»Was hat das zu bedeuten, Colgü?« fragte er und blickte den König von Muman an.
Colgü musterte die Leiche. Fidelma und Eadulf standen bei ihm. Keiner von ihnen kannte den Toten, doch es war klar, welchen Grund die Aufregung hatte.
Der Mann trug den Halsring des Ordens der Goldenen Kette, der Leibgarde der Könige von Cashel.
Mit vor Erregung rauher Stimme rief Donennach: »Das ist eine merkwürdige Gastfreundschaft, die du mir entgegenbringst, Colgü von Cashel. Deine Elitekrieger haben auf mich geschossen. Sie wollten mich töten!«
Langes Schweigen trat ein, nachdem der Fürst der Ui Fidgente diese Anschuldigung erhoben hatte.
Es war Fidelma, die schließlich die bedrohliche Stille brach, indem sie mit dem Kopf auf ihren Bruder wies, der mühsam seine Schmerzen zu verbergen versuchte.
»Colgüs Krieger haben nicht nur auf dich geschossen und dich zu töten versucht, Donennach, sondern sie versuchten auch, den König von Cashel niederzuschießen.«
Donennachs dunkle Augen sahen sie forschend an.
Es war sein Leibwächter Gionga, der seine stumme Frage aussprach.
»Wer bist du, Frau, daß du in Gegenwart von Fürsten zu sprechen wagst?« Sein Ton war immer noch arrogant.
Colgü antwortete mit ruhiger Stimme: »Das ist meine Schwester Fidelma, die spricht, und sie hat ein größeres Recht dazu als jeder andere hier, denn sie ist eine dalaigh bei Gericht und zugleich eine Nonne. Sie besitzt den Grad eines anruth .«
Giongas Augen weiteten sich sichtlich, denn er wußte, daß nur der Rang eines ollamh, der höchste Grad, den die weltlichen und kirchlichen Hochschulen Irlands zu vergeben hatten, höher war als der eines anruth.
Donennach war offenbar nicht so beeindruckt. Seine Augen verengten sich leicht.
»Ach so? Du bist Fidelma von Cashel? Schwester Fidelma? Man kennt dich im Land der Ui Fidgente.«
Fidelma begegnete seinem forschenden Blick mit einem düsteren Lächeln.
»Ja, ich war schon dort - einmal. Ich wurde gerufen, um einen Giftmord zu untersuchen.«
Sie ließ sich nicht weiter darüber aus, denn sie wußte, daß Donennach die Einzelheiten der Geschichte bekannt waren.
»Meine Schwester hat recht«, schaltete sich Colgü ein und kam auf den Ausgangspunkt zurück. »Jeder Vorwurf, ich hätte bei dieser bösen Tat die Hand im Spiel gehabt, ist falsch!«
Eadulf beschloß, sich erneut einzumischen, denn er fand die Verwundungen beider Männer beunruhigend.
»Jetzt ist nicht die Zeit, darüber zu reden. Ihr beide müßt eure Wunden richtig versorgen lassen. Sie können sonst gefährlich werden. Verschieben wir die Diskussion auf eine passendere Zeit.«
Ein Schmerz durchzuckte Colgüs Arm, und er biß sich auf die Lippen. »Einverstanden, Donennach?« fragte er.
»Einverstanden.«
»Ich nehme die Sache in die Hand, Bruder«, erklärte Fidelma, »während Eadulf sich um euch kümmert.«
Gionga trat mit verärgertem Gesicht vor, doch bevor er noch etwas sagen konnte, hob Donennach die Hand.
»Du bleibst bei Schwester Fidelma, Gionga«, wies er ihn leise an, »und hilfst ihr dabei.«
Das Wort »hilfst« schien er unnötig zu betonen. Gionga neigte den Kopf und trat zurück.
Die Träger hoben die Trage mit dem Fürsten der Ui Fidgente auf und folgten Colgü, der mit der Hilfe von Donndubhain den steilen Weg zum Königspalast in Angriff nahm. Eadulf blieb besorgt an seiner Seite.
Fidelma stand einen Moment mit sittsam gefalteten Händen da. In ihren hellen Augen funkelte ein Feuer, das allen, die sie kannten, verriet, daß sie in einer gefährlichen Stimmung war. Äußerlich war ihre Miene gelassen.
»Nun, Gionga?« fragte sie ruhig.
Gionga trat von einem Fuß auf den anderen, er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut. »Nun?« fragte er zurück.
