Das Lied wurde vom klirrenden Krachen eines umgestürzten Tisches unterbrochen. Rufus war mit hochrotem Kopf aufgesprungen. Hortensius legte eine Hand auf sein Knie, um ihn zurückzuhalten, aber Rufus riß sich los. »Valeria mag für dich nur eine Halbschwester sein, Hortensius, aber sie ist mein eigenes Fleisch und Blut«, fuhr er ihn an, »und ich werde mir diesen Schmutz nicht weiter anhören. Und sie ist deine Frau«, sagte er, blieb vor dem Sofa des Ehrengastes stehen und starrte Sulla wütend an. »Wie kannst du derartige Beleidigungen dulden?«
Mit einemmal herrschte Stille im Raum. Sulla rührte sich lange Zeit gar nicht, sondern blieb auf einen Ellenbogen gestützt und mit ausgestreckten Beinen sitzen. Er starrte ins Leere und verzog das Kinn, als habe er Zahnschmerzen. Schließlich setzte er seine Füße auf den Boden, richtete sich auf und musterte Rufus mit einer Miene, die gleichzeitig Hohn, Reue und Belustigung widerspiegelte.
»Du bist ein sehr stolzer junger Mann«, sagte er. »Sehr stolz und sehr hübsch, wie deine Schwester.« Er griff nach seinem Wein und nahm einen Schluck. »Aber im Gegensatz zu Valeria scheint es dir an Humor zu mangeln. Und wenn Hortensius nur dein Halbbruder ist, erklärt das vielleicht, warum du über die Hälfte seines Verstandes verfügst, von guten Manieren ganz zu schweigen.«
Er schlürfte noch einmal an seinem Wein und seufzte. »Als ich in deinem Alter war, hat mir vieles an der Welt auch nicht gefallen. Anstatt zu jammern, habe ich mich daran gemacht, sie zu verändern, und das ist mir gelungen. Wenn ein Lied dich beleidigt, mach kein Theater. Schreib ein besseres.«
Rufus stand da und starrte ihn an, die Arme steif herunterhängend, die Fäuste geballt. Ich versuchte mir all die Beleidigungen vorzustellen, die durch seinen Kopf gingen, und flüsterte ein stilles Gebet, daß die Götter seinen Mund geschlossen halten würden. Er öffnete ihn, als wollte er etwas sagen, dann sah er sich wütend um und stolzierte nach draußen.
Sulla lehnte sich auf sein Sofa zurück und sah recht enttäuscht aus, das letzte Wort behalten zu haben. Es herrschte ein unbehagliches Schweigen, das nur von einer flapsigen Bemerkung des Möchtegerndichters unterbrochen wurde: »Das war ein junger Mann, der soeben seine Karriere ruiniert hat!« Von einem Niemand gegen einen jungen Messalla und Schwager Sullas gerichtet, war es eine entsetzlich dumme Bemerkung. Das Schweigen wurde noch drückender, nur vereinzeltes Stöhnen war zu hören, während Hortensius hüstelte.
Allein der Gastgeber zeigte sich unbeeindruckt. Chrysogonus lächelte sein goldenes Lächeln und warf einen herzlichen Blick auf Metrobius. »Ich glaube, es fehlt zumindest noch ein Vers - zweifelsohne der beste, wenn er bis zum Schluß aufbewahrt wurde.«
»Wohl wahr!« Sulla erhob sich mit funkelnden Augen und vom Wein nur ganz leicht schwankend. Er ging in die Mitte des Raumes. «Was für ein wundervolles Geschenk ihr mir alle heute abend gemacht habt! Sogar der kleine Rufus, der sich so töricht und anmaßend benommen hat - so ein feuriger Rotschopf mit so feurigem Temperament, ganz im Gegensatz zu seiner Schwester. Was für ein Abend! Ihr habt mich an alles erinnert, ob ich wollte oder nicht - an die guten wie an die schlechten Tage. Aber die alten Zeiten waren noch immer die besten, als ich jung war und nichts außer Hoffnung, Gottvertrauen und die Liebe meiner Freunde hatte. Damals war ich ein sentimentaler Narr!« Mit diesen Worten nahm er Metrobius’ Gesicht zwischen beide Hände und küßte ihn voll auf den Mund, was das Publikum mit spontanem Applaus quittierte. Als Sulla sich aus der Umarmung löste, sah ich Tränen auf seinen Wangen. Er lächelte und wankte zu seinem Platz zurück, wobei er dem Lyraspieler ein Zeichen gab fortzufahren, als er sich auf sein Sofa fallen ließ.
Das Lied begann aufs neue:
Die Dame zeigte sich freudig erregt ...
Aber Tiro und ich bekamen das Ende nie zu hören. Statt dessen fuhren wir gleichzeitig herum, abgelenkt von demselben unverkennbaren Geräusch -dem metallischen Gleiten einer Stahlklinge, die aus der Scheide gezogen wurde.
