Doch … da war wieder ein Geräusch hinter ihr.
Sie fuhr herum. Auf der Treppe stand Belach, und seine Frau schaute ihm ängstlich über die Schulter.
»Hast du es auch gehört?«, flüsterte er.
»Ich habe es gehört.«
»Gütiger Gott, schau herab auf uns«, seufzte der Mann.
Fidelma schniefte unbeherrscht. »Zünd eine Kerze an, Belach. Wir müssen alles absuchen.«
Der Wirt zuckte die Achseln. »Hat gar keinen Zweck, Schwester. Jede Nacht haben wir die Geräusche gehört, haben gesucht noch und noch. Gefunden haben wir nichts.«
»Ist ja auch nicht zu erwarten, dass ein Gespenst greifbare Spuren hinterlässt«, unterstützte ihn seine Frau.
»Doch Geräusche kann es machen, wie?«, knurrte Fidelma. »Nur etwas, das körperlich vorhanden ist, kann Geräusche verursachen. Los, sorge für Licht.«
Widerstrebend zündete Belach eine Lampe an. Der Wirt und seine Frau blieben an der Treppe stehen und schauten zu, wie Fidelma in jeden Winkel leuchtete. Sie war noch nicht weit gekommen, als Monchae losschrie und zu Boden fiel. Im Nu eilte Fidelma zu ihr. Ihr Mann tätschelte ihr die Hand, im Bemühen, sie damit zur Besinnung zu bringen.
»Sie ist ohnmächtig geworden«, murmelte er sinnloserweise.
»Hol Wasser!«, wies ihn Fidelma an. Dann spritzte sie ihr Wasser auf die Stirn und befeuchtete ihre Lippen. Monchae blinzelte und schlug die Augen auf.
»Was war mit dir? Was hat dich so erschreckt?«
Monchae starrte sie an, war leichenblass und zitterte am ganzen Leib.
»Die Sackpfeife!«, stammelte sie. »Sein Dudelsack!«
»Ich habe keinen Dudelsack gehört«, erwiderte Fidelma.
»Nein. Mugráns Sackpfeife … da auf dem Tisch!«
Belach blieb es überlassen, seiner Frau aufzuhelfen, denn Fidelma ging sofort hinüber, hielt die Kerze hoch, und da lag tatsächlich ein Dudelsack. Ein ganz gewöhnliches Instrument. Fidelma hatte schon viel bessere, mit mehr Kunstfertigkeit hergestellte gesehen.
»Was wolltest du mir dazu sagen?«, fragte sie die völlig verstörte Frau, die Belach stützte.
»Das ist die Sackpfeife von Mugrán. Die hatte er mitgenommen, als er loszog in die Schlacht. Es ist wahr, sein Geist ist zurückgekehrt. Oh, ihr Heiligen, beschützt uns!«
Verzweifelt klammerte sie sich an ihren Mann.
Fidelma nahm den Dudelsack in die Hand. Der war von der Art, die cetharchóire genannt wurde, weil er in vier Tonarten gestimmt war. Er hatte eine Spielpfeife, zwei kürzere Rohrblatt-Bordunpfeifen und einen langen Bordun. Eine einfache Sackpfeife, wie sie in fast jedem Haushalt in Irland zu finden war. Fidelma presste die Lippen zusammen und überlegte. Als sie zu Bett gingen, hatte kein Dudelsack auf dem Tisch gelegen.
»Woher nimmst du die Gewissheit, dass es der Dudelsack von Mugrán ist?«, fragte sie.
»Ich kenne ihn genau«, behauptete Monchae mit Nachdruck. »Weshalb kannst du mit Sicherheit sagen, welches Kleidungsstück dir gehört oder welches dein Messer ist? Weil du weißt, wie es gewebt ist, weil du seine Flecken oder Scharten kennst.«
Sie begann hysterisch zu heulen und zu schluchzen.
Fidelma riet Belach, seine Frau ins Bett zu bringen.
»Nimm dich in Acht, Schwester«, grummelte er und ging mit Monchae los. »Gewiss sind hier finstere Mächte am Werk.«
Fidelma lächelte unmerklich. »Ich vertrete eine stärkere Macht, Belach. Nichts geschieht auf Erden, ohne dass Er es will.«
Als sie fort waren, betrachtete sie noch eine Weile die Sackpfeife, konnte das Rätsel aber nicht lösen. Sie ließ das Instrument auf dem Tisch liegen und stieg die Treppe zu ihrer Schlafkammer hoch. Dankbar spürte sie, dass ihr Bett noch warm war, denn erst jetzt wurde ihr bewusst, wie kalt ihr Hände und Füße geworden waren.
