»Was nun den Zweck unserer Verhandlungen angeht ...«, begann Laisre.
»So wie ich ihn verstehe«, schaltete sich Fidelma ein, »besteht er darin, Übereinstimmung darüber zu erzielen, daß der Abt-Bischof von Imleach hier in Gleann Geis eine Kirche unseres Glaubens sowie eine Schule errichten kann. Sehe ich das richtig?«
Einen Moment schien diese knappe Zusammenfassung Laisre zu verwirren.
»Das stimmt«, gab er dann zu.
»Und welche Gegenleistung erwartest du von Im-leach?« fragte Fidelma.
»Wieso nimmst du an, daß wir irgend etwas von Imleach erwarten?« erkundigte sich Murgal mißtrauisch.
Fidelma lächelte ihn mit einer Miene an, die wenig Belustigung verriet.
»Schon das Wort, mit dem wir unser Vorhaben beschreiben - Verhandlung -, läßt mich das annehmen. Verhandlung schließt einen Handel ein. Ein Handel bedeutet, zu einer Übereinkunft zu kommen, die einen Kompromiß darstellt. Oder irre ich mich?«
»Du irrst dich nicht, Fidelma«, antwortete Laisre. »Der Handel ist ganz einfach: Als Gegenleistung für die Erlaubnis, hier in Gleann Geis eine Kirche zu bauen und Kinder zu unterrichten, erwarten wir die Zusicherung, daß das religiöse Leben in Gleann Geis nicht gestört wird, daß wir nicht daran gehindert werden, dem Glauben unserer Vorväter zu folgen und an unseren alten Überzeugungen festzuhalten.«
»Ich verstehe.« Mit leichtem Stirnrunzeln überdachte Fidelma den Vorschlag. »Doch weshalb sollen wir eine Kirche und eine Schule bauen, wenn uns nicht gestattet wird, Menschen zu unserem Glauben zu bekehren? Wozu überhaupt eine Kirche und eine Schule, wenn niemand sie betreten darf?«
Laisre wechselte einen Blick mit Murgal und schien seine Worte sorgfältig abzuwägen.
»Tatsache ist, Fidelma von Cashel, daß es bereits eine christliche Gemeinde hier in Gleann Geis gibt.«
Fidelma bemühte sich, ihre Überraschung nicht zu zeigen.
»Das verstehe ich nicht. Ich habe immer gehört, Gleann Geis sei eine Bastion des alten Glaubens und der alten Sitten. Ist das nicht richtig?«
»Das ist richtig«, warf Murgal mit brüchiger Stimme ein, »und so sollte es auch bleiben.«
»Das ist eine falsche Einstellung«, wies ihn Laisre zurecht. »Die Zeiten haben sich geändert, und wir müssen mit ihnen gehen, oder wir gehen unter.«
Fidelma betrachtete ihn mit Interesse. Sie fragte sich, ob sie den Fürsten nicht unterschätzt hätte. Es war klar, daß manchen seiner Leute sein Kontakt mit dem Bischof von Imleach mißfiel, doch jetzt bewies er seine Fähigkeiten als ein kraftvoller Führer seines Volkes.
Mit einem lauten Zischen bekundete Murgal seine Verärgerung.
Es trat ein unbehagliches Schweigen ein, bevor Laisre fortfuhr.
»Im Laufe der Jahre sind unsere Männer und Frauen Ehen mit Mitgliedern anderer Clans eingegangen, und auf diese Weise haben wir unsere Kraft als Volk bewahrt. Wir haben den alten Gesetzen gegen Inzest gehorcht und sind stark und gesund geblieben. Doch die Ehefrauen und Ehemänner, die so zu uns gekommen sind, gehörten oft der neuen Religion an. Sie haben den neuen Glauben nach Gleann Geis mitgebracht, und viele haben auch ihre Kinder darin erzogen. Diese Gemeinschaft ist nun so angewachsen, daß sie eine Kirche und einen Priester des Glaubens für ihre geistlichen Bedürfnisse fordern und eine Schule, in der sie im Glauben unterwiesen werden.«
Colla murmelte etwas Unverständliches.
Laisre ging nicht auf ihn ein. Er wandte sich direkt an Fidelma.
»Einige von uns erkennen den unvermeidlichen Sieg eures Glaubens an. In den letzten beiden Jahrhunderten haben sich die fünf Königreiche verändert, ob manchen von uns das gefällt oder nicht.«
»Ein Grundgesetz unseres Glaubens besagt, daß niemand uns vorschreibt, welche Götter oder Göttinnen wir verehren«, schaltete sich Murgal ein. »Seit der Zeit, als die Anhänger des neuen Glaubens unsere Könige davon abspenstig machten, wird uns befohlen, zu welchen Göttern wir zu beten haben. Es heißt, wir dürfen nur zu dreien beten .«
»Es gibt nur einen Gott!« platzte Eadulf heraus, der sich dem Gespräch nicht mehr fernhalten konnte.
