»Ich denke, Pemberley steht sowohl für Mr. Darcy als auch für Georgiana an erster Stelle«, erwiderte Elizabeth. »Als ich das Haus damals mit meiner Tante und meinem Onkel besichtigte und Mr. Darcy mich fragte, wie es mir gefalle, freute er sich sehr über meine Begeisterung. Ich glaube nicht, dass er mich geheiratet hätte, wenn ich nicht so ehrlich entzückt gewesen wäre.«
Jane lachte. »O doch, das glaube ich schon, meine Liebe. Aber vielleicht reden wir besser nicht mehr davon. Über die Gefühle anderer zu tratschen, obwohl man sie gar nicht richtig kennt und sie sie vielleicht selbst nicht verstehen, kann sehr viel Unheil auslösen. Vielleicht war es ein Fehler, den Namen des Colonels zu erwähnen. Ich weiß, wie sehr du Georgiana liebst, Elizabeth, und das Zusammenleben mit dir wie mit einer Schwester hat sie zu einer stolzen, schönen jungen Frau gemacht. Falls sie wirklich zwei Verehrer hat, muss sie natürlich selbst entscheiden, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ohne das Einverständnis ihres Bruders heiraten würde.«
»Die Sache könnte sich nach dem Ball zuspitzen«, gab Elizabeth zu bedenken, »und ich gestehe, dass sie mich beunruhigt. Ich habe Georgiana sehr, sehr liebgewonnen. Doch schieben wir die Angelegenheit fürs Erste beiseite und freuen wir uns auf das Essen im Kreis der Familie. Ich möchte es uns und unseren Gästen nicht mit womöglich völlig unnötigen Befürchtungen verderben.«
Damit war das Gespräch zu Ende, aber Elizabeth wusste, dass Jane keinen Grund für Schwierigkeiten erkennen konnte. Ihrer festen Überzeugung nach war es nur natürlich, dass sich zwei gutaussehende junge Menschen, die offensichtlich gern zusammen waren, ineinander verliebten und diese Verliebtheit in eine glückliche Ehe mündete. Und Geld wäre in diesem Fall auch kein Problem, denn Georgiana war reich und Mr. Alveston ein aufstrebender Anwalt. Geld spielte für Jane allerdings ohnehin nur eine geringe Rolle; solange genug da war, um einer Familie ein komfortables Leben zu ermöglichen, war es doch einerlei, welcher der Ehepartner das Vermögen in die Verbindung einbrachte. Und die für jeden anderen am schwersten wiegende Tatsache, dass der Colonel jetzt ein Viscount war und seine Frau zur Countess machen würde, während Mr. Alveston nur ein Baronat in Aussicht stand, zählte in Janes Augen überhaupt nicht. Elizabeth beschloss, nicht länger über die vorstellbaren Schwierigkeiten zu grübeln, nach dem Ball jedoch so schnell wie möglich mit ihrem Mann zu reden. Sie waren beide so beschäftigt gewesen, dass sie ihn seit dem Morgen kaum gesehen hatte. Sie durfte ihm zwar nicht von ihren Spekulationen über Mr. Alvestons Gefühle erzählen, ehe Mr. Alveston oder Georgiana das Thema zur Sprache brachten, doch von der Absicht des Colonels, seiner Hoffnung Ausdruck zu verleihen, Georgiana möge seine Frau werden, musste er so schnell wie möglich erfahren. Sie fragte sich, warum ihr die Vorstellung von dieser doch so glanzvollen Verbindung ein solch unüberwindliches Missbehagen bereitete, und versuchte, das hässliche Gefühl zu vertreiben. Inzwischen war Belton ins Zimmer gekommen. Jane und Elizabeth mussten sich für das Dinner zurechtmachen.
3
Am Vorabend des Balls wurde das Dinner wie üblich, der geltenden Mode entsprechend, um halb sieben serviert. Hielt sich die Zahl der Gäste in Grenzen, fand es allerdings nicht im offiziellen Speisesaal statt, sondern in einem dahinterliegenden kleineren Raum, dessen runder Tisch acht Personen bequem Platz bot. Den Saal hatte man in früheren Jahren benötigt, weil die Gardiners und gelegentlich auch Bingleys Schwestern anlässlich des Balls in Pemberley gewohnt hatten; doch jetzt fiel es Mr. Gardiner schwer, sich auch nur für kurze Zeit von seinen Geschäften zu trennen, ebenso wie seiner Frau, die Kinder zurückzulassen. Am liebsten war ihnen ein Besuch im Sommer; dann konnte Mr. Gardiner angeln, und seine Frau kannte nichts Schöneres, als mit Elizabeth vom einspännigen Phaeton aus die Gegend zu erkunden. Die beiden Frauen verband eine langjährige, enge Freundschaft, und Elizabeth schätzte die Ratschläge ihrer Tante sehr. Im Hinblick auf gewisse Angelegenheiten wäre sie gerade jetzt sehr froh darum gewesen.
