Dann drehte er sich ganz langsam um und sah mich.
Jetzt erwiderte er das Lächeln, das ich ihm zuvor geschenkt hatte, mit einem furchtbaren, klaffenden Grinsen.
Er mußte sich in Sekundenschnelle auf mich gestürzt haben, obwohl es mir so vorkam, als würde er sich mit einer nachdenklichen und unmöglichen Langsamkeit bewegen. Ich hatte alle Zeit der Welt zu beobachten, wie er den Dolch hochriß, den plötzlichen Knoblauchschwall in meiner Nase zu spüren, über das angespannte, zuckende Grinsen in seinem Gesicht zu grübeln und mich töricht zu fragen, welchen Grund er haben konnte, mich so wenig zu mögen.
Mein Körper war klüger als mein Hirn. Irgendwie war es ihm gelungen, das Handgelenk des Angreifers zu packen und den Dolch abzulenken. Er kratzte mir kaum wahrnehmbar über die Wangen und hinterließ eine schmale rote Spur, die ich erst viel später spürte. Plötzlich war ich platt an die Wand gedrückt und die Luft aus mir herausgetrieben, so verwirrt, daß ich einen Moment lang glaubte, ich läge flach auf dem Boden und das volle Gewicht von Rotbarts Körper lastete auf meiner Brust.
Mit einer gewundenen Drehung taumelten wir zu Boden wie aus dem Tritt gekommene Akrobaten. Wie in der Brandung von den Füßen gerissene Ertrinkende rollten wir umher, so daß ich nie wußte, wo unten und oben war. Die Spitze des Dolches kitzelte meine Kehle, aber es gelang mir jedesmal, dem Stoß seines Arms im letzten Moment eine andere Richtung zu geben. Er war geradezu lächerlich stark, mehr wie ein Sturm oder eine Lawine als wie ein Mann. Im Kampf mit ihm kam ich mir vor wie ein kleiner Junge. Ich hatte keine Hoffnung, ihn zu besiegen. Ich konnte nur versuchen, von einem zum nächsten Moment zu überleben.
Plötzlich fiel mit Bethesda ein, und ich wußte, daß sie bereits tot sein mußte, genau wie Zoticus. Warum hatte er mich bis zum Schluß geschont? Und dann sauste auf einmal ein Knüppel auf Rotbarts Schädel nieder.
Während er über mir schwankte, nahm ich hinter seiner Schulter für einen Moment Bethesda wahr. In der Hand hielt sie den Holzbalken, mit dem die Tür verriegelt wurde. Er war so schwer, daß sie ihn kaum schwingen konnte. Sie wollte erneut ausholen, geriet jedoch unter seinem Gewicht ins Stolpern und taumelte rückwärts. Rotbart kam wieder zu Sinnen. Blut rann aus einer Platzwunde am Hinterkopf und tropfte auf seinen Bart und seine Lippen, was ihm das Aussehen eines tollwütigen Tieres im Blutrausch verlieh. Er kämpfte sich auf die Knie, fuhr herum und hob seinen Dolch. Ich schlug gegen seine Brust, brachte jedoch nicht die nötige Kraft auf.
Bethesda stand aufrecht mit erhobenem Balken. Rotbart stach mit dem Dolch zu, schlitzte jedoch nur ihr Gewand auf. Rasch drehte er sich in die andere Richtung und bekam mit der freien Hand einen Fetzen zu fassen. Er zog heftig daran, und Bethesda fiel nach hinten. Der Balken sauste mit der ganzen Kraft seines eigenen Gewichtes nach unten. Ob mit Absicht oder zufällig, er traf Rotbart jedenfalls direkt auf dem Kopf, und als er über mir zusammenbrach, packte ich seinen zustechenden Arm und richtete ihn gegen seine eigene Brust.
Die Klinge versank bis zum Knauf in seinem Herz. Sein Gesicht war direkt über mir, er verdrehte die Augen und klappte den Mund auf. Knoblauchgestank und der Geruch seiner faulen Zähne schlug mir entgegen. Ich rollte mich hastig zur Seite, während er einen verzweifelten rasselnden Atemzug machte. Dann zuckte er heftig und sank in sich zusammen, als sei irgend etwas in ihm explodiert. Einen Augenblick später schoß ein Blutschwall aus seinem offenen Mund.
Irgendwo ganz weit weg schrie Bethesda. Ein großes, massives totes Etwas lag schwer auf mir, zuckend und Galle ausstoßend, bis meine Augen blind und Nase und Mund bedeckt, ja selbst meine Ohren verstopft waren. Ich versuchte, mich freizustrampeln, lag jedoch hilflos da, bis Bethesda mir zur Hilfe kam. Schließlich rollte die massive Leiche auf den Rücken und starrte mit hängendem Kinn zur Decke.