»Einer?« höhnte Murgal. »Kennst du deinen eigenen Glauben nicht? Es sind drei, die ihr die heilige Dreieinigkeit nennt. Und betet ihr nicht auch zu einer Göttin, der Mutter eures Christus?«
Fidelma schüttelte den Kopf.
»So sehen wir, die Vertreter des Glaubens, die Sache nicht, Murgal«, wandte sie höflich ein. Dann sagte sie zu Laisre: »Aber hier ist sicherlich nicht der Ort, theologische Fragen zu erörtern, und zu diesem Zweck bin ich auch nicht nach Gleann Geis gekommen.«
Der Fürst senkte einen Moment nachdenklich den Kopf, dann nickte er.
»Über die Freiheit des einzelnen und die Freiheit der Religion können wir zu anderer Zeit einmal reden«, fügte Fidelma hinzu.
»Dann denke daran«, mahnte Murgal, »wenn du von Freiheit sprichst, daß unsere Religion mit dem Boden dieser Gegend verbunden ist; es ist die Religion unserer Vorfahren seit unzähligen Generationen, zurück bis in die Dunkelheit der Vorgeschichte. Bedenke, daß es schwer ist, etwas völlig aus dem Boden auszurotten, auf dem es gewachsen ist, aus dem es sich gespeist und auf dem es Frucht getragen hat. Denke daran, daß Freiheit von der Bindung an den Boden keine Freiheit für den Baum bedeutet.«
Fidelma wurde klar, daß Murgal kein blind ergebener Vertreter des sterbenden Glaubens war, sondern ein in geistigen Dingen tief nachdenkender Mann. Fidelmabegriff, daß sie in ihm einen nicht zu unterschätzenden Gegner hatte.
»Ich werde an das denken, was du sagst, Murgal«, versprach sie ihm. »Doch unsere unmittelbare Aufgabe besteht darin, zu einer Übereinkunft zu gelangen, das heißt, wenn ihr wirklich eine Kirche und eine Schule in diesem Tal haben wollt. Ich hatte den Eindruck, daß euer Rat dem bereits zugestimmt hätte, denn ich bin nicht hergekommen, um nur über theologische Fragen zu debattieren.«
Laisre errötete leicht.
»Ich habe dich hierher eingeladen, Fidelma, weil es mein Wunsch ist, daß mein Volk diese Dinge erhält, damit alle seine religiösen Bedürfnisse befriedigt werden können. Während einige Mitglieder meines Rates sich unweigerlich gegen Veränderungen stemmen, muß ich mich vom größeren Wohlergehen des größeren Teils meines Volkes leiten lassen.«
»Dann bin ich bereit, diese praktischen Fragen zu besprechen.«
Laisre stand unvermittelt auf.
»Ich habe beschlossen, daß die erste Sitzung unserer Verhandlungen morgen früh mit einem Hornsignal eröffnet wird. Wir treffen uns hier im Ratssaal und erörtern die anstehenden Fragen. Doch für heute abend habe ich ein Festmahl und eine Feier vorgesehen, um euch in unserem Tal willkommen zu heißen. Das Horn wird euch zu diesem Fest in den Ratssaal rufen.«
Es hatte Fidelma überrascht, daß sie nicht zu einem persönlichen Gespräch mit Laisre geladen wurde, um die eigenen Ansichten des Fürsten kennenzulernen. Es waren noch mehrere Stunden bis zum Beginn des abendlichen Fests, und Fidelma meinte, man hätte sie nutzbringend zu Vorgesprächen über die beiderseitige Haltung verwenden können. Anscheinend waren die Führer des Clans in dieser Sache gespalten. Man hatte ihr höflich bedeutet, daß weder Laisre noch Colla zu Vorgesprächen zur Verfügung standen. Deshalb fanden sie und Eadulf sich selbst überlassen und freundlich ignoriert, denn alle Bewohner des rath einschließlich Bruder Solin und seines jungen Schreibers schienen verschwunden.
Es war Fidelma, die vorschlug, sie könnten sich zweckmäßigerweise die Burg und ihr Gelände ansehen. So beschlossen sie also, eine Runde um die Befestigungen des rath zu machen, auf dem hölzernen Umgang an der Innenseite der Granitmauern. Sollte die Burg jemals angegriffen werden, konnten Krieger hier Verteidigungspositionen beziehen und mit ihren Bogen das Vorland beherrschen.
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