Genauso plötzlich, wie sie gekommen waren, waren sie wieder verschwunden und führten nicht wenige unserer Pferde mit sich. Wenn sie hinter unserem Rücken kehrtgemacht hätten, wäre es vorbei gewesen. Doch unsere Gegner waren nicht disziplinierter als wir. Die fliehenden Soldaten waren für sie wie fliehende Füchse, Geschmeiß, das ihre Ländereien heimsuchte, ihnen aber auch das Vergnügen der Jagd bescherte. Sie ritten ihre Beute zu Tode, bis sie nach etwa zwei Meilen in Kineton auf den Tross der Parlamentsarmee stießen und ihn plünderten.
Es herrschte eine sonderbare, verblüffte Stille, in der das Gebrüll und das Donnern der Pferde allmählich von den Schreien der Verwundeten ersetzt wurden. Ich konnte Jed nirgends sehen. Ich torkelte herum wie ein Betrunkener, so wie viele andere. Ich hob meinen Spieß, als ein geschwärztes, blutiges Gesicht auf mich zutaumelte, ehe ich erkannte, dass es Will war. Wortlos schob er mich vorwärts. Ich dachte, es sei vorbei, aber wir formierten uns erneut in einer Kampflinie. Ungläubig sah ich ihre Infanterie auf uns zukommen. Anders als die Pferde, die gleich einer donnernden Woge durch uns hindurchgefegt waren, waren die Infanteristen wie ein sich langsam bewegender Ozean, der sich kaum merklich vorwärts schob. Es waren viel mehr Männer als wir, und wenn sie ebenfalls ordentlich bewaffnet gewesen wären, wäre dies das Ende gewesen. Doch viele Männer hatten nur Keulen, hoben hier ein Schwert, dort eine Muskete von den Toten und Verwundeten auf, als sie über sie hinwegstiegen.
Es folgte das, was in den Dienstvorschriften »Spießdrücken« genannt wurde, planmäßige geordnete Bewegungen, die das Chaos und das Blutbad vollkommen ignorierten, während jede Seite ein paar Yard gewann und alsdann wieder verlor. Wir stolperten über Leichen, duckten uns, rutschten torkelnd über das Gras, das im Matsch verschwunden und in Blut gebadet war.
Luke gingen die Zündschnüre aus, und er rannte die Reihe auf und ab, bemüht, irgendeine Art von Ordnung aufrechtzuerhalten, die sich jedoch rasch auflöste. Wir waren keine Männer mehr, sondern Ameisen, die, sobald ihr Nest zerstört war, herumwuselten, um unablässig ihre Pflicht zu erfüllen. In endlosen Wiederholungen trampelten wir über die Gefallenen, um ihre Plätze einzunehmen. Die vor uns waren Dämonen, mit geschwärzten, blutbefleckten Gesichtern. Mein spezieller Dämon hatte einen offenen Mund mit abgebrochenen Zähnen und eine riesige Warze seitlich an der Nase. Als mein Spieß ihn durchbohrte, ertönte ein blutrünstiges, befriedigtes Heulen. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass das Heulen aus meiner eigenen Kehle kam.
Langsam, doch unaufhaltsam ging die Sonne unter. In der Dämmerung sah ich eine Gruppe der royalistischen Kavallerie auf der Straße nach Kineton und dachte, beinahe gleichgültig, dass sie uns den Rest geben würden. Aber eine Kavallerieeinheit der Roundheads überraschte sie, angeführt von einem Mann mit zerzausten Haaren, der seinen Helm verloren hatte und wild auf sie zustürmte, um sie zu zerschmettern.
Als es fast zu dunkel war, um noch etwas zu erkennen, zogen sich beide Seiten wie in gegenseitigem Einvernehmen ein paar Schritte zurück. Sie waren wie zwei verwundete Bestien, widerwillig, ihr Territorium aufzugeben, aber zu erschöpft, um zu kämpfen oder auch nur einen Fuß vor den nächsten zu setzen. Hin und wieder fielen vereinzelte Musketenschüsse. Ein oder zwei Männer stolperten davon. Die meisten taten nichts, außer dazustehen, ihre Waffen zu umklammern und benommen hin und her zu schwanken, während sie die verblassenden geisterhaften Gestalten der Gegenseite anstarrten.
Wir nahmen wieder unsere ursprüngliche Stellung ein, und sie machten es genauso. Jede Seite hielt verbissen an der Tradition fest, dass ein Verlassen des Schlachtfelds einer Niederlage gleichkäme.