»Lassen wir die Leichen der beiden Männer zu unserem Apotheker bringen? Wir können sie später untersuchen, und zwar unter besseren Bedingungen.«
»Warum untersuchen wir sie nicht gleich?« fragte der Krieger der Ui Fidgente etwas widerborstig, doch er kannte nun ihren Rang und hatte anscheinend begriffen, daß er seine Arroganz zügeln mußte.
»Weil du mir erst zeigen sollst, wo und wie ihr die Attentäter gestellt habt und warum ihr sie töten mußtet, anstatt sie gefangenzunehmen. Wir hätten sie über ihre Absichten verhören können.«
Ihr Ton war ruhig und ohne jeden Vorwurf, doch Giongas Gesicht rötete sich, und er schien sich weigern zu wollen. Aber dann zuckte er die Achseln und winkte zwei seiner Männer heran.
Mit einem lauten Ruf und besorgter Miene kam Donndubhain den Berg heruntergeeilt.
»Colgü meinte, hier könnte ich mich eher nützlich machen«, erklärte er. Er wollte offenbar andeuten, daß Colgü seine Schwester nicht gern allein bei den Kriegern der Ui Fidgente zurückließ. »Capa und Eadulf kümmern sich um ihn.«
Fidelma lächelte dankbar. »Ausgezeichnet. Giongas Männer schaffen die beiden Leichen zu Conchobar. Hast du jemanden, der ihnen den Weg zeigt?«
Donndubhain rief einen vorbeikommenden Krieger heran.
»Bring die Männer der Ui Fidgente mit den Leichen zu ...« Fragend zog er die Brauen hoch.
»Zu der Apotheke von Bruder Conchobar. Sag ihm, er soll meine Anordnungen abwarten. Ich möchte die Leichen selbst untersuchen.«
Der Krieger grüßte und winkte den beiden Kriegern der Ui Fidgente, ihm mit den Leichen zu folgen.
»Fangen wir an der Stelle an, wo Colgü und Do-nennach getroffen wurden«, verkündete Fidelma.
Gionga und Donndubhain begleiteten Fidelma schweigend zurück zum Marktplatz. Die Bürger von Cashel hatten sich noch nicht entfernt, sondern standen in Gruppen zusammen und unterhielten sich flüsternd. Manche warfen verstohlene Blicke auf den Krieger der Ui Fidgente. Fidelma spürte die Abneigung in ihren Mienen. Generationenlange Kriege und Überfälle ließen sich nicht so schnell aus dem Gedächtnis tilgen, wie sie zunächst gedacht hatte.
Sie erreichten die Stelle, an der die Pfeile Colgü und Donennach getroffen hatten. Gionga wies quer über den Platz auf eine Gruppe von Gebäuden auf der anderen Seite.
»Als der erste Pfeil traf, schaute ich mich um, woher er gekommen war. Ich sah einen Mann auf dem Dach des Gebäudes da.«
Das Gebäude, auf das er zeigte, stand fünfzig Meter entfernt auf der anderen Seite des Marktplatzes. Es hatte ein flaches Dach.
»In dem Moment schoß er den zweiten Pfeil ab, ich schrie, aber mein Warnruf kam zu spät für Donen-nach.«
»Ach so«, meinte Fidelma. »Und dann gabst du deinem Pferd die Sporen und rittst auf das Haus zu?«
»Ja. Zwei meiner Krieger jagten mir nach. Als wir das Gebäude erreichten, war der Schütze schon vom Dach gesprungen, den Bogen hatte er noch in der Hand. Neben ihm stand ein zweiter Mann mit einem Schwert. Ich schlug sie beide nieder, bevor sie ihre Waffen gegen uns gebrauchen konnten.«
Fidelma wandte sich an Donndubhain.
»Ich erinnere mich, daß du ihnen dichtauf gefolgt bist, Vetter. Stimmt die Darstellung mit dem überein, was du gesehen hast?«
Der Thronfolger meinte achselzuckend: »Mehr oder weniger.«
»Das ist eine ziemlich ungenaue Antwort«, bemerkte Fidelma.
»Ich meine, ich sah, daß der Bogenschütze herabsprang zu seinem Gefährten, aber ich sah nicht, daß sie ihre Waffen hoben. Sie schienen die Krieger zu erwarten.«
»Du meinst, sie wollten uns herankommen lassen, um ein sicheres Ziel zu haben?« schnaubte Gionga verächtlich.
Fidelma ging ohne Kommentar auf das Gebäude zu.
»Schauen wir mal, was wir dort finden.«
Donndubhain sah sie verständnislos an.
»Was sollen wir dort finden? Die Attentäter wurden beide getötet und ihre Leichen weggeschafft. Was suchst du noch?«
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