Schließlich öffnete sich ein Sichtschlitz, und hindurch blickten die berechnenden Augen des Eunuchen Ahausarus. Sein Blick wanderte von mir zu Tiro und dann weiter zu den beiden Mördern auf der Straße. Ich suchte noch immer stammelnd und keuchend nach Worten, als er die Tür öffnete, uns hereinließ und sie krachend wieder zuwarf.
Ahausarus weigerte sich, seine Herrin zu wecken. Er wollte uns auch nicht erlauben, über Nacht zu bleiben. Magnus konnte noch immer dort draußen auf der Lauer liegen; schlimmer noch, er konnte Glaucia losgeschickt haben, Verstärkung zu holen. Je schneller wir hier wegkamen, desto besser. Nach hastigen Verhandlungen war Ahausarus hocherfreut, uns zusammen mit einer Mannschaft gähnender Sänftenträger, die Tiro tragen sollten, sowie einigen Gladiatoren aus der persönlichen Leibwache seiner Herrin wieder loszuwerden.
»Keine weiteren Abenteuer mehr!« sagte Cicero streng. »Es ist völlig sinnlos. Wenn Caecilia am Morgen davon erfährt, wird sie entrüstet sein. Tiro hat sich verletzt. Und es ist gar nicht auszudenken, welche Konsequenzen die Sache noch hätte nach sich ziehen können - Chrysogonus in seinem eigenen Haus nachzuspionieren, während Sulla persönlich anwesend ist. Mein eigener Sklave und ein anrüchiger Spießgeselle werden dabei erwischt, wie sie in einer Privatvilla auf dem Palatin herumschleichen, während dort eine Gesellschaft zu Ehren Sullas stattfindet. Daraus ließe sich mit Leichtigkeit ein Staatsverbrechen konstruieren, oder etwa nicht? Was, wenn man euch erwischt und vor Chrysogonus geschleift hätte? Man hätte euch genausogut als Mörder wie als Einbrecher bezeichnen können. Wollt ihr meinen Kopf auf seinem Stock sehen? Und das Ganze für nichts und wieder nichts - die Eskapade hat keinerlei neue Erkenntnisse gebracht, oder doch? Nichts von Bedeutung, soweit ich erkennen kann. Deine Arbeit ist erledigt, Gordianus. Gib es auf! Alles hängt jetzt von Rufus und mir ab. In drei Tagen beginnt der Prozeß. Bis dahin will ich nichts von weiteren absurden Abenteuern hören! Halte dich raus und versuch, am Leben zu bleiben. Ich verbiete dir ausdrücklich, dieses Haus zu verlassen.«
Manche Menschen sind nicht unbedingt bester Laune, wenn sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt werden. Seit wir die Halle betreten hatten und Cicero von einem Sklaven geweckt worden war, um die bizarre nächtliche Heimsuchung durch trampelnde Leibwächter und seinen Sklaven in einer Sänfte zu begutachten, war er bissig und unhöflich gewesen. Er hatte tiefe schwarze Ringe unter den Augen. Müde oder nicht, Cicero redete ununterbrochen, während er gleichzeitig wie eine brütende Henne um Tiro herumgluckte, der bäuchlings auf dem Tisch lag, während der Hausarzt, der außerdem der Chefkoch des Haushalts war, seinen Knöchel untersuchte und ihn behutsam in verschiedene Richtungen drehte. Tiro zuckte vor Schmerz und biß sich auf die Lippen. Der Arzt nickte ernst.
»Nicht gebrochen«, sagte er schließlich, »nur verstaucht. Er hat Glück gehabt; sonst hätte er vielleicht ein Leben lang gehumpelt. Am besten man gibt ihm reichlich Wein zu trinken - das verdünnt das angestaute Blut und entspannt die Muskeln. Heute nacht sollte der Knöchel in kaltem Wasser liegen, je kälter, desto besser, damit die Schwellung abklingt. Wenn du willst, kann ich jemanden losschicken, frisches Quellwasser zu besorgen. Morgen muß der Knöchel fest verbunden werden, und dann darf er nicht belastet werden, bis der Schmerz völlig abgeklungen ist. Ich werde morgen den Schreiner beauftragen, ihm eine Krücke zu schnitzen.«
Cicero nickte erleichtert. Plötzlich begann sein Kiefer zu zittern. Seine Lippen bebten. Sein Kinn überzog sich mit Grübchen. Er öffnete den Mund zu einem breiten Gähnen, während er gleichzeitig versuchte, ihn geschlossen zu halten. Er blinzelte verschlafen. Er warf mir durch schwere Lider einen letzten abschätzigen Blick zu, schüttelte mißbilligend den Kopf in Tiros Richtung und begab sich wieder zur Ruhe.
*
Müde schlich ich in mein Zimmer. Bethesda saß hellwach im Bett und wartete auf mich. Sie hatte hinter der geschlossenen Tür gelauscht, jedoch nur Bruchteile unseres nächtlichen Abenteuers verstehen können. Sie bombardierte mich mit Fragen, und ich antwortete und antwortete. Auch dann noch, als meine gemurmelten Erwiderungen längst keinen Sinn mehr ergaben.
