»Das liegt daran, dass du zum Pöbel gehörst. Adlige machten so etwas ständig«, sagte er verächtlich. Doch er wich meinem Blick aus, nur um erneut voll schauderhafter Faszination davon angezogen zu werden. Ich konnte die Gedanken fast sehen, die durch seine Augen hinein und wieder heraus zu schlüpfen schienen. Mein Kind. Mein Kind! Ich durfte nicht flehen. Ich durfte nicht betteln. So etwas tat nur der Pöbel. Ich musste es irgendwie schaffen, in seinen Augen nicht länger das Pestkind zu sein. Ich musste zu dem Kind werden, das er vielleicht gewollt hatte. Die ganze Zeit, während ich mich vorwärtsbewegte, wich er zurück bis zur Stallwand. Die Schwertspitze durchbohrte mein Wams, kratzte an meiner Haut, aber er war mir zu nahe, um mir einen tödlichen Stoß zu versetzen.
»Ich will das Erbe nicht, Vater. Ich will nur …«
»Nenn mich nicht so!«, schrie er.
»Tom!«, rief Luke.
Richard schleuderte mich quer durch den Stall, so dass ich gegen die gegenüberliegende Wand krachte und zu Boden ging. Die Schwertklinge schoss nach vorn wie die Zunge einer Schlange. Ich unterdrückte jeden Drang, die Augen zu schließen, und starrte weiter in seine.
Im letzten Moment hielt die Schwertspitze inne und verharrte. »Antworte ihm.«
Ich schluckte, keuchte und brachte einen Moment lang keinen Ton heraus.
Er schluckte ebenfalls und atmete schwer. »Antworte ihm!«
Zwei Wörter brachte ich heraus. »Komme gleich!«
Dort, wo er mich hingeschleudert hatte, lag ich näher bei der Tür. Ich konnte gerade noch den Rand des Feldlagers sehen. Luke, dessen Kopf inzwischen bandagiert war, ging im Schein des Feuers umher und blickte in Richtung der Ställe.
Bring ihn dazu, weiterzureden, befahl ich mir selbst, aber mein Verstand war wie blockiert. Alles, was ich hervorbrachte, war ein dümmliches Gestammel.
»Habt Ihr sie geliebt?«
»Sie geliebt?« Er stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Ich habe von Anfang an gewusst, was sie war.«
Sein Vater, sein lieber Vater, sagte er, und in seiner Stimme lagen sowohl Sehnsucht als auch Hass, habe ihm nie für irgendetwas Anerkennung gezollt. Doch er hatte Margaret Pearce durchschaut, als sie in tiefstem Schwarz zur Beerdigung ihres Vaters kam. Ob er sich von ihr angezogen gefühlt habe? Natürlich! Das erging jedem so. Aber er kannte die Frauen. Er hatte genug von ihnen gehabt.
»Wie Jane«, konnte ich mich nicht enthalten einzuwerfen, als mir die Geschichte einfiel, die sie mir in Turvilles Haus erzählt hatte.
»Jane?«, fragte er.
Er hatte sie vergessen. Ich verfluchte mich, dass ich ihn abgelenkt hatte, aber es spielte keine Rolle. Als stünde er unter Zwang, fuhr er fort, getrieben davon, über etwas zu reden, von dem er nie zuvor einer lebenden Seele erzählt hatte. Väter und Söhne! In beinahe jedem seiner Worte schwangen Stolz und Hass auf seinen Vater mit. Sein Vater war der klügste, scharfsinnigste aller Männer, aber ein vollkommener Narr, sobald es um Frauen ging. Seine Frau hatte ihn um den kleinen Finger gewickelt. Als sie starb, hatte er nie aufgehört, sie zu betrauern – bis er Margaret Pearce in tiefstem Schwarz sah.
Oh, es gab keinen Mann bei der Beerdigung, der nicht mit ihr mitfühlte, sagte Richard, hier oben – er tippte sich an den Kopf – und hier unten – er schlug sich klatschend auf den Schritt. O ja, er wollte sie! Und wie er sie wollte!
Luke sagte etwas zu Ben, ihre Schatten hüpften und schwankten im Feuerschein. Dann schlenderte Luke langsam und gemächlich, als genieße er nach der Hitze des Gefechts die kalte schneidende Luft, auf die Ställe zu, wo wir uns befanden. Ich betete darum, dass er sein Schwert bei sich hatte.
Am Tag der Beerdigung, erzählte Richard, wurde er ins Studierzimmer seines Vaters gerufen. Nachdem Lord Stonehouse mit der Auflistung seiner Verfehlungen fertig war und Richard bereits Anstalten machte zu gehen, fügte er noch hinzu: »Margaret Pearce. Respektiere ihre Trauer.« Das war alles. Respektiere ihre Trauer, zusammen mit einem eindringlichen Blick aus diesen schwarzen Augen.