Der Mond ging auf. Zuerst bemerkte ich es kaum, dass Ben eine Wunde an meinem Bein verband. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie ich sie mir zugezogen hatte, doch jetzt pochte sie schmerzhaft. Ben war beim Tross gewesen, doch er hatte es geschafft, sein medizinisches Zubehör in Sicherheit zu bringen, ehe die Cavaliere es an sich nehmen konnten. Seit ich zurückgekommen war, hatte ich nicht gesprochen, doch jetzt fand ich meine Stimme wieder.
»Jed ist da draußen … er ist verwundet.«
»Er ist zurückgekommen. Ich habe mich um ihn gekümmert.« Ben ging zu Luke, der eine Kopfwunde hatte. »Jed wird vielleicht seinen Arm verlieren. Hol Wasser.«
In der Nähe der verlassenen Hofgebäude war ein kleiner Bach. Ich nahm einen Eimer und humpelte darauf zu. Es war eine klare Nacht, und die Andeutung von Frost lag bereits in der Luft. Vom Schlachtfeld wurden die vernehmlichen Schreie der Männer herübergeweht. Sie riefen nach Gott oder ihren Müttern. Ich konnte nichts tun, doch ich wünschte, ich könnte die Ohren vor den Schreien verschließen, denn sie weckten in mir ein quälendes Gefühl der Mitmenschlichkeit, das ich nicht ertragen konnte. Nicht jetzt. Ich wollte in diesem betäubten, gefühllosen Zustand verharren. Doch dann registrierte mein Verstand inmitten dieses entsetzlichen Chors ein Geräusch der Vernunft – das Wiehern eines Pferdes.
»Patch!«, rief ich.
Ich rannte um die Gebäude herum, so schnell mein Bein es zuließ, und fand die Ställe. Im Dämmerlicht war ich sicher, dass es Patch war. Doch als ich näher kam, erkannte ich, dass das Tier schwarz war und mehrere Handbreit größer als meines. Doch es war ein Pferd, und in diesem Moment fühlte ich mich ihm näher als jedem Menschen. Ich stellte den Eimer ab und schnalzte leise mit der Zunge.
»Ein Pferdedieb bist du also auch noch!«
Richards entspannter, spöttischer Ton ließ mich erschaudern. Ich wirbelte herum, doch ehe ich mein Messer zücken konnte, war die Spitze seines Schwertes schon an meiner Kehle. Sein Gesicht lag im Dunkeln, die zerfetzten Überreste seines Umhangs hingen über seinem Schwertarm.
»Ich habe keinen Streit mit Euch, Vater«, sagte ich so ruhig, wie meine Stimme es zuließ.
Er lächelte und trat in den schmalen Lichtstreifen aus Mondlicht, das durch die Tür hereinfiel. »Du bist ein kluges Kind. Zuerst gibst du vor, Vaters Sohn zu sein, dann Edwards, und jetzt bin ich an der Reihe. Ich habe es dir gesagt, John Lloyd ist dein Vater.«
»Dann muss er aus dem Grab zurückgekommen sein, um sie zu lieben. Er ging im Sommer zuvor nach Irland und wurde dort getötet.«
»Das beweist immer noch nicht, dass du mein Sohn bist.«
»Ich habe die Briefe, die Ihr meiner Mutter geschickt habt. Von den ersten Zeilen über die unsterbliche Liebe bis zu ›hier ist eine Krone, damit du Hure abtreiben kannst‹. Ich habe sie heute Morgen Eurem Vater gezeigt.«
Er sagte keinen Ton. Die Schwertspitze zielte jetzt auf mein Herz. Die ganze Zeit über achtete ich auf seine Füße, auf sein Gleichgewicht. Sobald er das Gewicht auf den rechten Fuß verlagerte, blieb mir der Bruchteil einer Sekunde Zeit, ehe er mich töten würde. Der Eimer war auf ein Bündel Stroh gefallen. Ich streckte meine Hand danach aus, konnte ihn aber nur mit den Fingerspitzen berühren.
Die Klinge senkte sich minimal, nur um abrupt wieder angehoben zu werden. »Du lügst. Mein Bruder sagt, du hättest Vater gesucht. Du hast ihn gar nicht gefunden, stimmt’s? Ich habe dich beobachtet. Du wärst nie bei den Spießgesellen gelandet, wenn du ihn gefunden hättest.«
Ich begann, auf ihn zuzugehen, nicht von der Klinge fort, sondern in sie hinein. Ich hörte auf, seine Füße zu beobachten, und blickte ihm direkt in die Augen. Ich versuchte, der Mensch zu werden, der ich vor dem Schlachtfeld gewesen war. Es war eine Sache, wenn er jemanden damit beauftragte, mich zu töten, etwas anderes, wenn er als Vater seinen eigenen Sohn tötete. Stockend sagte ich ihm genau das.
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