ihn selbst in Augenschein zu nehmen.«
Orla glaubte ihnen immer noch nicht.
»Und warum sollte Murgal wissen, wo ihr wart? Ihr habt es ihm nicht gesagt. Er war ebenso erstaunt wie wir, daß ihr euch aus dem rath entfernt habt.«
»Er hätte es sich aber denken können.« Eadulf beugte sich vertraulich im Sattel vor. »Verstehst du, als Brehon hätte er wissen müssen, daß eine dalaigh Laisres Verbot nicht akzeptieren konnte. Eine dalaigh mußte sich selbst von der Beweislage überzeugen.«
Orla schien einen Moment verwirrt.
»Ihr habt also die Spuren verfolgt?« Sie schaute Fidelmafragend an. War Furcht in ihren Augen zu lesen? »Was habt ihr gefunden, was Colla entgangen ist?«
Fidelma meinte, sie sollte dem Gespräch eine andere Richtung geben.
»Es war genau so, wie dein Mann es berichtet hat«, erwiderte sie harmlos. »Die Spuren verschwanden irgendwann, und weiter haben wir nichts gefunden.«
Orla warf ihr einen forschenden Blick zu, dann seufzte sie.
»Dann war euer Ausritt hierher reine Zeitverschwendung?« meinte sie verächtlich.
»Ja, es war reine Zeitverschwendung«, bestätigte ihr Fidelma.
»Dann habt ihr sicher nichts dagegen, daß meine Krieger und ich euch zum rath von Gleann Geis zurückgeleiten?«
Fidelma zuckte die Achseln.
»Ob ihr uns zurückgeleitet oder nicht, das ist uns gleich, denn wir wollen sowieso dorthin.«
Orla machte den Kriegern ein Zeichen, worauf sie ihre Schwerter einsteckten und ihre Pferde umwandten, so daß Fidelma und Eadulf den Kreis verlassen konnten. Orla lenkte ihr Pferd neben das Fidelmas, und sie ritten voran, gefolgt von Eadulf und der Kolonne der Krieger.
»Wir haben dir mitgeteilt, was unsere Nachforschungen erbracht haben«, bemerkte Fidelma. »Dafür könntest du uns sagen, was Murgals Untersuchung des Mordes an Bruder Dianach ergeben hat. Ist Artgal gefunden worden?«
Einen Moment schien es, als wolle ihr Orla nicht antworten, doch dann zuckte sie gleichmütig die Achseln.
»Murgal hat den Fall bereits gelöst. Diesmal kannst du zumindest nicht behaupten, du hättest mich in der Nähe der Leiche gesehen.«
Fidelma beschloß, den Hieb zu ignorieren. Sie wollte doch erfahren, was Murgal ermittelt hatte.
»Wer war denn nun der Schuldige?« fragte sie.
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