Monchae stand auf der untersten Treppenstufe, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und stöhnte leise. Fidelma holte den Krug mit corma , goß sich davon ein und nahm einen kräftigen Schluck. Dann füllte sie einen anderen Holzbecher und reichte ihn der Frau.
»Hast du das gehört? Hast du es gesehen?«, jammerte die Wirtin.
Fidelma nickte nur. Belach nagte an den Lippen. »Das ist der Geist von Mugrán. Unser Schicksal ist besiegelt.«
»Unsinn!«, entrüstete sich Fidelma.
»Und wie erklärst du dir das da?« Belach wies auf den Tisch. Der war leer. Dabei hatte der Dudelsack dort gelegen, als sie wieder ins Bett gegangen war.
»Bis die Sonne aufgeht, dürfte es noch zwei Stunden dauern«, meinte Fidelma bedächtig. »Ich möchte, dass ihr euch beide in eure Schlafstube zurückzieht. Mit dem hier unten muss ich allein fertig werden. Was ihr auch hört, ich möchte, dass ihr solange oben bleibt, bis ich euch rufe.«
Belach starrte sie an, seine Züge waren bleich und angstverzerrt. »Du willst dich doch nicht auf einen Kampf mit dieser verderblichen Macht einlassen?«
»Doch, das will ich«, sagte sie mit allem Nachdruck.
Er schüttelte bekümmert den Kopf und half seiner Frau die Treppe hinauf. Fidelma blieb im Dunkeln zurück und überlegte. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, egal, was sich in diesem einsamen Gasthaus zusammenbraute, es würde über kurz oder lang zum Ausbruch kommen. Vielleicht sogar noch vor Sonnenaufgang. Von zwingender Logik war das nicht, doch Fidelma hatte längst die Erfahrung gemacht, dass es unklug war, seinem Instinkt zu misstrauen.
Sie tastete sich zum anderen Ende der Gaststube bis zu einem Alkoven. Das Einzige, das dort stand, war eine breite Holzbank. Sie ließ sich darauf nieder, hüllte sich in ihren Umhang und wartete. Worauf, wusste sie nicht. Aber sie war davon überzeugt, nicht lange warten zu müssen, bis sich wieder etwas ereignete.
Sie sollte recht behalten. Schon bald hörte sie abermals die Töne der Sackpfeife. Diesmal war es nicht das sanfte Wiegenlied, sondern eine Trauerweise, die herzzerreißende Klage des gol-traige , voller Schmerz, Wehmut und Verlangen.
Fidelma neigte den Kopf, suchte zu ergründen, aus welcher Richtung die Töne kamen. Von draußen offenbar nicht, es klang eher wie ein Echo drinnen im Haus, drang durch die Dielen, durch die Wände, hallte wider von den Dachbalken.
Es überlief sie kalt. Noch konnte sie sich nicht entschließen, die Quelle zu suchen, betete aber, Monchae und Belach würden sich an ihre Weisung halten und in ihrer Kammer bleiben.
Sie wartete, bis das Lied zu Ende war. Jetzt herrschte Stille in dem alten Haus. Dann hörte sie etwas, hörte das Geräusch, von dem sie das erste Mal wach geworden war – ein leises Schlurfen. Sie beugte sich vor, hatte Mühe, im Dunkeln etwas zu erkennen. Aus dem Fußboden schien eine Gestalt zu wachsen; langsam schob sie sich am anderen Ende des Raums hoch.
Ihr stockte der Atem. Die Gestalt richtete sich zu voller Größe auf, trug etwas unter dem Arm, augenscheinlich den Dudelsack, und ging, merkwürdig hinkend, auf den Tisch zu. Immer wenn das Licht der auf dem Herd glühenden Torfsoden den Umhang der Erscheinung streifte, glitzerte es, als ob Myriaden winziger Fünkchen tanzten.
Fidelma stand auf. »Schluss mit dem Verwirrspiel«, rief sie energisch.
Das Wesen ließ den Dudelsack fallen und fuhr herum, suchte zu erfassen, wer da sprach, und holte erschrocken tief Luft. »Bist du das, Monchae?«, zischte es höhnisch.
Und ehe sich Fidelma versah, flog die Gestalt quer durch den Gastraum auf sie zu. Im flackernden Schein des Herdfeuers nahm sie das Aufblitzen einer erhobenen Klinge wahr, umklammerte instinktiv mit beiden Händen den ausholenden Arm und stemmte sich gegen den Angreifer, um die Wucht seines Körpers abzufangen.
Der grunzte wütend, als sein Überraschungsangriff fehlschlug. Der Zusammenstoß ihrer Leiber warf Fidelma zurück in den Alkoven und gegen die Holzbank. Sie stöhnte auf vor Schmerz. Ihr Gegner hatte ihren Griff abschütteln können und hob erneut das Messer.
