Fidelma schüttelte lächelnd den Kopf. »Das bedeutet nicht, daß das Gasthaus im Widerspruch zum Gesetz steht, sondern nur, daß das Gesetz es nicht anerkennt. Wenn sich zum Beispiel ein Streit erhebt, muß der, der in ein ungesetzliches Gasthaus geht, wissen, daß er keine gesetzliche Handhabe hat, Klage zu erheben.«
»Ich bin nicht sicher, daß ich dich verstanden habe«, antwortete Eadulf.
»Die Getränke eines gesetzlichen Gastwirts müssen drei Qualitätsprüfungen bestehen. Schenkt er schlechtes Ale aus, kann er verklagt werden. Wenn sich jemand in einem ungesetzlichen Gasthaus über die Qualität des Ales beschwert, kann er nach dem Gesetz keine Entschädigung verlangen. Aber nun genug, schauen wir uns diese Cred an.«
Sie betraten die Gaststube. Sie schien leer bis auf zwei Männer, die in einer Ecke saßen und Ale tranken. Sie waren einfach gekleidet, bärtig und sahen wie Arbeiter aus. Sie blickten Fidelma und Eadulf gleich-gültig an und fuhren fort zu trinken und sich leise zu unterhalten.
Dann entstand Bewegung hinter einem Vorhang, der einen Durchgang verdeckte. Sie wandten sich um, der Vorhang wurde zur Seite geschoben und gab den Blick auf eine wohlbeleibte Frau frei, die offensichtlich bessere Tage gesehen hatte. Sie kam eifrig herbei, doch ihr Gesicht zog sich in die Länge, als sie ihre Kleidung bemerkte.
»Für Mönche und Nonnen bietet die Abtei bessere Unterkunft«, erklärte sie mit Bestimmtheit. »Dieses Haus ist nicht gut genug eingerichtet für so wohlerzogene und fromme Leute.«
Einer der beiden Männer lachte meckernd über das, was er für einen guten Witz der Wirtin hielt.
»Wir brauchen keine Unterkunft«, antwortete Ea-dulf sofort mit fester Stimme. »Wir brauchen eine Auskunft.«
Die Frau rümpfte die Nase und kreuzte die schlaffen Arme über dem umfangreichen Busen. »Und warum sucht ihr die hier?«
»Weil wir glauben, daß du sie uns geben kannst«, erwiderte Eadulf ebenso bestimmt.
»Auskünfte sind teuer, besonders für einen ausländischen Geistlichen«, antwortete die Frau, die Eadulfs Akzent bemerkt hatte. Sie musterte ihn, als wolle sie abschätzen, wieviel Geld er wohl bei sich führen mochte.
»Dann wirst du mir die Auskunft geben«, sagte Fi-delma ruhig.
Die Frau fuhr herum, und ihre Augen verengten sich.
Fidelma und Eadulf merkten, daß die beiden Männer ihre gemurmelte Unterhaltung eingestellt und sich umgewandt hatten. Beide musterten sie, ohne die Neugier in ihren Mienen zu verbergen.
»Vielleicht möchte ich gar keine Auskunft geben, selbst wenn ich etwas weiß«, sagte die Frau störrisch.
»Vielleicht«, lächelte Fidelma. »Aber vor einem dalaigh die Aussage verweigern kann auch teuer werden.«
Die Frau kniff die Augen noch enger zusammen. Ihre Mundwinkel zogen sich herab. Die Spannung im Raum war zu spüren, und die Männer wandten sich wieder ihren Bechern zu, folgten aber sichtlich dem Gespräch.
»Wo ist denn der dalaigh, der eine Aussage von mir verlangt?« höhnte die dralle Frau.
»Der bin ich«, erklärte Fidelma leise. »Ich nehme an, du bist Cred, die Besitzerin dieses unlizenzierten Gasthauses?«
Die Frau ließ die Arme sinken. Ihre Mienen wechselten rasch, als könne sie sich nicht darüber klarwerden, ob Fidelma es ernst meinte oder nicht.
Dann errötete sie vor Ärger. »Ich bin die Gastwirtin Cred. Ich führe ein gutes und anständiges Haus, ob mit oder ohne Lizenz.«
»Das mußt du mit deinem bo-aire ausmachen. Ich brauche eine Auskunft. Ungefähr vor einer Woche kam ein Mann durch diesen Ort. Er sah aus wie ein berufsmäßiger Bogenschütze. Er ritt eine kastanienbraune Stute, bei der ein Hufeisen lose war, deshalb mußte er zum Schmied.«
Die beiden Männer hatten ihr Gespräch nicht wieder aufgenommen und horchten gespannt auf Fidel-mas Worte. Aus dem Augenwinkel sah sie, daß ein dritter Mann das Gasthaus von der Rückseite her betreten hatte. Sie wandte sich nicht nach ihm um, weil sie das Gesicht der Wirtin beobachtete, um ihre Reaktion abzuschätzen. Doch sie spürte, daß der dritte Mann stehengeblieben war und zu ihnen herüberschaute.
