Der irische Mönch gab selbst die Antwort.
»Bruder Pol, der Verbindungsmann, der Gelgeis’ Botschaften nach Maigh Eo brachte, hatte Gadra von unserer kleinen Gruppe hier in Tunstall erzählt. Also fragte Gadra bei mir an, ob ich mich mit Gelgeis in Verbindung setzen und herausbekommen könnte, was dort vorging. Zugleich wollte er erfahren, aus welchem Grunde er nichts von Bruder Pol gehört hatte.«
»Und kamst du an Gelgeis heran?«
»Ich versuchte es, und dabei erfuhr ich, daß Gelgeis tot war.«
»Eins möchte ich noch fragen«, schaltete sich Eadulf ein. »Du mußt doch alle Iren in dieser Gegend kennen. Wer ist die junge Frau aus Eireann mit rotgold-nem Haar, die in der Nähe der Abtei wohnt?«
Bruder Laisre schaute ihn verblüfft an. »Eine junge Frau mit rotgoldnem Haar? Ich kenne keine solche Frau aus unserem Volk im Lande des Südvolks.«
Eadulf war überrascht. Auf dem Wege hatte er Fidelma berichtet, was er in der Holzfällerhütte gesehen hatte.
»Vielleicht ist sie erst vor kurzem hergekommen?« vermutete Fidelma.
Bruder Laisre schüttelte den Kopf. »Dann würde ich davon wissen, Schwester, und ehrlich gesagt, sie würde bald auffallen.«
Fidelma seufzte. »Ich meine, du solltest uns noch ausführlicher erzählen, wie du mit Gelgeis in Verbindung treten wolltest. Wie hast du es angestellt, mit ihr Kontakt aufzunehmen?«
»Sie war schon tot, als ich das versuchte«, erläuterte Bruder Laisre. »Ich ging als Kaufmann verkleidet zur Abtei, und zufällig war es Bruder Botulf, der mit mir sprach. Ich kannte ihn schon vor diesem unsinnigen Beschluß von Whitby, der die Trennung zwischen uns hervorrief. Er war ein sympathischer Mensch. Von ihm erfuhr ich dann, daß Gelgeis wirklich, wie ihr Vater und ihr Bruder annahmen, unglücklich geworden war. Cild ist ein eitler und grausamer Mensch. Als Abt ist er ungeeignet. Botulf sagte, das Mädchen sei ins Moor gegangen.«
»Hat Botulf im einzelnen beschrieben, wie sie umgekommen ist?« fragte Fidelma nach.
»Nein. Er nannte keine Einzelheiten. Nur, daß sie ins Moor gegangen und daß Cild dafür verantwortlich sei. Das waren genau seine Worte. Cild sei verantwortlich. Man kann das nicht anders deuten denn als Mord. Er berichtete, sie sei in Hob’s Mire versunken, einem üblen Stück Sumpf nicht weit von der Abtei. Er sagte, es habe keinen Zweck gehabt, nach dem Leichnam zu suchen. Er bat mich, die Familie davon zu unterrichten, daß ihre Tochter tot sei.«
»Und Bruder Pol hatte keine weiteren Botschaften nach Maigh Eo gebracht, weil er einer der Brüder war, die Abt Cild hängen ließ wegen ihrer Weigerung, sich den Regeln Roms zu unterwerfen?« Eadulf konnte es kaum glauben.
Bruder Laisre nickte nur.
»Nicht lange nach meinem Treffen mit Botulf«, fuhr er fort, »erklärte Cild die Abtei zu einer geschlossenen Gemeinschaft für Brüder, die an seine Regeln glaubten. Mehrere Brüder vertrieb er aus seiner Abtei. Einige davon kamen hierher und schlossen sich uns an.«
Eadulf wollte mehr wissen. »Hast du Botulf noch einmal gesprochen?«
»Diese Ereignisse spielten sich erst vor wenigen Monaten ab. Der Bote, den ich nach Maigh Eo geschickt hatte, brauchte sehr lange Zeit, bis er Gadras Burg sicher erreichte. Sein Schiff strandete an der Insel Mannanan Mac Lir, die zwischen diesem Land und Ei-reann liegt. Es dauerte eine Weile, bis er ein Fahrzeug fand, mit dem er seine Reise fortsetzen konnte. Gadra sandte mir schließlich die Nachricht, daß er selbst herkäme, um Genugtuung von Cild zu fordern .«
Hier schaltete sich Garb ein.
»Mein Vater stammt aus dem Geschlecht der Könige der Ui Briüin, der Könige von Connacht. Er ist ein Fürst, in dessen Adern das Blut des Großkönigs Niall von den Neun Geiseln fließt. Er ist stolz und unbeugsam. Gelgeis ist aus seinem Geschlecht. Deswegen beschloß er, in dieses fremde Land zu gehen und Cild zur Rechenschaft zu ziehen.«
Fidelma schaute ihn skeptisch an. »Das troscud.«
»Ja, Lady, das troscud«, erwiderte Garb fest.
