Elizabeth erwiderte nichts. Nach einer kurzen Pause erhob sich der Colonel, machte eine Verbeugung und verschwand. Elizabeth war sich darüber im Klaren, dass das Gespräch weder ihn noch sie zufriedengestellt hatte. Colonel Fitzwilliam waren die von ihm erhoffte rückhaltlose Billigung und die Zusicherung von Elizabeths Unterstützung versagt geblieben, und nun fürchtete sie, dass Kränkung und Beschämung eine seit Kindheitstagen bestehende und von ihrem Mann sehr geschätzte Freundschaft zerstören könnten, wenn es dem Colonel nicht gelang, Georgiana für sich zu gewinnen. Dass Darcy mit Colonel Fitzwilliam als Georgianas Ehemann einverstanden sein würde, zog Elizabeth nicht in Zweifel. Er wünschte sich vor allem Sicherheit für seine Schwester, und bei Fitzwilliam würde sie sicher sein; selbst den Altersunterschied würde er wahrscheinlich als einen Vorteil betrachten. Georgiana würde Countess werden, und der glückliche Mann, der sie heiratete, würde niemals Geldsorgen haben. Sie hoffte, dass sich die Sache regeln ließ, in der ein oder anderen Weise. Vielleicht würde sich die Angelegenheit morgen beim Ball zuspitzen – denn Bälle waren bekannt dafür, dass sie Ereignisse glücklicher wie unglücklicher Art zu einem Ende führen konnten, boten sie doch Gelegenheit, abseits der Tanzfläche zusammenzusitzen und sich Vertrauliches zuzuflüstern, während die Tänzer sich durch die Reihe bewegten. Sie hoffte nur, dass am Ende alle Beteiligten zufrieden sein würden, belächelte allerdings gleich darauf ihre Vermessenheit, dies jemals für möglich zu halten.
Sie freute sich über die Veränderungen, die in Georgiana vorgegangen waren, seit Darcy und sie geheiratet hatten. Als Georgiana miterlebte, wie ihr Bruder von seiner Frau geneckt wurde und er sie seinerseits oft neckte und beide dann lachten, war sie zunächst überrascht, ja fast schockiert gewesen. Vor Elizabeths Einzug war in Pemberley wenig gelacht worden, und unter Elizabeths taktvoller und sanfter Aufmunterung hatte Georgiana etwas von der Schüchternheit der Darcys verloren. Inzwischen nahm sie selbstbewusst ihren Platz ein, wenn sie Gäste hatten, und war eher bereit als früher, am Esstisch ihre Ansichten zu äußern. Während Elizabeths Verständnis für ihre Schwägerin wuchs, stieg der Verdacht in ihr auf, dass Georgiana neben ihrer Schüchternheit und Zurückhaltung eine weitere Darcy’sche Charaktereigenschaft besaß, nämlich einen starken eigenen Willen. Aber hatte Darcy das auch erkannt? War Georgiana für ihn nicht manchmal noch die verletzliche Fünfzehnjährige, ein Kind, das seine verlässliche, wachsame Liebe brauchte, wenn es nicht im Unglück enden sollte? Nicht dass er der Ehre oder Tugend seiner Schwester misstraut hätte – dieser Gedanke wäre in seinen Augen einer Blasphemie nahegekommen –, doch inwieweit traute er ihrem Urteilsvermögen? Und für Georgiana war Darcy seit dem Tod des Vaters das Familienoberhaupt, der kluge, zuverlässige große Bruder, der beinahe die Autorität eines Vaters besaß, ein geliebter, nie gefürchteter Bruder – denn wo Furcht ist, kann keine Liebe sein –, dem sie jedoch großen Respekt entgegenbrachte. Ohne Liebe würde Georgiana nicht heiraten, aber ohne die Zustimmung ihres Bruders ebenso wenig. Und was, wenn die Wahl getroffen werden musste zwischen Colonel Fitzwilliam, seinem Cousin und Freund aus Kindertagen, dem Erben eines Grafentitels und furchtlosen Soldaten, der Georgiana seit Beginn ihres Lebens kannte, und diesem gutaussehenden, liebenswerten jungen Anwalt, der zwar im Begriff war, sich einen Namen zu machen, über den sie aber wenig wussten? Er würde ein Baronat erben, ein sehr altes obendrein, und Georgiana würde in einem Haus leben, das, sobald Alveston ein Vermögen gemacht und den Sitz renoviert hätte, zu den schönsten Englands zählen würde. Doch Darcy hatte seinen Familienstolz, und welcher der beiden Kandidaten die größere Sicherheit und die glänzendere Zukunft bot, stand außer Frage.
