Er machte eine kurze Pause, und ich glaubte, er wäre fertig, aber er kam erst richtig in Fahrt. »Und das Merkwürdigste war, daß Sextus Roscius ständig auftauchte, der Sohn des Herrn. Ich hatte geglaubt, er müsse auch tot sein, weil wir sonst seine Sklaven geworden wären; aber dann dachte ich, daß er uns und das Land wohl verkauft haben mußte. Aber das war auch unwahrscheinlich, weil er doch praktisch wie ein Gefangener oder Bettler in dieser beengten Hütte auf dem Anwesen wohnte. Und dann haben wir von anderen Sklaven schließlich Gerüchte über diese angebliche Proskription gehört, was überhaupt keinen Sinn ergab. Ich dachte, die ganze Welt wäre so verrückt geworden wie Capitos Frau.
Und das Seltsamste war, wie Sextus Roscius sich benahm. Zugegeben, der Mann kannte uns kaum, weil er bei den wenigen Anlässen, zu denen er nach Rom kam, immer nur ein paar Augenblicke im Haus seines Vaters verbracht hat und wir auch nicht seine Sklaven waren. Aber man sollte doch meinen, er hätte eine Gelegenheit gefunden, uns zur Seite zu nehmen, genau wie du jetzt, um uns nach dem Tod seines Vaters zu fragen. Wir waren schließlich dabei, als es passiert ist; das muß er gewußt haben. Aber jedesmal wenn er uns traf, hat er in die andere Richtung gesehen. Und wenn er darauf wartete, Capito zu sehen - normalerweise, um ihn um Geld anzubetteln -, und einer von uns hielt sich aus irgendeinem Grund in der Halle auf, hat er lieber draußen gewartet, selbst wenn es kalt war. Als ob er Angst vor uns hätte! Ich fing an zu glauben, daß man ihm vielleicht erzählt hatte, daß wir Komplizen bei der Ermordung seines Vaters gewesen waren, als ob irgendjemand das von zwei harmlosen Sklaven annehmen könnte!«
Erneut flackerte so etwas wie die Wahrheit im Zimmer auf wie ein mattes Licht neben der Lampe, zu schwach, um Schatten zu werfen. Ich schüttelte verwirrt den Kopf. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und fuhr zusammen.
»Gordianus!« Es war Rufus, ohne das Mädchen. Chrestus und Felix wichen zurück. »Gordianus, ich muß zurück auf die Feier. Ich hab das Mädchen schon vorgeschickt. Chrysogonus hat einen Sklaven nach uns suchen lassen; Metrobios soll jeden Moment anfangen zu singen. Wenn ich bis dahin nicht zurück bin, werde ich nur ihre Aufmerksamkeit erregen.«
»Ja, gut«, sagte ich. »Geh schon vor.«
»Wirst du alleine aus dem Haus finden?«
»Natürlich.«
Er sah sich in dem Zimmer um, ihm war in der billigen Umgebung einer Sklavenunterkunft offensichtlich unbehaglich zumute. Die Rolle des Spions stand ihm nicht; er fühlte sich mehr zu Hause, wenn er im hellen Tageslicht auf dem offenen Forum den jungen Patrizier spielen konnte.
»Bist du bald fertig? Ich finde, ihr solltet hier so schnell wie möglich verschwinden. Nach Metrobius’ Vortrag ist das Unterhaltungsprogramm beendet, und alle möglichen merkwürdigen Gestalten werden durchs Haus geistern. Dann seid ihr hier nicht mehr sicher.«
»Wir werden uns beeilen«, sagte ich, packte seine Schulter und schob ihn zur Tür. »Außerdem«, sagte ich leise, »kann es doch nicht so schrecklich gewesen sein, Aufilia eine Stunde lang zu unterhalten.«
Er verzog einen Mundwinkel und schüttelte meine Hand ab.
»Ich habe doch gesehen, wie du sie in der Speisekammer geküßt hast.«
Er fuhr herum und starrte mich wütend an, warf den anderen dann einen schiefen Blick zu und machte ein paar Schritte zurück, bis sie ihn nicht mehr sehen konnten. Er sprach so leise, daß ich ihn kaum verstehen konnte. »Du solltest keine Witze darüber machen, Gordianus.«
Ich trat mit ihm auf den Flur. »Das war kein Witz«, sagte ich. »Ich habe nur gemeint -«
»Ich weiß, was du gemeint hast. Aber vertu dich nicht. Ich habe sie nicht aus Vergnügen geküßt, sondern weil ich mußte. Ich habe die Augen geschlossen und an Cicero gedacht. « Seine Gesichtszüge erstarrten, bevor er wieder ganz gelassen wirkte, wie alle Liebenden beruhigt dadurch, daß er den Namen des Geliebten aussprach. Er atmete tief ein, lächelte mich seltsam an und wandte sich dann zum Gehen. Was ich als nächstes sah, ließ meinen Herzschlag für einen Moment stocken.
