»Eine Höhlung. Siehst du, wo der hölzerne Schaft eingepaßt wird? Hier kannst du besonders gut erkennen, wie die Spitze mit einem winzigen Metallniet befestigt wird.«
»Und was würdest du vermuten, wo sie hergestellt wurden?« fragte Fidelma.
»Da brauche ich nicht zu raten«, erwiderte der Schmied lächelnd. »Siehst du die Lenkfedern? Sie tragen das Zeichen eines Pfeilschmieds von Cnoc Äine, und du befindest dich in diesem Gebiet, wie du sicher weißt, Lady.«
Fidelma lächelte dünn. »Könntest du mir einen Schmied nennen, Nion, der solche Pfeile herstellt?«
Unerwartet lachte der Schmied laut auf. »Siehst du meinen Nachbarn dort ...«, sagte er und wies auf eine nahe Zimmermannswerkstatt. »Er fertigt die Schäfte und die Lenkfedern an, und ich mache die Pfeilspitzen und setze sie auf. Dieser Pfeil gehört zu einem Bündel, das ich vor knapp einer Woche gemacht habe, das sehe ich deutlich. Weshalb fragst du, Lady?« fügte er hinzu und gab ihr die Pfeile zurück.
Sein Gehilfe kam wieder, schüttete einen Beutel Holzkohle ins Schmiedefeuer und schürte es mit einem Eisenstab.
»Ich würde gern etwas über den Mann erfahren, dem du diese Pfeile verkauft hast.«
Sofort kniff der Schmied mißtrauisch die Augen zusammen. »Warum?«
»Wenn du nichts zu verbergen hast, Nion, dann sagst du es mir. Denk daran, du beantwortest die Fragen einer dalaigh, und ich erinnere dich daran, daß du Ortsvorsteher bist.«
Nion starrte sie an, als wolle er ihre Absichten ergründen, dann zuckte er die Achseln. »Dann werde ich dir als dalaigh wie ein bo-aire antworten. Ich kenne den Mann nicht. Ich nannte ihn lediglich Saigteoir, weil er wie ein berufsmäßiger Bogenschütze aussah und sich auch so benahm. Er kam vor mehr als einer Woche in meine Schmiede und bestellte zwei Dutzend Pfeile. Er bezahlte gut dafür. Ein paar Tage später holte er die Pfeile ab, und das ist alles, was ich weiß.«
Eadulf war enttäuscht, aber Fidelma gab noch nicht auf.
»Manchmal muß man etwas aus seinem Gedächtnis herauslocken«, meinte sie. »Du sagst, der Mann sah aus wie ein berufsmäßiger Bogenschütze. Beschreibe ihn mir.«
Nach einigem Zögern beschrieb der Schmied Nion den Bogenschützen, den Gionga erschlagen hatte. Es war eine gute Beschreibung, und sie ließ keinen Zweifel an der Identität des Mannes.
»Du hast mit ihm geredet. Wie sprach er?«
Der Schmied rieb sich das Kinn, dann hellte sich sein Blick auf. »Er sprach rauh wie ein Berufssoldat, aber er gehörte nicht der Kriegerkaste an, war nicht für das edle Waffenhandwerk geboren.«
»Hast du ihn nicht gefragt, was er hier zu tun hatte?« schaltete sich Eadulf ein.
»Nein, das tat ich lieber nicht. Man fragt einen Krieger nicht, wozu er Waffen braucht, wenn er es nicht von sich aus sagt.«
»Ich kann dich verstehen«, stimmte ihm Fidelma bei. »Er hat also nichts gesagt?«
Der Schmied schüttelte den Kopf.
»Hatte er einen Gefährten bei sich?«
»Nein.«
»Da scheinst du dir sicher zu sein. Ritt er ein Pferd?«
»O ja. Er ritt eine kastanienbraune Stute. Das habe ich mir gemerkt, denn eins ihrer Hinterbeine mußte neu beschlagen werden. Ein Stein hatte das Hufeisen gelockert. Das sah ich sofort.«
»Ist dir an dem Pferd etwas aufgefallen?« Fidelma wußte, daß ein kundiger Schmied erkennen konnte, auf welche Weise das Pferd beschlagen worden war und in welcher Gegend.
»Es war offensichtlich zuletzt im Norden beschlagen worden«, erwiderte der Schmied sofort. »Ich kenne die Art und weiß, daß die Schmiede des Clan Brasil Pferde so beschlagen. Das Pferd war auch über seine besten Jahre hinaus. Ein Krieger von Stand würde so ein Pferd nicht mehr reiten, obgleich es ein Streitroß war.«
»Was ist dir noch aufgefallen?«
»Nichts. Was ging mich das an?«
»Du bist der bo-aire«, erklärte ihm Fidelma. »Du bist auch dafür verantwortlich, zu wissen, was auf deinem Gebiet vor sich geht. Die Pfeile, die du diesem Bogenschützen verkauft hast, wurden bei einem Attentatsversuch auf meinen Bruder, den König, und den Fürsten der Ui Fidgente verwendet. Hast du noch nichts davon gehört?«
Nion starrte sie sprachlos an.