»Ich war – wie alt bist du?«
»Siebzehn.«
»Ich war neunzehn! Neunzehn! Ich glaube, er hat bis dahin nur meine Mutter gekannt. Ich hatte Huren gehabt, Dienstmädchen, selbst eine Hofdame, die alt genug war, um meine Mutter sein zu können und die mich mehr über die Hinterlist eines Frauenherzens lehrte, von deren Ausmaß mein Vater nicht einmal etwas ahnte. ›Respektiere ihre Trauer!‹ Mit anderen Worten, Finger weg, sie gehört mir. Er war blind und sah nicht, auf was er sich da einließ, was sie tat. Ich wusste, wofür sie ihre Trauer benutzte! Zur Verführung, der raffiniertesten Form der Verführung.«
In seiner Stimme schwang eine grimmige Bewunderung mit, und plötzlich erkannte ich, dass meine Mutter und er aus demselben Holz geschnitzt waren. Seine Augen glänzten, und das Schwert zitterte. Vielleicht hatte er sie auf seine Weise doch geliebt, und sie hatte diese Liebe auf ihre Weise erwidert. Dann bekam seine Stimme einen scharfen, verbitterten Beiklang.
»Ich wusste genau, was sie tat.«
»Sie plante insgeheim, Highpoint zu übernehmen.«
Er ließ das Schwert sinken. »Woher weißt du das?«
Ich dachte an das, was Kate mir erzählt hatte, und schüttelte den Kopf. Origo mali, die Quelle des Bösen. Der Familienbesitz. Unvermittelt empfand ich zum ersten Mal einen winzigen Hoffnungsschimmer, dass wir einander die Hand reichen und uns möglicherweise eines Tages sogar verstehen könnten. Ich machte einen zaghaften Schritt auf ihn zu. Das Schwert hob sich. Luke schlenderte auf die Ställe zu, doch ich bemerkte ihn erst, als er stehen blieb. Er musste Richards Klinge in der Tür aufblitzen gesehen haben, denn er hob seine Hand zum Gürtel.
»Warum habt Ihr es ihm nicht gesagt?«
»Es ihm gesagt?! Es wäre völlig sinnlos gewesen. Ich war neunzehn. Was wusste ich schon von Trauer, Liebe, was wusste ich schon von irgendetwas ?«
Sein Innerstes war von einer Bitterkeit erfüllt, die so lange hinter hohen Dämmen verborgen war, dass er nun erzitterte. Ich machte einen winzigen Schritt auf ihn zu. Vielleicht stammte ein Teil meiner eigenen Auflehnung von ihm – und vielleicht merkte er das, denn er senkte die Schwertspitze. Noch einen Schritt, und ich könnte mich unter dem Schwert hindurchducken und seinen Arm packen.
»Der Familienbesitz stand rechtmäßig mir zu, aber ich kannte Frauen wie sie. Sie hätte meinen Vater dazu gebracht, den Besitz ihr zuzusprechen – ganze Straßen in London, die ihm gehören.«
»Und warum hat sie dann nicht einfach Lord Stonehouse nachgestellt?«
»Und ob sie das getan hat! Natürlich war sie hinter ihm her. Doch mein Vater, so klug er auch ist, so naiv ist er, wenn es um Frauen geht. Er respektierte ihre Trauer zu lange. Mit seinen Gefühlen knausert er wie ein Geizhals mit seinem Geld, und sie glaubte, sie würde bei ihm nichts ausrichten können. Also wandte sie sich mir zu. Ich mimte den Unschuldigen. Ich war leichter zu haben. Und jung … und wir fühlten uns beide … eine Zeitlang … zueinander hingezogen und – aber du bist zu jung, um irgendetwas über die Liebe zu wissen.«
»So, wie Euer Vater es von Euch behauptete.«
Er schenkte mir einen wütenden Blick, das Schwert kam erneut mit einem Ruck nach oben. Dann lachte er kurz auf. Sein Arm entspannte sich, die Klinge senkte sich erneut. Das war der Moment. Ein Schritt. Ein halber Schritt, und ich hätte ihn gehabt, hätte ihm das Schwert aus der Hand winden können. Ich hätte es gekonnt. Ich wusste es. Doch in diesem Augenblick war ich ebenso von der Geschichte in den Bann gezogen, wie er begierig darauf war, sie zu erzählen.
»Was geschah dann?«
»Ich habe sie geschwängert. Sie glaubte, ich würde sie heiraten. Ich machte ihr klar, dass ich wusste, was für ein Spiel sie trieb, und dass sie das Kind loswerden sollte … niemals … in einer Million Jahre nicht … hätte ich gedacht, dass sie sich daraufhin meinem Dummkopf von einem Bruder zuwenden würde …«
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