»Du hättest besser fliehen sollen, Monchae, solange die Gelegenheit war«, knurrte eine Männerstimme. »Weder dir noch deinem Alten wollte ich etwas antun. Wollte euch nur aus dem Gasthof vertreiben. Aber jetzt musst du sterben!«
Fidelma sprang zur Seite, suchte fieberhaft nach einer Waffe, nach etwas, womit sie sich verteidigen konnte. Ihre Hände bekamen einen Gegenstand zu fassen. Undeutlich erkannte sie die Alabasterfigur der Madonna mit Kind. Sie schwang die Figur wie eine Keule, traf den Unhold seitlich am Kopf und war nicht wenig erstaunt, mit welchem Schwung ihr das gelang. Wie nicht anders von einer Gipsstatuette zu erwarten zersprang die Alabasterfigur in Stücke. Aber ihr Aufprall war so heftig, dass sie ihn in der Hand und im Arm spürte. Dazu klatschte es widerlich, als würde etwas Hartes auf Fleisch treffen.
Ihr Gegner röchelte seltsam und stürzte zu Boden. Sie hörte noch, wie etwas auf die Dielen glitt, – es war sein Messer, das ihm aus der Hand fiel.
Laut rief sie nach oben: »Ihr könnt herunterkommen! Euren Geist habe ich erledigt!« Dann tappte sie im Dunkeln umher, bis sie eine Kerze fand und sie anzündete.
Ihr Widersacher lag mit ausgestreckten Armen auf der Seite. Es war ein junger Mann. Entsetzt zuckte sie zusammen beim Anblick der tiefen Wunde an seiner Schläfe. Sie fühlte nach dem Puls, der war jedoch nicht mehr zu spüren.
Verwirrt schaute sie um sich. Ein bloßer Hieb mit einer Gipsfigur konnte doch niemanden töten! Überall lagen Gipsstücke herum. Mitten darunter sah sie eine in Sacktuch eingenähte Rolle. Sie war etwa einen Fuß lang und hatte einen Durchmesser von einem Zoll. Fidelma bückte sich und hob sie auf. Sie war ziemlich schwer. Mit einem Seufzer legte sie den Fund zurück.
Monchae und Belach kamen die Treppe herabgeschlichen.
»Belach, hast du eine Laterne?«, fragte Fidelma und richtete sich auf.
»Ja, was gibt es?«
»Zünde sie bitte an. Ich glaube, wir haben des Rätsels Lösung.« Sie war zu der Stelle gegangen, an der die Gestalt aus dem Boden aufgetaucht war, und stand vor einer Luke. Stufen führten hinunter in einen unterirdischen Gang.
Belach kam mit der Lampe. »Was ist geschehen?«, fragte er.
»Euer Geist war einfach nur ein Mann.«
Monchae stöhnte auf. »Mugrán etwa? Ist der doch nicht am Loch Derg gefallen?«
Fidelma lehnte sich an die Tischkante und schüttelte den Kopf. Sie nahm den Dudelsack in die Hand, den der unheimliche Besucher auf den Tisch geworfen hatte.
»Nein, es war wohl eher jemand, der ihm ähnelte und dessen Stimme dir so ähnlich klang wie die von Mugrán. Schau dir sein Gesicht an, Monchae. Vielleicht erkennst du ihn ja?«
Ihr Aufschrei bestätigte Fidelma, dass ihre Vermutung stimmte.
»Das ist Cano, Mugráns Bruder«, stellte Monchae fassungslos fest.
»Aber warum? Wie ist das möglich?«
»Das ist eine traurige, aber offenbar ganz einfache Geschichte. Cano ist nicht erschlagen worden am Loch Derg, wie man euch berichtet hat. Vielleicht war er nur schwer verwundet und ist schließlich zurückgekehrt. Ich vermute, er hinkte nicht, als er in die Schlacht zog.«
»Nein, ganz und gar nicht«, bestätigte die Wirtin.
»Mugrán war tot. Da hat er Mugráns Dudelsack an sich genommen. Warum es so lange dauerte, bis er hier auftauchte, werden wir nie erfahren. Vielleicht brauchte er bislang kein Geld, oder der Einfall ist ihm eben erst jetzt gekommen …«
»Ich versteh das alles nicht«, sagte Monchae und sank auf einen Stuhl neben dem Tisch.
»Cano hat sich erinnert, dass Mugrán Geld hinterlassen hat. Ziemlich viel sogar hatte er zusammengespart. Mugrán hatte dir versichert, falls er sterben sollte, würdest du keine Not leiden, es sei genug Geld im Gasthof. Das war doch so, nicht wahr?«
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