»Wirklich«, warf Eadulf ein, »dein Vater muß seine Tochter sehr geliebt haben, wenn er diesen Weg einschlägt.«
»Er liebte sie so, wie nur ein Vater lieben kann«, stimmte ihm Garb zu. »Aber ebenso wie die Liebe verpflichtet uns auch die Ehre, und das troscud ist unser Gericht der letzten Instanz. Durch das rituelle Fasten wollen wir Gerechtigkeit erlangen, wenn unsere Feinde zu mächtig und zu überheblich sind, um sie uns aus freiem Willen zu gewähren.«
»Eins interessiert mich sehr, und verzeih mir die Frage, aber wie du weißt, sind mir solche Sachen fremd. Was für ein Mensch war deine Schwester?«
Garb sah Eadulf ziemlich verständnislos an.
»Ich weiß nicht, ob ich deine Frage richtig verstanden habe, Angelsachse.«
»Ich meine ihr Temperament. War sie in ihrer Natur so ungewöhnlich, daß ihr Vater und vielleicht auch du und deine Krieger, ihr alle bereit seid, euer Leben willig für ihr Gedenken hinzugeben?«
Fidelma fühlte sich etwas verunsichert. Sie dachte, Eadulf hätte das Wesen des troscud verstanden, und wunderte sich darüber, daß er diese Frage stellte. Sie vermutete jedoch, daß er einen Zweck damit verfolgte.
Garb war von der Frage nicht gekränkt.
»Gelgeis war meine Lieblingsschwester. Sie brachte Ruhe in jede Lebenslage. Sie ließ einen grauen Tag schön erscheinen, stillte jeden Sturm, machte jeden Niedergeschlagenen fröhlich. Sie besaß eine Natur, die alle, die sie kannten, glücklich machte.«
Eadulf stutzte, denn er dachte an Bruder Willibrods Worte. Garbs Rede wirkte ein wenig zu glatt. Während er noch zögerte, übernahm Fidelma wieder das Gespräch.
»Kann man deinem Vater nicht das Vorhaben ausreden, auf das er sich eingelassen hat? Ihr müßt doch einsehen, daß es einem Mann aus Cilds Kulturkreis und noch dazu einem Mann wie Cild nichts bedeutet. Man wird deinen Vater einfach sterben lassen. Cild und überhaupt jeder Angelsachse, der unsere Bräuche nicht kennt, könnte das troscud schlicht als einen Witz betrachten.«
»Mein Vater glaubt an die alten Bräuche und ist fest entschlossen.«
»Ich werde mit ihm sprechen, denn man muß ihn davon abbringen«, erklärte Fidelma.
»Du wirst dich vergeblich bemühen.«
Eadulf saß da und starrte mit leerem Blick vor sich hin, während er über die unterschiedlichen Bilder von Gelgeis nachgrübelte, die man ihm beschrieben hatte.
»Bruder Laisre, hast du noch einmal mit Botulf gesprochen? In der letzten Zeit?« fragte Fidelma.
»Vor ein paar Wochen. Das war, als Gadra mit Garb und seinen Männern hier ankam. Ich nahm Verbindung zu Botulf auf und erklärte ihm die Lage.«
»Wie hat Botulf darauf reagiert?«
Bruder Laisre blickte Garb verlegen an.
»Um ehrlich zu sein, Schwester, er war auch der Meinung, es sei vergeudete Zeit. Ich erläuterte ihm die Bedeutung des troscud , und er meinte, kein Angelsachse würde seinen Zweck verstehen. Ich sagte ihm, daß Garb in die Abtei kommen müßte, um den Beginn des Rituals zu verkünden, und er versprach, dabei zu helfen.«
»Hat er es getan?«
»O ja. Er schmuggelte Garb ein, damit dieser selbst mit dem Abt sprechen konnte. Das war der erste Kontakt, um sicherzustellen, daß der Abt wußte, was sich vorbereitete. Cild lachte Garb aus.«
»Hat Botulf euch gewarnt, daß Cild so reagieren würde?«
»Botulf sagte, er habe Angst ... Angst um die Verwandten von Gelgeis. Er erwähnte ein altes Sprichwort der Angelsachsen: Wehe dem, der sich in einem Land befindet, in dem niemand für ihn eintritt.«
»Also sprach er sich gegen das troscud aus?«
»Er sprach sich sehr deutlich dagegen aus, aber ich konnte nur als Vermittler handeln. Ich nannte ihm den Tag und die Stunde, zu der Garb sich zur offiziellen Verkündigung in der Abtei einstellen würde. Wir einigten uns auf das Läuten zum mitternächtlichen Angelusgebet, das die Brüder in die Kapelle der Abtei rufen würde. Die Verkündung mußte vor der ganzen Gemeinschaft erfolgen.«
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