»Unschuldig?« Sulla beugte sich vor. Sein Gesicht lag jetzt ganz im Schatten. Die Lampe warf eine Aureole um sein feuerrotes Haar. «Haben sie dir das erzählt, meine lieben Freunde, die Meteller? Eine sehr alte und bedeutende Familie, diese Meteller. Seit ich mich von Delmaticus’ Tochter habe scheiden lassen, als sie im Sterben lag, habe ich darauf gewartet, daß sie mir von hinten ein Messer zwischen die Rippen stoßen. Aber was hätte ich tun sollen? Die Auguren und Pontifices haben darauf bestanden; ich konnte es nicht zulassen, daß mein Haus von ihrer Krankheit beschmutzt wurde. Und so nimmt die Familie meiner Ex-Frau also Rache - sie benutzen einen Anwalt ohne Familie und mit einem Witz von einem Namen, um meinen Namen vor Gericht in den Schmutz zu ziehen. Was nützt es einem, Diktator zu sein, wenn genau die Klasse von Menschen, für deren Wohl man sich so abplagt, sich wegen solcher Belanglosigkeiten gegen einen wendet?
Was hat man dir angeboten, Cicero? Geld? Das Versprechen ihrer Patronage? Politische Unterstützung?«
Ich blickte zu Cicero, dessen Gesicht wie zu Stein erstarrt war. In dem flackernden Licht der Lampe konnte ich meinen Augen kaum trauen, aber mir war, als würden sich seine Mundwinkel zum Hauch eines Lächelns verziehen. Auch Tiro mußte es bemerkt haben; ein merkwürdiger Ausdruck verdüsterte seine Miene.
»Wer von ihnen ist zu dir gekommen, Cicero? Marcus Metellus, der Schwachkopf, der es gewagt hat, sich heute neben dir auf der Verteidigerbank blicken zu lassen? Oder seine Cousine Caecilia Metella, diese verrückte, unter Schlaflosigkeit leidende alte Schachtel? Oder vielleicht gar kein Metellus, sondern einer ihrer Handlanger? Doch sicher nicht mein neuer Schwager Hortensius - für Geld würde er auch seinen schlimmsten Feind vertreten, bei Jupiter, aber er war schlau genug, sich nicht in diese Farce verwickeln zu lassen. Eine Schande, daß ich nicht dasselbe über Valerias geliebten kleinen Bruder Rufus sagen kann.«
Cicero sagte immer noch nichts. Tiro runzelte nervös die Stirn und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
Sulla lehnte sich zurück. Der Schein der Lampe kroch über seine Stirn bis in seine Augen, die wie Glasperlen glitzerten. »Egal. Die Meteller haben dich jedenfalls gegen mich rekrutiert. Sie haben dir also erzählt, Sextus Roscius sei unschuldig. Und du hast ihnen geglaubt?«
Tiro hielt es nicht länger aus. »Natürlich!« platzte er los. »Weil er unschuldig ist. Deswegen hat mein Herr ihn verteidigt - nicht um sich mit einer Patrizierfamilie gut zu stellen -«
Cicero brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. Sulla sah Tiro an und zog abschätzig die Brauen hoch, als ob er ihn in diesem Moment zum erstenmal wahrnehmen würde. »Der Sklave ist wohl kaum so hübsch, daß man ihm eine derartige Frechheit durchgehen lassen könnte. Wenn du etwas von einem echten Römer in dir hättest, Cicero, würdest du ihm hier an Ort und Stelle die Flausen gründlichst aus dem Leib prügeln lassen.«
Ciceros Lächeln verflog. »Bitte, Lucia Sulla, verzeih ihm seine Unverschämtheit.«
»Dann beantworte meine Frage, anstatt deinen Sklaven für dich sprechen zu lassen. Als sie dir erzählten, daß Sextus Roscius unschuldig wäre, hast du ihnen geglaubt?«
»Ja, das habe ich«, sagte Cicero seufzend. Er preßte die Fingerspitzen gegeneinander und spreizte die Finger. Er sah mich kurz an und betrachtete dann wieder seine Hände. »Anfangs.«
»Ah.« Jetzt war es Sulla, um dessen Lippen ein unergründliches Lächeln spielte. » Ich dachte mir schon, daß du zu schlau bist, um dich länger täuschen zu lassen. Wann hast du die Wahrheit erfahren?«
Cicero zuckte die Schultern. »Ich habe fast von Beginn an einen Verdacht gehabt, obwohl das nie einen Unterschied gemacht hat. Es gibt noch immer keinen Beweis, daß Sextus Roscius sich mit seinen beiden Vettern verschworen hat, seinen Vater ermorden zu lassen.«
»Keinen Beweis?« Sulla lachte. »Ihr Anwälte! Auf der einen Seite gibt es immer Beweise und Indizien. Und auf der anderen Seite ist die Wahrheit.« Er schüttelte den Kopf. »Diese gierigen Idioten, Capito und Magnus, haben gedacht, sie könnten ihren Vetter Sextus verurteilen lassen, ohne ihre Beteiligung an dem Verbrechen eingestehen zu müssen. Wie konnte sich Chrysogonus nur mit solchem Abschaum einlassen?«
»Das verstehe ich nicht«, flüsterte Tiro. Man hätte seinen Gesichtsausdruck komisch finden können, wenn darin nicht so viel Schmerz und Verwirrung gelegen hätte. Er tat mir leid. Ich tat mir selber leid. Bis zu diesem Augenblick hatte ich mich krampfhaft bemüht, mich an dieselbe Illusion zu klammern, der Tiro so mühelos nachhing - dem Glauben, daß alle unsere Arbeit für Sextus Roscius einen höheren Zweck als politische Intrigen oder persönlichen Ehrgeiz hatte, daß wir einer Sache gedient hatten, die Gerechtigkeit hieß. Dem Glauben, daß Sextus Roscius am Ende doch unschuldig war.