Irgendwann begann ich zu träumen.
In meinem Traum ruhte mein Kopf im Schoß der Göttin, die mir sanft die Stirn streichelte. Ihre Haut war wie Alabaster, ihre Lippen wie Kirschen. Obwohl meine Augen geschlossen waren, wußte ich, daß sie lächelte, weil ich ihr Lächeln wie warmes Sonnenlicht auf meinem Gesicht spüren konnte.
Eine Tür ging auf, und der Raum wurde mit Licht durchflutet. Apollo von Ephesos trat ein wie ein Schauspieler, der eine Bühne betritt, nackt und golden und von blendender Schönheit. Er kniete neben mir und kam mit dem Mund so nah an mein Ohr, daß seine weichen Lippen meine Haut berührten. Sein Atem war warm wie das Lächeln der Göttin. Er murmelte süße Worte des Trostes, die dahinplätscherten wie ein Gebirgsbach.
Unsichtbare Hände zupften eine unsichtbare Lyra, während ein unsichtbarer Chor das schönste Lied sang, das ich je gehört hatte - Strophe für Strophe von Liebe und Lobpreis, alles zu meinen Ehren. Irgendwann irrte ein wilder Riese mit einem Messer durch den Raum, die Augen mit Blut verklebt, das aus einer Wunde an seinem Kopf sickerte; aber sonst geschah nichts, was die absolute Perfektion dieses Traumes hätte verderben können.
Ein Hahn krähte. Ich schreckte zusammen und fuhr hoch, weil ich glaubte, zurück in meinem Haus auf dem Esquilin zu sein, wo ich vermeintlich Fremde im Grau der Dämmerung herumtappen hörte. Aber es waren nur Ciceros Sklaven, die sich auf den kommenden Tag vorbereiteten. Neben mir schlief Bethesda wie ein Stein, ihr schwarzes Haar wie feine Zweige auf dem Kopfkissen ausgebreitet. Ich legte mich wieder neben sie, fest überzeugt, unmöglich wieder einschlafen zu können.
*
Bevor ich die Augen geschlossen hatte, war ich schon fast wieder bewußtlos.
Um mich herum dehnte sich der Schlaf in alle Richtungen aus - formlos, traumlos, bar jeden Marksteins.
So ein Schlaf ist wie die Ewigkeit; nichts, was den Fortgang der Zeit mißt, nichts, um das Ausmaß des Raumes zu bezeichnen, ein Augenblick ist wie Äonen, ein Atom so groß wie das ganze Universum. Die ganze Vielfalt des
Lebens, Lust und Schmerz gleichermaßen, verschmilzt in eine Ureinheit, die selbst das Nichts in sich aufnimmt. Fühlt sich auch der Tod so an?
Und dann wachte ich plötzlich auf.
Bethesda saß in einer Ecke des Zimmers und flickte den Saum der Tunika, die ich am Vorabend getragen hatte. Irgendwann, vielleicht als ich gesprungen war, hatte ich ihn aufgerissen. Neben Bethesda lag ein halbes Stück Brot mit Honig.
»Wie spät?« fragte ich.
»Ungefähr Mittag.«
Ich rekelte mich. Meine Arme waren steif und schmerzten. Ich bemerkte einen großen violetten Bluterguß auf meiner rechten Schulter.
Ich stand auf. Meine Beine taten genauso weh wie meine Arme. Vom Atrium hörte ich Bienen summen und Cicero deklamieren.
»Fertig«, verkündete Bethesda. Sie hielt meine Tunika hoch und sah sehr zufrieden aus. » Ich habe sie heute morgen gewaschen. Ciceros Wäscherin hat mir eine neue Methode gezeigt. Sogar die Grasflecken sind rausgegangen. Die Luft ist so warm, daß sie schon wieder trocken ist.« Sie stellte sich hinter mich und hielt die Tunika über meinen Kopf, damit ich hineinschlüpfen konnte. Ich hob die Arme und stöhnte.
»Essen, Herr?«
Ich nickte. »Ich werde es im Peristylium im hinteren Teil des Hauses zu mir nehmen«, sagte ich. »So weit wie möglich entfernt von den Rhetorikübungen unseres Gastgebers.«
Bethesda hielt sich in meiner Nähe, bot mir an, dieses oder jenes zu holen, und las mir jeden meiner Wünsche von den Augen ab - eine Schriftrolle, etwas zu trinken, einen breitkrempigen Hut. Als sie mir einen Becher kaltes Wasser brachte, legte ich die Schriftrolle zur Seite, in der ich gelesen hatte, sah ihr in die Augen und strich mit den Fingern über ihre Hand. Sie zog ihre Hand zurück, als der alte Tiro direkt vor meinen Augen quer über den Hof ging, ohne sich an die Anstandsregeln zu halten, die Sklaven vorschrieb, sich still und unauffällig unter dem Säulengang zu bewegen. Er ging kopfschüttelnd und vor sich hin murmelnd vorbei und verschwand im Haus.
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