Cred starrte Fidelma immer noch trotzig an. »Woher weiß ich, daß du eine dalaigh bist?« konterte sie. »Ich brauche keine Fragen von einem jungen Mädchen zu beantworten, ob Nonne oder nicht.«
Fidelma langte in ihre Kutte und zog ein Kreuz an einer goldenen Kette hervor. Dessen symbolische Bedeutung war in ganz Muman bekannt. Der Orden der Goldenen Kette war eine ehrwürdige Adelsbruderschaft in Muman, die aus der Mitgliedschaft der alten Kriegergarde der Könige von Cashel entstanden war. Seine Mitglieder wurden von den Eoghanacht-Königen persönlich ernannt. Fidelmas Bruder hatte sie mit dieser Ehre ausgezeichnet als Anerkennung ihrer Verdienste um das Königreich. Creds Augen weiteten sich, als sie das Zeichen erkannte.
»Wer bist du?« fragte sie nun in verbindlicherem Ton.
»Ich bin ...«, begann sie.
»Fidelma von Cashel!« Die Worte kamen respektvoll von dem dritten Mann.
Der dicken Frau sank der Unterkiefer herab.
Fidelma schaute sich nun den Mann an. Er war in so einfacher Arbeitskleidung wie die beiden anderen, und seine wettergegerbten Züge zeugten von einer Tätigkeit an frischer Luft. Er machte eine ungeschickte Verbeugung vor ihr.
»Ich bin auch aus Cashel, Lady. Ich arbeite für .«
Fidelma hatte rasch geschaltet. »Für den Kaufmann Samradan? Ihr drei seid seine Kutscher?«
Der Mann nickte eifrig. »So ist es, Lady.« Zu der Wirtin gewandt, fügte er rasch hinzu: »Fidelma von Cashel ist nicht nur eine dalaigh , sondern auch die Schwester des Königs.«
Cred verneigte sich widerwillig. »Verzeih mir, Lady. Ich dachte .«
»Du dachtest, du könntest mir helfen, indem du meine Fragen beantwortest«, fuhr Fidelma scharf dazwischen und verabschiedete den Mann, der sie erkannt hatte, mit einem Nicken. Er gesellte sich zu seinen Gefährten, und sie flüsterten miteinander und warfen verstohlene Blicke herüber.
»Ich ... ach so ... ja. Den Saigteoir nannten wir ihn. Er blieb hier zwei oder drei Nächte, ungefähr vor einer Woche. Ein hochgewachsener blonder Mann. Er sprach etwas abgehackt und mochte keine Fragen. Er trug einen langen Bogen und weiter keine Waffen.«
Das sprudelte die Frau nur so heraus.
»Aha. Hast du sonst noch etwas über ihn erfahren?«
Cred schüttelte heftig den Kopf. »Wie ich schon sagte, er redete nicht gern«, meinte sie. »Er wählte seine Worte mit Bedacht und äußerte seine Wünsche so knapp wie möglich, und die waren ebenso selten wie seine Worte.«
»Hatte er in der Schmiede zu tun?«
»Du sagst es. Bei seinem Pferd war ein Hufeisen lose, und ich glaube, er kaufte auch Pfeile beim Schmied, denn als er kam, hatte er nur wenige Pfeile im Köcher, und als er fortritt, war sein Köcher voll.«
»Du hast scharfe Augen, Cred«, stellte Fidelma fest.
»Die braucht man in diesem Beruf, Lady. Gäste kommen und verschwinden, ohne zu bezahlen. Man muß schon aufpassen.«
»Hat er alles bezahlt?«
»O ja. Er hatte anscheinend genug Geld, trug viele Gold- und Silbermünzen bei sich.«
»Ging er noch woanders hin? In die Abtei zum Beispiel?« fragte Eadulf.
Die Frau schnaufte vernehmlich. »Er war nicht der Typ, der Abteien oder Kirchen liebt. Überhaupt nicht. Er hatte den Geruch des Todes an sich.«
»Was meinst du damit?« wollte Eadulf wissen. »Geruch des Todes? War er krank?«
Cred sah ihn an, als sei er begriffsstutzig. »Manche gehen in die Schlacht, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt«, ließ sie sich zu einer Erläuterung herab. »Andere gehen in den Kampf und merken, daß ihnen Tod und Vernichtung liegen, also ziehen sie im Lande umher und verkaufen ihre Fähigkeiten als Krieger an jeden, der sie dafür bezahlt, damit sie das eine Handwerk treiben können, das sie beherrschen: Tod und Vernichtung über andere bringen. Sie werden selbst zum Tod. Der Saigteoir hatte diesen Geruch des Todes an sich. Er war ohne Gefühl, ohne Seele.«
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