Bonnefoux starrte ihn verständnislos an, genau wie alle anderen am Tisch.
»Und ich rede nicht von Leuten wie mir, Leutnant. Ich spreche nicht von Schmugglern. Ich meine ganz respektable Geschäftsleute.«
»Was wollen Sie damit sagen?«, unterbrach Le Jeune ihn.
Morgan stellte sich aufrecht hin und ließ den Blick über die versammelten Männer schweifen. »Eine Frage: Abgesehen davon, dass Sie versuchen, den Feind auf dem Schlachtfeld zu besiegen, was ist Ihrer Meinung nach die sicherste Methode, den Feind in die Knie zu zwingen?«
»Ihre Handelswege anzugreifen.« Lasseurs Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.
»Richtig! Sie haben’s erfasst, Captain. Und Sie sollten’s ja auch wissen, nicht wahr?« Morgan hob die Hand und ballte die Faust. »Es ist, wie wenn man eine Festung belagert und gleichzeitig ihren Brunnen vergiftet. Wenn man das tut, quetscht man den Feind aus wie eine Zitrone. Noch schlimmer, man verhindert, dass er Geld verdient. Bonaparte weiß, dass unsere Stärke die Königliche Navy ist. Er weiß auch, dass sie mit den Gewinnen aus unserem Überseehandel unterhalten wird. Deshalb hat er Frankreichs Alliierten verboten, mit uns Handel zu treiben. Das war sein Plan, wie er uns in die Knie zwingen wollte. Nur haben wir leider bei Trafalgar den größten Teil seiner Navy ausgeschaltet. Wir haben auch verhindert, dass er in Kopenhagen Kontrolle über die dänische Flotte bekam, und deshalb musste er sich auf Privateers wie Captain Lasseur verlassen. Das hat auch eine Weile funktioniert, Ihre Kaperschiffe waren verdammt erfolgreich. Aber dann entschloss sich unsere Regierung, das Feuer mit Feuer zu beantworten und ordnete an, alle neutralen Schiffe, die auf dem Weg nach Frankreich waren, in britische Häfen zu zwingen. Das Ergebnis war, dass beide Seiten darunter litten, denn beide Länder haben noch immer Männer auf See und auf dem Schlachtfeld, und ihr Unterhalt ist teuer. Soldaten brauchen Musketen, und Musketen brauchen Kugeln, und die Navy braucht Schiffe und Kanonen. Also was tun?«
Morgan lächelte raffiniert. »Also, kommen Sie, meine Herren. Wir befinden uns zwar im Krieg miteinander, aber das muss doch nicht heißen, dass wir uns nicht wie zivilisierte Menschen benehmen können. Sie hatten doch nicht wirklich geglaubt, dass tausend Jahre Handelsbeziehungen zum Stillstand kommen, nur weil unsere Generäle sich in den Haaren liegen, oder? Natürlich nicht; und deshalb vergeben unsere Regierungen als eine Geste der Kooperation Lizenzen an einige unserer Geschäftsleute, damit sie mit Ihren Geschäftsleuten weiter Handel treiben können, obwohl wir uns im Krieg befinden. Das wird bereits seit drei Jahren so praktiziert. Sie schicken uns Getreide und Brandy und gute Weine, und wir schicken Ihnen dafür Wolle, Baumwolle und Zinn. Und während Ihre Kameraden gekämpft haben und gefallen sind, haben britische und französische Geschäftsleute sich dumm und dämlich verdient - und das alles vollkommen legal.«
Im Raum war es still geworden. Das Frühstück lag vergessen und unberührt da.
Morgan breitete die Hände aus. »Also, fragen Sie sich: Wer ist hier der eigentliche Übeltäter? Wenigstens streite ich nicht ab, wer ich bin und was ich mache. Übrigens operieren wir Schmuggler ebenfalls mit Bonapartes Segen. Warum? Weil er uns braucht, weil er, genau wie unsere Händler, für seine Handelswaren so viele Absatzmärkte haben will wie möglich. Und darum können unsere Schiffe problemlos französische Häfen anlaufen. Er weiß, dass Schmuggler die Kontakte und Kunden haben, von denen legitime Händler nur träumen können.«
»Und Gold ist der Schlüssel zu allem?«, fragte Hawkwood.
