Während ich mich wusch und anzog, besorgte Tiro aus der Küche Brot und eine Schale mit Früchten. Ich aß alles auf und ließ ihn mehr holen. Ich war völlig ausgehungert, und weder die Hitze noch Ciceros fortwährende Litaneien oder seine Selbstbeweihräucherungen konnten mir den Appetit verderben.
Schließlich trat ich mit Tiro durch die Vorhänge ins helle Sonnenlicht des Gartens. Cicero blickte von seinem Text auf, aber bevor er etwas sagen konnte, tauchte Rufus hinter ihm auf.
»Cicero, Gordianus, hört euch das an. Ihr werdet es nicht glauben. Es ist ein absoluter Skandal.« Cicero drehte sich um und zog eine Augenbraue hoch. »Es ist natürlich nur ein Gerücht, aber ich bin sicher, daß wir das irgendwie verifizieren können. Weißt du, was sämtliche Güter von Sextus Roscius zusammen wert sind?«
Cicero zuckte leicht mit den Schultern und gab die Frage an mich weiter.
»Eine Reihe von Bauernhöfen«, überschlug ich, »einige von ihnen in bester Lage unweit der Mündung des Nar in den Tiber; eine wertvolle Villa auf dem Hauptgut bei Ameria, dann noch der Besitz in der Stadt - mindestens vier Millionen Sesterzen.«
Rufus schüttelte den Kopf. »Eher sechs Millionen. Und was, glaubst du, hat Chrysogonus - ja, der Goldengeborene höchstpersönlich, nicht Capito oder Magnus was glaubst du, hat er bei der Auktion für das gesamte Paket bezahlt? Zweitausend Sesterzen. Zweitausend!«
Cicero war sichtlich schockiert. »Unmöglich«, sagte er. »So gierig ist nicht einmal Crassus.«
»Oder so unverfroren«, sagte ich. »Wie hast du das herausgefunden?«
Rufus lief rot an. » Das ist das Problem. Und der Skandal! Einer der offiziellen Auktionatoren hat es mir erzählt. Er hat das Gebot selbst entgegengenommen.«
Cicero warf die Hände in die Luft. »Der Mann würde nie vor Gericht aussagen!«
Rufus schien verletzt. »Natürlich nicht. Aber er war immerhin bereit, mit mir zu reden. Und ich bin sicher, er hat nicht übertrieben.«
»Das spielt keine Rolle. Wir brauchen eine Verkaufsurkunde. Und natürlich den Namen Sextus Roscius auf den Proskriptionslisten.«
Rufus zuckte mit den Schultern. »Ich habe den ganzen Tag gesucht und nichts gefunden. Die offiziellen Unterlagen sind natürlich eine Katastrophe. Man kann erkennen, daß sie durchwühlt und nachträglich verändert worden sind, womöglich sogar teilweise entwendet. Die staatlichen Urkunden aus der Zeit zwischen den Bürgerkriegen und den Proskriptionen befinden sich in einem unmöglichen Zustand.«
Cicero strich sich nachdenklich über die Lippen. »Wenn wir feststellen, daß der Name Sextus Roscius auf die Proskriptionslisten gesetzt wurde, können wir sicher davon ausgehen, daß es sich um einen Betrug handelt. Und doch würde es seinen Sohn entlasten.«
»Und wenn nicht, wie können Capito und Chrysogonus dann rechtfertigen, daß sie den Besitz behalten?« fragte Rufus.
»Das«, unterbrach ich, »ist zweifellos der Grund, warum Chrysogonus und seine Kumpane Sextus am liebsten ganz aus dem Weg schaffen würden, wenn möglich mit legalen Mitteln. Wenn die Familie erst einmal ausgelöscht ist, wird es niemanden mehr geben, der sie herausfordern kann, und die Frage, ob es sich um eine Ächtung oder einen Mord gehandelt hat, wird ungeklärt bleiben. Der Skandal ist für jeden offenkundig, der auch nur beiläufig nach der Wahrheit fragt; deswegen reagieren sie so verzweifelt und so brutal. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als jeden zum Schweigen zu bringen, der etwas weiß oder sich dafür interessiert.«
»Dennoch«, sagte Cicero, »kommt es mir mehr und mehr so vor, als seien ihnen die öffentliche Meinung oder selbst die Entscheidungen des Gerichts völlig egal. Ihr Hauptanliegen ist es, den Skandal vor Sulla geheimzuhalten. Ich glaube ernsthaft, daß er nichts davon weiß, und sie sind verzweifelt bemüht, daß es dabei bleibt.«
»Durchaus möglich«, sagte ich. »Und sie verlassen sich auch ohne Zweifel darauf, daß dein Selbsterhaltungstrieb dich davon abhält, diesen häßlichen Skandal vor der Rostra zu enthüllen. Du kannst dich unmöglich bis zur Wahrheit Vorarbeiten, ohne Sullas Namen hineinzuziehen. Du müßtest ihn zumindest in eine peinliche Situation bringen, schlimmstenfalls sogar beschuldigen. Man kann den Ex-Sklaven nicht anklagen, ohne seinen Freund und früheren Herrn zu beleidigen.«
»Also wirklich, Gordianus, hältst du so wenig von meinen rhetorischen Fähigkeiten? Natürlich werde ich auf des Messers Schneide balancieren müssen. Aber Diodotus hat mich gelehrt, sowohl dem Takt wie der Wahrheit verpflichtet zu sein. In der Obhut eines klugen und ehrlichen Anwalts müssen nur die Schuldigen die Waffen der Redekunst fürchten, und ein wahrhaft weiser Redner wendet sie nie gegen sich selbst.« Er warf mir sein selbstbewußtestes Lächeln zu, aber ich dachte im stillen, daß das, was ich bisher von seiner Rede gehört hatte, den eigentlichen Skandal nur streifte. Das Publikum mit unerklärlichen Geschichten von nächtlings ermordeten Leichen zu schockieren und sie mit epischen Erzählungen einzulullen war eine Sache; den Namen Sullas fallen zu lassen war, beim Herkules, eine ganz andere.