Ich kämpfte mich auf die Knie. Wir klammerten uns aneinander, beide so heftig zitternd, daß wir uns kaum umarmen konnten. Ich spuckte Blut und schnaubte und wischte mir das Gesicht am Oberteil ihres sauberen weißen
Gewands ab. Wir streichelten uns und stammelten sinnlose Worte des Trostes wie Überlebende einer gewaltigen Verwüstung.
Die Lampe brannte zischend nieder und warf zitternd groteske Schatten an die Wand, so daß es aussah, als ob die unbeweglichen Leichen noch zuckten. Die eigenartige Geographie der Nacht jedoch war ungebrochen: Wir waren Liebende aus einem Gedicht, die sich nackt und halbnackt auf Knien an einem großen, stillen See umarmten. Nur daß der See aus Blut war - so viel Blut, daß ich mein Spiegelbild darin sehen konnte. Ich starrte mir in die Augen und kam mit einem Schock zur Besinnung. Mir wurde endlich bewußt, daß ich mich nicht in einem Alptraum befand, sondern mitten im Herzen der großen, schlummernden Stadt Rom.
22
»Ganz offensichtlich«, sagte ich, »war die Botschaft als Warnung an dich gemeint, Cicero.«
»Aber wenn er vorhatte, dich und deine Sklavin zu ermorden, warum hat er dann nicht erst das Gemetzel erledigt?
Warum hat er dich nicht einfach im Schlaf ermordet und die Botschaft hinterher geschrieben?«
Ich zuckte die Schultern. »Weil er schon genug Blut zur Verfügung hatte, welches aus Zoticus’ aufgeschlitzter Kehle sprudelte. Weil im Haus alles ruhig war und er keine Angst hatte, daß ich aufwachen würde. Weil er, wenn er die Botschaft bereits geschrieben hatte, für den Fall, daß es irgendwelche unvorhergesehene Komplikationen geben oder wir vor unserem Tod schreien würden, das Haus sofort verlassen konnte. Vielleicht hat er auch auf einen weiteren Mörder gewartet. Ich weiß es nicht, Cicero. Ich kann nicht für einen Toten sprechen. Aber er wollte mich umbringen, dessen bin ich sicher. Und die Warnung war für dich.«
Der Mond war untergegangen. Die dunkelsten Stunden der Nacht waren angebrochen, auch wenn die Dämmerung nicht mehr fern sein konnte. Bethesda befand sich irgendwo in den Sklavenquartieren und schlief fest, wie ich hoffte. Rufus, Tiro und ich saßen inmitten von zischenden Kohlenbecken, während unser Gastgeber grimassierend und sein Kinn reibend auf und ab lief.
Sein Gesicht wirkte abgespannt, und sein Kinn war mit Stoppeln übersät, aber seine Augen blitzten und funkelten alles andere als schläfrig - so hatte er ausgesehen, als Bethesda und ich nach einer mitternächtlichen Flucht durch die halbe Stadt an seine Tür klopften. Erstaunlicherweise war Cicero noch wach und das Haus hell erleuchtet gewesen. Ein Sklave mit verquollenen Augen hatte uns ins Arbeitszimmer geführt, wo Cicero mit einem Bündel Pergamentrollen in den Händen laut lesend auf und ab ging, wobei er gelegentlich an einer Schale dampfender Lauchsuppe nippte - Hortensius’ Geheimrezept, um die Stimme geschmeidiger zu machen.
Er hatte unter Tiros Mithilfe fast den kompletten ersten Entwurf seiner Rede zur Verteidigung von Sextus Roscius fertiggestellt, nachdem er den ganzen Abend ohne Pause daran gearbeitet hatte. Er hatte sie an Tiro und Rufus ausprobiert, als wir blutbespritzt und zitternd vor seiner Tür ankamen.
Bethesda verschwand schnell in der Obhut von Ciceros Haushälterin, die versprach, sich um sie zu kümmern. Cicero bestand darauf, daß ich mich zuallererst wusch und eine frische Toga anlegte. Ich hatte mein Bestes getan, aber im Licht der Lampen in seinem Arbeitszimmer entdeckte ich immer wieder kleine Spritzer getrockneten Bluts an Fingernägeln und Füßen.
»Jetzt liegen also zwei Leichen in deinem Haus«, sagte Cicero und rollte die Augen. »Na gut, ich werde morgen jemand vorbeischicken, der sich darum kümmert. Weitere Kosten! Der Besitzer von Zoticus wird garantiert alles andere als begeistert sein, wenn man ihm einen toten Leibwächter zurückbringt; eine finanzielle Regelung wird gefunden werden müssen. Du bist wie eine Amphore ohne Boden, in die ich ständig Münzen werfe, Gordianus.
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