»Steh uns bei, Schwester«, flüsterte Monchae. »Ich fürchte, Mugrán ist gekommen und will unsere Seelen holen … Aus Rache, weil ich Belach liebe und nicht ihn.«
»Wie kommst du darauf?«, meinte Fidelma leicht spöttisch.
»Ich habe ihn gehört. Ich habe seine Stimme gehört, aus der Anderswelt hat er gestöhnt: ›Ich bin allein! So allein!‹, hat er gerufen. ›Komm zu mir, Monchae!‹ Ah, oft und oft habe ich es gehört, diese Geisterklage!«
Fidelma sah der Frau an, dass es ihr völlig ernst damit war.
»Du hast das wirklich gehört? Wann und wo war das?«
»Vor drei Tagen in der Scheune. Ich hab die Ziegen gemolken, wir machen Käse aus der Milch. Da habe ich Mugrán flüstern gehört. Ich schwöre, das war seine Stimme. Überall um mich herum war die Stimme.«
»Hast du gesucht, woher die kam?«
»Suchen? Nach einem Geist?« Monchae klang aufgebracht. »Gerannt bin ich, was ich konnte, ins Haus hinein, hab mich an mein Kruzifix geklammert.«
»Gesucht habe ich«, versicherte Belach gelassen. »Hab alles abgesucht, denn wie du, Schwester, suche ich Erklärungen erst in dieser Welt, bevor ich die Anderswelt in Betracht ziehe. Weder in der Scheune noch im Gasthaus habe ich jemand gefunden, von dem diese Laute kommen konnten. Doch ich hatte so meine Zweifel, genau wie du, Schwester. Ich habe unseren Esel genommen und bin hinunter ins Tal geritten zum Gehöft von Dallán. Das ist der Stammesfürst, der mit Mugrán zum Loch Derg gezogen war. Er hat Stein und Bein geschworen, Mugrán ist seit sechs Jahren tot. Er hat den Leichnam selbst gesehen. Was sonst hätte ich noch machen können?«
Fidelma nickte nachdenklich.
»Also, Monchae, nur du hast Mugrán reden gehört?«
»Nein!«, rief Belach überraschend dazwischen. »Bei Patrick und allen Aposteln, ich hab die Stimme auch gehört.«
»Und was hat diese Stimme zu dir gesagt?«
»Sie hat gesagt: ›Hüte dich, Belach. Du stehst in den Schuhen eines Toten, aber ohne den Segen seines Geistes.‹ Das und nichts anderes hat sie gesagt.«
»Und wo hast du das gehört?«
»Wie Monchae in der Scheune, da hat die Stimme zu mir gesprochen.«
»Na schön. Ihr habt einen toten Raben gesehen, habt einen Dudelsack von weitem spielen gehört und habt eine Stimme vernommen, von der ihr meint, es sei die von Mugrán. Und doch muss es eine vernünftige Erklärung dafür geben.«
»Erklärung?«, fuhr Monchae auf. »Dann erklär mir doch bitte Folgendes, Schwester. Gestern Nacht hab ich die Musik wieder gehört. Ich bin davon aufgewacht. Der Schneesturm hatte sich gelegt, der Himmel war klar, und der Mond schien. Bei dem Schnee war es hell wie am Tage. Da hörte ich die Musik von neuem.
Ich nahm allen Mut zusammen und bin ans Fenster gegangen, habe die Fensterladen aufgestoßen. Von da sieht man einen Hügel, keine hundert Schritte entfernt, einen kleinen schneebedeckten Hügel. Da stand ein Mann drauf, hielt einen Dudelsack in den Händen und spielte ein Klagelied. Dann hat er eine Pause gemacht, hat mich angeschaut und gerufen: ›Ich bin so allein, Monchae. Bald hole ich dich. Dich und Belach.‹ Danach hat er sich umgedreht und …«
Sie schluchzte auf und sank Belach in die Arme.
Fidelma schaute sie ratlos an. »War das eine Gestalt aus Fleisch und Blut?«
Angsterfüllt blickte sie zu Fidelma hin. »Das ist es ja. Der Körper schimmerte richtig.«
»Schimmerte?«
»Da war so ein seltsames Leuchten drum herum, es leuchtete wie eine geisterhafte Flamme. Ganz bestimmt war das ein Dämon aus der Anderswelt.«
Fidelma wandte sich Belach zu. »Hast du diese Erscheinung auch erblickt?«, fragte sie ihn und wartete fast darauf, dass er es bejahte.