Sulla zog die Brauen hoch und räusperte sich verächtlich. »Dein vorlauter Sklave begreift es nicht, Cicero. Bist du etwa kein aufgeklärter Römer? Kümmerst du dich nicht um die Ausbildung des Jungen? Erklär es ihm.«
Cicero betrachtete seine Hände. »Ich dachte, du hättest sie dir selbst zusammengereimt. Das hab ich ehrlich geglaubt. Gordianus weiß Bescheid, denke ich. Oder nicht, Gordianus? Laß ihn alles erklären, dafür wird er schließlich bezahlt.«
Tiro sah mich so flehend an, daß ich gegen meinen Willen den Mund auftat. »Es war alles wegen der Hure«, sagte ich. »Weißt du noch, Tiro, das Mädchen Elena, das im Haus der Schwäne gearbeitet hat...«
Sulla nickte weise, hob jedoch einen Finger, um mich zu unterbrechen. »Du eilst der Geschichte voraus. Der jüngere Bruder...«
»Gaius Roscius, ja. Ermordet von seinem Bruder im gemeinsamen Elternhaus. Vielleicht haben sich die Einheimischen täuschen lassen, aber die Symptome sind wohl kaum durch den Verzehr von eingelegten Pilzen hervorgerufen worden.«
»Koloquinte«, schlug Cicero vor.
»Wilder Kürbis? Möglicherweise«, sagte ich, »vor allem in Verbindung mit anderen genießbaren Giften. Ich habe einmal von einem Fall in Antiochia gehört mit ganz ähnlichen Symptomen - das Erbrechen purer Galle gefolgt von einem Blutschwall und unmittelbar darauf dem Tod. Vielleicht hat sich Sextus schon damals mit seinem Vetter Magnus abgesprochen. Ein Mann mit Magnus’ Beziehungen kann in Rom praktisch jedes Gift auftreiben, für den entsprechenden Preis.
Was das Motiv angeht, so hatte Sextus Roscius pater mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vor, seinen älteren Sohn zugunsten von Gaius zu enterben, zumindest war Sextus filius fest davon überzeugt. Ein verbreitetes Verbrechen aus einem gewöhnlichen Motiv. Aber das war nicht das Ende der Geschichte.
Vielleicht hatte der alte Herr Sextus in Verdacht, Gaius getötet zu haben. Vielleicht hat er ihn auch einfach so sehr verabscheut, daß er nach irgendeinem Vorwand suchte, ihn dann noch zu enterben. Zur selben Zeit verliebte er sich in die hübsche junge Hure Elena. Als sie schwanger wurde, ob von Roscius oder nicht, hegte der alte Mann den Plan, sie zu kaufen, freizulassen und das freigeborene Kind zu adoptieren. Offenbar war er nicht in der Lage, sie sofort zu erwerben; wahrscheinlich hat er den Handel vermasselt - der Bordellbesitzer witterte seinen Eifer und trieb den Preis in absurde Höhen, weil er glaubte, einen verkalkten, liebeskranken alten Witwer ausnehmen zu können. Das sind natürlich Mutmaßungen -«
»Mehr als das«, sagte Sulla. »Es gibt, oder besser, es gab konkrete Beweise: einen Brief an seinen Sohn, den Roscius der Ältere seinem Sklaven Felix diktierte, der dadurch den Inhalt kennt. Laut Felix hatte der Alte im Suff einen Wutanfall. In seinem Brief drohte er ausdrücklich mit dem, was du gerade vermutet hast - der Enterbung von Sextus Roscius zugunsten eines noch ungeborenen Sohnes. Das Dokument wurde anschließend vernichtet, aber der Sklave erinnert sich noch daran.«
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