Chrysogonus hatte schließlich doch jemanden geschickt, um das obere Stockwerk zu kontrollieren, oder wir hatten uns einfach zu lange an einer Stelle aufgehalten. Eine massige Gestalt löste sich aus dem Schatten der Tür und trat humpelnd in das helle Mondlicht, das vom Balkon hereinfiel. Sein wirres Haar war wie ein Heiligenschein aus blauen Flammen, und der Ausdruck seiner Augen ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. In seiner linken Hand hielt er ein Messer mit einer Klinge so lang wie ein Unterarm -vielleicht dieselbe Klinge, die er benutzt hatte, um wieder und wieder auf Sextus Roscius einzustechen.
Einen Herzschlag später stand sein Kumpan neben ihm, der blonde Riese Mallius Glaucia. Die Wunde, die Bast in sein Gesicht gerissen hatte, sah in dem blassen Licht häßlich geschwollen aus. Er hielt sein Messer im selben Winkel wie sein Herr, nach oben und nach vorn, als sei er im Begriff, einen Tierkadaver aufzuschlitzen.
»Was habt ihr hier zu suchen?« sagte Magnus und spielte mit dem Messer in seiner Hand, so daß die Klinge im Mondlicht blitzte. Seine Stimme war höher, als ich erwartet hatte. Sein ländliches Latein wurde überdeckt vom durchdringend nasalen Akzent der Straßenbanden.
Ich sah beiden Männern in die Augen; sie hatten keine Ahnung, wer ich war. Glaucia war zu meinem Haus geschickt worden, um mich einzuschüchtern oder zu ermorden, zweifelsohne von Magnus, aber keiner der beiden hatte mich je leibhaftig zu Gesicht bekommen außer als vorbeiziehenden Fremden auf der Straße vor Capitos Haus. Ich zog meine Hand langsam wieder aus der Tunika hervor. Ich hatte ursprünglich vorgehabt, nach meinem Messer zu greifen; statt dessen hatte ich den eisernen Ring von meinem Finger gestreift. Ich warf die Hände in die Luft.
»Verzeihung, bitte«, sagte ich, überrascht, wie leicht es war, angesichts zweier Riesen mit langen Dolchen bescheiden und demütig zu klingen. »Wir sind die Sklaven des jungen Marcus Valerius Messalla Rufus. Wir sind nach oben geschickt worden, ihn zu holen, bevor die Abendunterhaltung begann. Wir haben uns verirrt - zu dumm!«
»Und spioniert ihr deswegen dem Hausherrn und seinen Gästen nach?« zischte Magnus. Er und Glaucia trennten sich und kamen wie Flanken einer Armee auf uns zu.
»Wir sind hier stehengeblieben, um einen Blick vom Balkon zu werfen und ein wenig frische Luft zu schnappen.« Ich zuckte die Schultern, ließ die Hände in Sicht und tat mein Bestes, jämmerlich und verwirrt zu klingen. Ich warf einen Blick zu Tiro, der sich meiner Vorgabe entweder bewundernswert anpaßte oder schlicht von Sinnen war vor Angst. »Wir haben den Gesang gehört und das kleine Fenster entdeckt, was natürlich dumm und anmaßend von uns war, und ich bin sicher, euer Herr wird dafür sorgen, daß wir für soviel Unverschämtheit geschlagen werden. Es ist nur so, daß wir nicht oft Gelegenheit haben, eine solch glanzvolle Versammlung zu betrachten.«
Magnus packte mich bei den Schultern und stieß mich auf den Balkon, ins Licht. Glaucia schubste Tiro gegen mich, so daß ich rückwärts gegen die hüfthohe Mauer taumelte und sie mit beiden Händen fassen mußte, um mein Gleichgewicht zu halten. Der klaffende Abgrund unter mir löste sich in eine Graskuppe auf, auf der die Zypressen im Mondlicht seltsame Schatten warfen. Von unten hatte der Balkon nicht halb so hoch ausgesehen.
Magnus riß an meinen Haaren, kitzelte mit der Klinge das weiche Fleisch unter meinem Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. » Ich hab dein Gesicht schon mal gesehen«, flüsterte er. »Glaucia, guck mal! Woher kennen wir diesen Hund?«
Der blonde Riese musterte mich, schürzte die Lippen und runzelte die Stirn. Er schüttelte ratlos den Kopf. »Weiß nicht«, grunzte er. Dann leuchtete sein Gesicht auf. »In Ameria«, sagte er. »Weißt du nicht mehr, Magnus? Noch gar nicht lange her, auf der Straße, kurz vor dem Abzweig zu Capitos Villa. Er kam uns alleine auf einem Pferd entgegen.«
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