Ich warf einen Blick auf die Sonnenuhr. Uns blieb noch eine halbe Stunde, bevor die junge Roscia ungeduldig werden würde. Ich verabschiedete mich von Rufus und Cicero und legte meine Hand auf Tiros Schulter, als wir das Haus verließen. Hinter mir hörte ich, wie sich Cicero sofort wieder in seine Rede stürzte und Rufus mit seiner Lieblingsstelle ergötzte: »Denn welcher Wahnsinnige, welcher zutiefst verdorbene Auswurf der Menschheit, bringt über sich und sein Haus solchen Fluch nicht nur der Menschen, sondern auch der Götter? Ihr wißt, werte Römer...« Ich sah mich um und beobachtete, wie Rufus jedem Wort und jeder Geste mit einem Blick atemloser Bewunderung folgte.
Erst jetzt fiel mir auf, daß Cicero, bevor wir gingen, kein Wort zu Tiro gesagt hatte und ihn nur mit einem kühlen Nicken entlassen hatte, als er sich zum Gehen wandte. Welche Worte auch immer zwischen ihnen wegen Tiros Benehmen gefallen waren, ich erfuhr sie nicht, weder von Tiro noch von Cicero; und Cicero erwähnte die Affäre, zumindest in meiner Gegenwart, nie wieder.
*
Tiro war schweigsam, als wir das Forum überquerten und den Palatin hinaufstiegen. Als wir uns dem Ort des Stelldicheins näherten, wurde er zusehends nervöser, und seine Miene so finster wie die Maske eines Schauspielers. Als wir in Blickweite des kleinen Parks waren, faßte er meinen Ärmel und blieb stehen.
»Kann ich sie zuerst allein treffen, nur einen Moment? Bitte?« fragte er mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen wie ein Sklave, der um Erlaubnis bittet.
Ich atmete tief ein. »Ja, sicher. Aber nur einen Moment. Und sag nichts, was sie in die Flucht treiben könnte.« Ich stand im Schatten eines Weidenbaumes und beobachtete, wie er mit schnellen Schritten auf den Durchgang zwischen den hohen Mauern der angrenzenden Villen zuging. Er verschwand im Buschwerk, versteckt von Eiben und wild wuchernden Rosen.
Was er ihr in dieser grünen Laube sagte, weiß ich nicht. Ich hätte ihn fragen können, aber das tat ich nicht, und er kam nie von sich aus darauf zu sprechen. Vielleicht hat Cicero ihn später verhört und die Details erfahren, aber das halte ich für unwahrscheinlich. Manchmal hat sogar ein Sklave ein Geheimnis, wenn es ihm schon verwehrt bleibt, sonst etwas auf dieser Welt zu besitzen.
Ich wartete nicht lange, kürzer als ich geplant hatte; in jedem Augenblick, der verstrich, sah ich das Mädchen vor meinem inneren Auge durch den entfernten Ausgang des Parks fliehen, bis ich nicht länger stehenbleiben konnte. Einen passenden Moment, ihr die Wahrheit zu entlocken, würde es nicht geben, doch dies war die beste Gelegenheit, auf die ich hoffen konnte.
Der kleine Park war schattig und kühl, aber stickig von Staub. Staub lag auf den verdorrten Rosen- und Efeublättern, die sich an den Mauern hochrankten. Staub stieg vom Boden auf, wenn man seine Schritte auf die dünnen und vertrockneten Stellen im Gras setzte. Zweige knackten und Blätter raschelten, als ich mir einen Weg durch das Gebüsch bahnte; sie hörten mich kommen, obwohl ich bemüht war, möglichst leise zu sein. Ich erspähte sie durch das Gestrüpp und stand im nächsten Moment vor der steinernen Bank, auf der sie nebeneinander Platz genommen hatten. Das Mädchen starrte mich mit den Augen eines verängstigten Tieres an. Sie wäre davongestürzt, wenn Tiro sie nicht fest am Handgelenk gepackt hätte.
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