Obwohl es sich um ein zwangloses Dinner handelte, betrat die Gesellschaft das Speisezimmer selbstverständlich paarweise. Der Colonel bot sofort Elizabeth den Arm, Darcy begab sich an Janes Seite, und Bingley trug mit einer kleinen ritterlichen Geste Georgiana das Geleit an. Als Elizabeth sah, dass Alveston dem letzten Paar allein folgte, bereute sie es, die Sache nicht anders geregelt zu haben. Doch es war immer schwierig, kurzfristig eine passende alleinstehende Dame aufzutreiben, und gesellschaftliche Konventionen hatten bei den Dinners vor dem Ball früher nie eine Rolle gespielt. Der leere Stuhl stand neben Georgianas Platz, und Elizabeth sah ein freudiges Lächeln über Alvestons Gesicht huschen, als er danach griff.
Während sie sich rings um den Tisch niederließen, sagte der Colonel: »Mrs. Hopkins fehlt also auch in diesem Jahr. Sie verpasst den Ball doch nun schon zum zweiten Mal, nicht wahr? Tanzt Ihre Schwester nicht gern, oder hegt Pfarrer Theodore theologische Bedenken gegen Bälle?«
»Mary hat noch nie gern getanzt und lässt sich entschuldigen«, antwortete Elizabeth, »aber ihr Mann hat bestimmt nichts gegen ihre Teilnahme einzuwenden. Als sie das letzte Mal zum Essen hier waren, versicherte er mir, dass sich ein Ball in Pemberley mit Freunden und Bekannten der Familie niemals schädlich auf Anstand und Moral auswirken könne.«
Bingley flüsterte Georgiana zu: »Was beweist, dass er in Pemberley nie weiße Suppe gegessen hat.«
Die Bemerkung, von allen gehört, brachte die Runde zum Lächeln, ja sogar zum Lachen. Doch die Unbeschwertheit war nicht von Dauer. Anders als sonst gab es keine lebhaften Gespräche über den Tisch hinweg; die ganze Gesellschaft war von einer Trägheit befallen, aus der nicht einmal Bingleys heitere Redseligkeit sie reißen konnte. Elizabeth versuchte den Colonel nicht zu oft anzusehen, doch immer wenn sie es tat, ruhte sein Blick auf dem Paar gegenüber. Georgiana, die ein schlichtes weißes Musselinkleid trug und sich eine Perlenkette ins dunkle Haar geflochten hatte, erschien Elizabeth schön wie nie zuvor, aber der Blick des Colonels war eher grüblerisch als bewundernd. Das junge Paar benahm sich selbstverständlich untadelig; Alveston schenkte Georgiana nicht mehr Aufmerksamkeit als üblich, und Georgiana richtete ihre Äußerungen, sich jeweils nach links und rechts wendend, gleichmäßig an Alveston und Bingley wie ein junges Mädchen, das sich bei seiner ersten Abendgesellschaft pflichtbewusst an die gesellschaftlichen Gepflogenheiten hält. Einen Augenblick gab es allerdings, von dem Elizabeth hoffte, er möge dem Colonel entgangen sein. Als Alveston Wasser und Wein für Georgiana mischte, berührten sich sekundenlang ihre Hände, und über Georgianas Wangen breitete sich kurz eine leichte Röte.
Beim Anblick Henry Alvestons in formeller Abendkleidung fiel Elizabeth einmal mehr auf, wie ungemein gut er aussah. Bestimmt war ihm bewusst, dass er keinen Raum betreten konnte, ohne die Blicke aller anwesenden Frauen auf sich zu ziehen. Sein dichtes mittelbraunes Haar hatte er im Nacken schlicht zusammengebunden. Seine Augen unter den geraden Brauen waren eine Nuance dunkler, das Gesicht strahlte eine Offenheit und Kraft aus, die ihn vor jeder Bezichtigung, zu schön zu sein, bewahrten, und er bewegte sich mit selbstbewusster, ungezwungener Grazie. Sie kannte ihn als lebhaften und unterhaltsamen Gast, doch heute Abend schien selbst er vom allgemeinen Unbehagen befallen. Vielleicht waren sie alle einfach nur müde, dachte Elizabeth. Bingley und Jane hatten zwar nur achtzehn Meilen zurückgelegt, waren aber von starkem Wind aufgehalten worden, und Darcy und sie selbst hatten am Tag vor dem Ball immer wesentlich mehr als sonst zu tun.
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