Morgan drehte sich um und deutete mit dem Finger auf ihn. »Ganz genau, Captain Hooper. Gold allein ist der Schlüssel. Es ist weder Brandy noch Baumwolle, was die Welt am Laufen hält, sondern Gold. Der Wert der Goldreserven entscheidet, wie reich ein Land ist. Vielleicht wissen Sie es nicht, aber’97 gab es einen großen Run auf unsere Banken. Die Regierung hatte eine solche Angst, das Gold könnte uns ausgehen, dass sie sämtliche Exporte verbot. Sie verbot auch der Bank von England, es auszugeben. Sie nannten es hochtrabend den ›Bank Restrictions Act‹. Diese verdammten Idioten dachten tatsächlich, sie könnten sich auf Papiergeld verlassen.« Morgan schüttelte den Kopf. »Aber wir alle wissen, wie viel das im Krieg wert ist, nicht wahr? Und wenn man eine Armee und eine Navy zu finanzieren hat, sind das schlechte Vorzeichen.
Also fingen die britischen Händler an, ihre Rechnungen mit Gold zu bezahlen. Aber sie konnten englisches Gold nicht exportieren, deshalb kauften sie fremdes. Und als das langsam zur Neige ging, griffen sie auf unsere Reserven zurück, und das ließ die Preise hochschießen, und das hat dann alles verändert.«
Morgan erwärmte sich für sein Thema, während Hawkwoods Gesichtsausdruck immer interessierter wurde.
»Sehen Sie, es dauerte gar nicht lange, bis irgend so ein heller Kopf darauf kam, dass man, wenn man in London mit britischem Geld Gold kauft und es dann auf dem Kontinent, wo Gold einen besseren Preis erzielt, für britisches Geld wieder verkauft, gut daran verdienen kann. Und als wir erfuhren, dass Bonaparte Gold brauchte, um seine Armeen zu bezahlen, konnten wir unser Glück kaum fassen. Mithilfe unserer Kontakte in London fingen wir an, ihm britische Guineen zu schicken. Wen kümmert es, dass sie an den Feind gehen, solange wir daran verdienen?
Und für uns Schmuggler ist das doppelt gut, denn solange wir ihn mit Guineen versorgen, hält Bonaparte seine Häfen für uns offen, und wir können ihm zu noch mehr Geld verhelfen, indem wir ihm seinen Brandy, seine Seide und alle möglichen anderen Luxuswaren abkaufen. Und so sind alle zufrieden.« Morgans Gesicht verdüsterte sich. »Oder zumindest waren wir es so lange, bis der verfluchte Zoll dazwischenkam und uns alles aus dem Ruder lief.«
In seiner Wut hatte Morgan seine Zuhörer vergessen und den letzten Satz auf Englisch gesagt.
»Ruder?«, sagte Lasseur, verwirrt von dem plötzlichen Wechsel in die andere Sprache.
»Haben uns doch unsere verdammten Schiffe genommen, oder etwa nicht?«
Morgan hielt inne und bemerkte seinen Irrtum. Er machte eine entschuldigende Handbewegung und sprach auf Französisch weiter. »Anordnung der Regierung, alle Galeeren im Südosten aufzubringen und zu zerstören. Dover, Folkstone, Sandgate, Hythe - es gibt kaum eine Stadt, die nicht betroffen ist. Allein in Deal wurden fast zwanzig Schiffe beschlagnahmt. Damit ist diese Stadt schon zum zweiten Mal mit voller Wucht getroffen worden. Ich war’84 dabei, als Pitt seine Truppen dort hinschickte. Er wollte den Bewohnern eine Lektion erteilen, wegen ihrer Beteiligung am Schmuggel. Setzten die gesamte Flotte in Brand. Alle Schiffe - in einer Nacht verbrannt.«
Morgan schüttelte verächtlich den Kopf. »Und dann wundern sie sich, wenn die Bewohner von Deal zur Rebellion neigen. Sie würden auch rebellieren, wenn Sie Ihre Lebensgrundlage in Flammen aufgehen sähen. Mein Gott, und’08 war die Regierung froh, die Hilfe von Deal anzunehmen, als es darum ging, die dänische Flotte nach England zurückzubringen, und ihre Galeeren in Walcheren zu benutzen, und sie haben auch nichts dagegen, wenn wir ihnen weitergeben, was wir über Boneys Umtriebe erfahren. Aber wenn so ein armes Arschloch von Fischer oder Fußsoldat versucht, seine Familie zu ernähren, indem er ein paar Fässer an Land schleppt, dann ist das natürlich was ganz anderes. Und glauben Sie, dass auch nur ein Mensch jemals an eine Entschädigung denkt, wenn einem Mann das Boot weggenommen oder verbrannt wird? Einen Teufel werden die tun!«
Morgan sammelte die Münzen wieder ein und tat sie zurück in den Beutel. Trotz seines offensichtlichen Ärgers waren seine Bewegungen langsam und kontrolliert.
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