Der Besuch des Colonels hatte ihr die Ruhe geraubt, sie in Sorge versetzt und ein wenig betrübt. Es stimmte, er hätte Wickhams Namen besser nicht erwähnt. Darcy selbst hatte keinen Kontakt mehr zu ihm, seit sie sich bei Lydias Trauung in der Kirche begegnet waren – einer Trauung, zu der es ohne seine großzügige Geldgabe gar nicht gekommen wäre. Sie war sicher, dass man Colonel Fitzwilliam dieses Geheimnis niemals enthüllt hatte, aber er wusste natürlich von der Hochzeit und musste die Wahrheit geahnt haben. Wollte er vielleicht sichergehen, dass Wickham in ihrem Leben in Pemberley keine Rolle spielte und Darcy Wickhams Schweigen gekauft hatte, damit niemand auf der Welt jemals behaupten konnte, der Ruf von Miss Darcy von Pemberley sei beschmutzt? Der Besuch des Colonels hatte sie nervös gemacht, und sie begann auf und ab zu gehen, um die hoffentlich unbegründeten Ängste zu besänftigen und wenigstens einen Teil ihrer früheren Gemütsruhe zurückzugewinnen.
Das Mittagessen zu viert dauerte nicht lange. Darcy musste sich mit seinem Verwalter besprechen und war ins Herrenzimmer zurückgekehrt, um dort auf ihn zu warten. Elizabeth hatte ein Treffen mit Georgiana im Wintergarten vereinbart, wo sie die Blumen und grünen Zweige begutachten wollten, die der Obergärtner aus den Treibhäusern gebracht hatte. Lady Anne hatte Farbenpracht und verworrene Arrangements geliebt, während Elizabeth sich mit zwei Farben zum Grün der Zweige begnügte und sie in zahlreichen kleinen und großen Vasen arrangierte, so dass in jedem Raum süß duftende Blumen standen. Die Farben für den nächsten Tag sollten Rosarot und Weiß sein, und Elizabeth und Georgiana arbeiteten, vom Gärtner beraten, umhüllt vom durchdringenden Duft üppiger Geranien und langstieliger Rosen. Die feuchte Hitze im Wintergarten war drückend, und mit einem Mal sehnte sie sich nach frischer Luft, nach Wind im Gesicht. Lag es vielleicht an dem Unbehagen, das sie in Georgianas Gegenwart befallen hatte, und an der Zuversicht des Colonels, die wie eine Bürde auf dem Tag lastete?
Plötzlich war Mrs. Reynolds da und sagte: »Madam, Mr. und Mrs. Bingleys Kutsche kommt gerade die Auffahrt herauf. Wenn Sie sich beeilen, sind Sie rechtzeitig an der Tür, um sie zu begrüßen.«
Elizabeth stieß einen Freudenschrei aus und lief, gefolgt von Georgiana, zur Haustür. Stoughton stand schon bereit, um sie zu öffnen, während die Kutsche langsam zum Stillstand kam. Elizabeth rannte in den kühlen, auffrischenden Wind hinaus. Ihre geliebte Jane war gekommen, und einen Augenblick lang fegte die Wiedersehensfreude alles Unbehagen hinweg.
2
Die Bingleys waren nach ihrer Hochzeit nicht lange in Netherfield geblieben. Bingley war zwar ein überaus duldsamer und gutmütiger Mensch, doch Jane hatte gespürt, dass die große Nähe zu ihrer Mutter weder zur Behaglichkeit ihres Mannes noch zu ihrem Seelenfrieden beitrug. Sie war eine von Grund auf warmherzige Natur und empfand eine starke Loyalität und Liebe zu ihrer Familie, doch Bingleys Zufriedenheit stand an erster Stelle. Beide hatten sich unbedingt in der Nähe von Pemberley niederlassen wollen. Nach Ablauf des Pachtvertrags für Netherfield waren sie kurzzeitig bei Mrs. Hurst, Bingleys Schwester, in London untergekommen und dann erleichtert nach Pemberley gezogen, von wo aus sich bequem eine ständige Bleibe suchen ließ. An dieser Suche war Darcy tatkräftig beteiligt gewesen. Darcy und Bingley hatten zwar dieselbe Schule besucht, sich aber aufgrund des – wenn auch geringen – Altersunterschieds als Knaben nur selten gesehen und waren erst in Oxford Freunde geworden. Darcy – stolz, in sich gekehrt und schon damals menschenscheu – fand Seelentrost in Bingleys Liebenswürdigkeit, in dessen geselligem Wesen und heiterem Vertrauen darauf, dass das Leben stets gut zu ihm sein würde, während Bingley so sehr von Darcys außergewöhnlicher Klugheit und Intelligenz überzeugt war, dass er in wichtigen Dingen nur ungern ohne die Zustimmung seines Freundes tätig wurde.
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