»Damit habe ich nichts zu tun, Lady«, sagte er. »Ich habe bloß die Pfeile hergestellt und sie ihm verkauft. Ich wußte nicht, wer der Mann war .«
Fidelma hob die Hand, um ihn zu beruhigen.
»Ich sage dir das nur, um dir zu beweisen, daß es dich doch manchmal etwas angeht, was hier geschieht, Ortsvorsteher von Imleach. Fällt dir daraufhin noch etwas zu dem Bogenschützen ein, was du mir sagen solltest?«
Zweifellos gab sich Nion nun alle Mühe, nachzudenken, und er kratzte sich zur Unterstützung den Kopf.
»Ich kann dir nichts weiter sagen, Lady. Aber wenn der Bogenschütze hier fremd war, muß er sich ein paar Tage in der Nähe aufgehalten haben, um auf die Pfeile zu warten. Vielleicht weiß man in der Herberge mehr über ihn?«
»Wo wäre diese Herberge?«
»Falls er nicht in der Abtei selbst übernachtet hat, bleibt nur Creds Herberge. Sie hat keinen guten Ruf und auch keine Lizenz von mir, übrigens auf Wunsch des Abts. Er möchte sie aus moralischen Gründen schließen lassen. Aber es ist die einzige Herberge in der Stadt. Ich nehme an, dort hat der Bogenschütze gewohnt. Wenn nicht, dann weiß ich auch nichts weiter.«
Fidelma dankte dem Schmied. Er stand breitbeinig da, die Hände in den Hüften, und sah ihnen mißtrauisch nach, als sie weitergingen.
»Wenn der Bogenschütze sein Pferd von einem Schmied im Gebiet des Clan Brasil beschlagen ließ«, meinte Eadulf nachdenklich, »vielleicht kannte er dann Bruder Mochta? Hat der Abt nicht gesagt, der stamme aus dem Clan Brasil?«
»Gut geschlußfolgert, Eadulf. Aber wenn auch Bruder Mochta aus dem Clan Brasil kommt und das Pferd des Bogenschützen dort beschlagen wurde, so haben wir doch gehört, daß seine Sprechweise ihn nicht als Bewohner der nördlichen Gebiete ausweist.«
Fidelma schwieg eine Weile und überlegte. »Wir haben noch keine Verbindung zwischen Bruder Mochta und diesem Bogenschützen hergestellt, falls wir das Rätsel um die Tonsur überhaupt lösen können.«
»Die Verbindung zwischen ihnen liegt so klar auf der Hand, nur das Rätsel der Tonsur stört.«
Sie waren die Straße entlang weitergegangen bis ans andere Ende des Ortes. Dort standen abseits von den anderen ein paar kleine Gebäude.
»Das sieht nach Creds Herberge aus«, sagte Fidel-ma. Sie blickte die Straße zurück. »Nun ja, sie ist etwas abgelegen, so daß der Bogenschütze hier gewohnt haben kann, ohne daß der Schmied wissen müßte, ob er von hier kam oder nicht.«
»Heißt das, daß du den bo-aire im Verdacht hattest, uns zu belügen?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte Fidelma. »Aber man sollte trotzdem alles doppelt prüfen. Gehen wir hinein und sprechen wir mit dieser Cred, die in der Gemeinde anscheinend so schlecht angesehen ist.«
Eadulf hielt Fidelma zurück und wies auf das Herbergsschild. Es zeigte einen muskulösen Schmied, der mit einem Hammer auf einen Amboß schlug.
»Ist das Zufall?« fragte er.
»Wohl kaum«, lächelte Fidelma. »Creidne Cred war der Handwerker unter den alten Göttern Irlands, der mit Bronze, Messing und Gold arbeitete. Er war es auch, der Schwertgriffe, Speernieten und Buckel und Ränder für Schilde herstellte im großen Krieg zwischen den heidnischen Göttern und ihren Feinden.«
»Dann noch eins, ehe wir hineingehen. Ich hörte sowohl den Abt als auch den Schmied sagen, daß dieses Haus keine Lizenz besitzt. Was bedeutet das?«
»Es ist anscheinend ein Gasthaus, das sein eigenes Ale braut, aber kein gesetzliches, das wir dligtech nennen.«
»Dann könnte es der bo-aire als örtlicher Vertreter des Gesetzes doch schließen?«
Читать дальше