Lange lag sie wach und grübelte über die rätselhaften Vorgänge nach, deren Zeuge sie in diesem abgelegenen Flecken in den Bergen wurde, und fragte sich, ob nicht doch übernatürliche Kräfte im Spiel waren. Fidelma gestand sich ein, dass es Mächte der Finsternis gab. Es wäre ja närrisch, an Gott zu glauben und gleichzeitig leugnen zu wollen, dass es auch den Teufel gab. Wenn das Gute existierte, dann zweifellos auch das Böse. Nur hatte Erfahrung sie gelehrt, dass stets Menschen die Urheber des Bösen waren.
Darüber war sie eingeschlafen. Es war noch dunkel, als sie erschrocken hochfuhr. Sie brauchte einige Augenblicke, ehe sie begriff, was sie ein zweites Mal in der Nacht weckte. In weiter Ferne spielte ein Dudelsack. Es klang lieblich und sanft. Das einschläfernde súan-traige war es, das schöne, wehmütige Wiegenlied. »Codail re suanán saine …« – »Schlafe sanft und in himmlischer Ruh.«
Fidelma kannte es gut, in ihrer Kindheit war ihr oft die liebliche, einlullende Melodie vorgesungen worden. Mit einem Ruck setzte sie sich auf und schwang sich aus dem Bett. Die Musik war kein Traum. Sie kam irgendwo von draußen. Vorsichtig öffnete sie einen Spalt die Fensterladen.
Wie ein weißer Teppich lag der Schnee auf den Hügeln und Bergen der Umgebung. Am Himmel türmten sich schwere grauweiße Schneewolken. Dennoch war die Nacht hell, man konnte meilenweit sehen. Der Mond hatte einen Hof aus Eiskristallen, die Luft war eisig, es war märchenhaft still. Ihr warmer Atem stieg in die Luft und löste sich gleich wieder in nichts auf.
Sie erstarrte, ihr Herz begann wie wild zu hämmern, als wollte ein verrückter Trommler die Toten erwecken. Auf dem kleinen runden Hügel vor dem Gasthof stand einsam und allein eine Gestalt mit einem Dudelsack und spielte das Wiegenlied, von dem sie aufgewacht war. Ein merkwürdiges Leuchten, das den Spielenden umgab, fesselte sie und flößte ihr zugleich Furcht ein. Es war wie ein schimmernder Glanz, und kleine Sterne funkelten im Widerschein des Schnees.
Reglos stand Fidelma da und sah gebannt hinaus. Die Melodie verlor sich, die Erscheinung wandte den Kopf zum Gasthof und gab ein Wehgeschrei von sich. »Ich bin allein! Bin so allein, Monchae! Weshalb hast du mich verlassen? Ich bin so einsam! Bald komme ich und hole dich!«
Wahrscheinlich waren es die zu Herzen gehenden Rufe, die Fidelma aus der Starre lösten. Sie griff sich ihre Schuhe und ihren Umhang und hastete die Treppe hinunter in die düstere Gaststube. Von oben rief ihr Belach nach. »Geh nicht hinaus, Schwester! Da steht der Böse. Das ist der Schatten von Mugrán!«
Fidelma ließ sich nicht abhalten. Sie zog die Türriegel zurück und stürzte hinaus in die frostige Nacht, stapfte durch den tiefen Schnee und spürte die Nässe und Kälte an ihren nackten Beinen. Bevor sie noch den Hügel erreichte, war sie sich darüber im Klaren, dass die unheimliche Gestalt nicht mehr da sein würde. Dennoch stieg sie hinauf. Sie fand niemand vor, der nächtliche Dudelsackspieler war spurlos verschwunden. Mit festem Griff zog sie den Umhang enger um die Schultern. Sie zitterte, doch das lag an der Kälte der Nacht, nicht etwa daran, dass sie sich vor dem Gespenst fürchtete.
Sie holte tief Luft und suchte nach Fußspuren, entdeckte aber keine. Bei genauerem Hinsehen merkte sie dann, so unberührt wie sonst überall wirkte der Schnee auf dem Hügel nicht. Die Oberfläche war aufgeraut, wie vom Sturm aufgewühlt. Auch ein merkwürdiges Funkeln fiel ihr auf. Sie nahm eine Handvoll Schnee, er glitzerte, zeigte ein merkwürdiges Glimmen.
Unschlüssig wandte sie sich um und ging in ihren Fußstapfen zurück. Belach erwartete sie aufgeregt mit dem Schwert in der Hand an der Tür.
»Wenn das ein Geist ist, wirst du damit wenig gegen ihn ausrichten können«, bemerkte sie spöttisch und grinste ihn an.
Belach schwieg, verschloss aber die Tür und verriegelte sie, sobald Fidelma im Gastraum war. Wortlos stellte er das Schwert in die Ecke, während sie zur Feuerstelle ging, um sich aufzuwärmen.
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