»Da bist du ja, junger Messalla!« Die Stimme war wahrhaft golden, wie Honig oder Perlen in Bernstein. Er kam durch den Flur auf Rufus zu, kaum zwanzig Schritte entfernt. Einen Augenblick lang sah ich sein Gesicht und er meins. Dann fiel der Vorhang.
Ich hörte ihn durch den Stoff. »Komm, Rufus, Aufilia ist wieder bei der Arbeit, und du mußt dich wieder ins Vergnügen stürzen.« Er lachte ein tiefes, kehliges Lachen. »>Eros macht die Alten zu Narren und die Jungen zu Sklaven.< Sagt der süße Sulla immer, und der sollte es wissen. Aber ich werde nicht zulassen, daß du hier oben herumschleichst und dich nach weiteren Eroberungen umschaust, während der alte Metrobius sich die Seele aus dem Leib trällert.«
Es lag kein Argwohn in seiner Stimme, und zu meiner Erleichterung hörte ich sie im Flur verklingen, als die beiden sich zurückzogen. Aber ich wußte, was ich in seinen Augen gesehen hatte, als unsere Blicke sich trafen. Ein leichtes Runzeln war über seine glatte Stirn gehuscht, und in seinen blassen Augen war kurz Verwunderung aufgeleuchtet, als ob er sich fragte, welcher seiner zahlreichen Diener ich sein könnte, und wenn ich nicht sein Sklave war, wessen dann, und was ich während der Feier hier oben zu suchen hatte. Wenn mein Ausdruck in jenem Augenblick ebenso eindeutig war wie seiner -wenn ich nur ein Zehntel so überrascht und erschreckt ausgesehen hatte, wie ich mich fühlte -, würde Chrysogonus, so schnell er konnte, Leibwächter nach oben schicken, um der Sache nachzugehen.
Ich trat zurück in den Raum. »Rufus hat recht. Wir müssen uns beeilen. Es gibt nur noch eine Sache, nach der ich euch fragen wollte«, sagte ich; tatsächlich war es der einzige echte Grund meines Kommens. »Es gab da ein Mädchen, eine Sklavin, eine Hure - jung, blond und hübsch. Aus dem Haus der Schwäne - Elena.«
In ihren Augen las ich, daß sie sie kannten. Sie tauschten einen verschwörerischen Blick aus, als wollten sie entscheiden, wer das Wort ergreifen sollte. Schließlich räusperte sich Felix.
»Ja, das Mädchen Elena. Der Herr hat sie sehr gern gehabt.«
»Wie gern?«
Es entstand ein angespanntes Schweigen. Ich stand in der Tür und bildete mir ein, Geräusche aus dem Flur zu hören. »Schnell« sagte ich.
Es war Chrestus, der weitersprach - der emotionale Chrestus, der eben geweint hatte. Aber seine Stimme war flach und monoton. »Das Haus der Schwäne, sagst du, also weißt du, woher sie kam. Dort hat der Herr sie gefunden. Sie war von Anfang an anders als all die anderen. Zumindest glaubte das der Herr. Wir waren nur überrascht, daß er sie so lange dort ließ. Er zögerte die Entscheidung hinaus, wie ein Mann vielleicht zögert, eine Braut zu nehmen. Als ob es sein Leben grundsätzlich verändern würde, wenn er sie ins Haus holte, und er sich als alter Mann, der er war, nicht sicher wäre, ob er diese Veränderung noch wollte. Schließlich hatte er sich dazu durchgerungen, sie zu kaufen, aber der Bordellbesitzer war ein zäher Verhandlungspartner; immer wieder hielt er unseren Herrn hin und trieb den Preis in die Höhe.
Sextus Roscius wurde immer verzweifelter. Wegen einer Nachricht von Elena hat er auch an jenem Abend Caecilia Metellas Gesellschaft verlassen.«
»Wußte er, daß sie schwanger war? Wußtet ihr es?«
Sie sahen sich nachdenklich an. »Damals wußten wir es noch nicht«, sagte Chrestus, »aber später war es nicht zu übersehen.«
»Später, als sie in Capitos Haus gebracht wurde?«
»Ah, ja, das weißt du also auch. Dann weißt du vielleicht auch, was sie am Abend ihrer Ankunft mit ihr getrieben haben. Sie haben versucht, ihren Körper zu zerbrechen. Sie haben versucht, das Kind in ihrem Leib zu töten, obwohl sie keine offene Abtreibung vornehmen wollten - aus irgendeinem Grund glaubte Capito, daß das die Götter erzürnen würde. Man stelle sich das vor, ein Mann, an dessen Händen so viel Blut klebt! Er hatte Angst vor dem ungeborenen Leben und dem Geist der Toten, obwohl er die Lebenden mit Freuden erwürgen konnte.«
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