»Nein. Ich habe Monchae aufschreien gehört, und davon wurde ich wach. Sie hat mir erzählt, was sie eben erlebt hatte, und da bin ich in der Nacht gleich hinausgegangen zu dem Hügel. Hatte gehofft, Spuren zu finden, dass da ein Mensch gestanden hatte. Doch gefunden habe ich nichts.«
»Keinerlei Anzeichen im Schnee, dass da jemand gewesen war?«
»Ich sage dir ja, nichts von einer menschlichen Spur war da. Der Schnee war frisch gefallen. Bloß etwas war merkwürdig …«
»Was war merkwürdig?«
»Auf dem Schnee lag ein seltsames Leuchten, es glitzerte irgendwie unheimlich.«
»Aber Fußabdrücke oder sonstige Spuren hast du nicht gesehen?«
»Nein.«
Die Frau schluchzte vor sich hin. »Das alles ist wahr, Schwester, ist wirklich wahr. Der Geist von Mugrán wird uns bald holen. Unsere Tage auf Erden sind gezählt.«
Fidelma schloss die Augen und dachte eine Weile angestrengt nach. »Nur der Lebendige Gott entscheidet, welche Lebensspanne dir zugemessen ist«, sagte sie halb geistesabwesend.
Beklommen standen die Wirtsleute da und betrachteten Fidelma, die sich in der Wärme des Feuers räkelte. Schließlich meinte sie: »Da ich nun einmal hier bin, brauche ich was zu essen und ein Bett für die Nacht.«
Zustimmend neigte Belach das Haupt. »Das sollst du haben, Schwester. Sei uns willkommen. Aber ob du so gut bist und ein Gebet vor Unserer Lieben Frau sprichst? Damit dieser grässliche Spuk aufhört. Sie ist die gebenedeite Mutter unseres Herrn Jesus und fordert gewiss nicht unseren baldigen Tod.«
Fidelma machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ich würde nicht gleich alle Übel der Welt der Heiligen Familie aufbürden«, meinte sie tadelnd. Doch als sie ihre verängstigten Mienen sah, fügte sie sich dem Gottverständnis der beiden. »Ich werde für euch zu Unserer Lieben Frau beten. Aber jetzt bringt mir was zu essen.«
Irgendetwas ließ Fidelma aufwachen. Ihr Herz schlug rascher, ihr Körper war angespannt. Das Geräusch hätte auch zu ihrem Traum gehören können. Ein schwerer Gegenstand war herabgefallen. Reglos lag sie da und überlegte, was es gewesen sein könnte. Offensichtlich hatte der Sturm nachgelassen. Hinter den Fensterladen der kleinen Kammer, die ihr Monchae zum Schlafen zugewiesen hatte, war es still, geradezu unheimlich still sogar. Sie rührte sich nicht, lauschte angestrengt.
Dann knarrte es. In den alten Balken des Gasthofs knarrte und knackte es ohnehin ständig. Hatte sie wirklich nur geträumt? Sie wollte sich auf die Seite legen, da hörte sie wieder ein Geräusch, konnte sich aber nicht erklären, was es war. Und jetzt noch einmal, ein dumpfer Aufschlag.
Sie zwang sich, das warme Bett zu verlassen, und zitterte in der Kälte; Mitternacht musste längst vorbei sein. Sie langte nach ihrem schweren Umhang und legte ihn sich um die Schultern. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür, öffnete sie, so leise es eben ging, und horchte. Das Geräusch war von unten gekommen.
Sie wusste, dass außer ihr, Monchae und Belach niemand im Gasthof war. Die Wirtsleute hatten sich in ihre Schlafstube am oberen Treppenabsatz zur Ruhe begeben. Sie blickte nach oben, die Tür dort war zu.
Auf leisen Sohlen wie eine Katze tappte sie zur Treppe und starrte nach unten. Sonderbare Laute ließen sie erstarren. Es klang, als ob etwas Weiches und doch Schweres über die Dielen geschleift wurde. Von der Treppe konnte sie in den Gastraum sehen, wo die Glut des ausgehenden Feuers flackernde Schatten an die Wände warf. Fidelma biss in der Kälte die Zähne zusammen. Wenn sie doch nur eine Kerze hätte! Langsam stieg sie die Stufen hinunter und trat dabei auf ein loses Brett, das laut knackte. In der Stille der Nacht hallte das wie ein Donnerschlag.
Daraufhin schlurfte und scharrte etwas im Raum unten und veranlasste sie, beherzt die letzten Stufen zu nehmen. »Ist da wer?«, rief sie in die Düsternis. »In Christi Namen, gib dich zu erkennen!« Dabei pochte ihr Herz wild, und sie hatte Mühe, ihre Stimme gebieterisch klingen zu lassen.
Von weiter weg kam ein dumpfer Ton, dann herrschte völlige Stille. Sie sah sich in der großen Gaststube um, verfolgte die rötlichen, über die Wände huschenden Schatten. Etwas Genaues auszumachen war unmöglich.
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