Dann bemerkte er den Hund.
Er zögerte und blieb stehen. Das Tier benahm sich merkwürdig; es lief vor der Tür hin und her, dann blieb es stehen und kratzte an der Tür, als ob es eingelassen werden wollte. Die Frau war nirgends zu sehen. Der Hund kratzte weiter an der Tür und Lasseur hörte ihn winseln. Er kam näher.
Der Hund sah ihn kommen. Er merkte, dass das Tier zögerte, gerade so, als ob es ihn nicht erkannte. Er wartete auf das kurze Bellen, aber es kam nichts. Stattdessen ging der Hund zur Tür zurück und kratzte wieder. Dann drehte er sich um und kam mit hängendem Kopf zu Lasseur. Er sah aus, als könne er sich nicht entscheiden, ob er wedeln sollte oder nicht.
»Na, Rab«, sagte Lasseur leise, während er sich hinhockte und dem Hund die Ohren kraulte. »Was ist denn los, Junge?«
Er merkte, dass er mit dem Hund Französisch sprach, also versuchte er es auf Englisch. »Braver Hund.«
Der Hund sprang auf und lief wieder zur Tür.
Zuerst dachte Lasseur, das Winseln käme von dem Hund, aber dann merkte er, dass es in dem Haus war. Neugierig geworden, kam er näher. Je näher er der Tür kam, desto mehr klang es, als sei jemand in Not. Der Hund sah ihn aufmunternd an und schnüffelte unruhig. Es war klar, er wollte ins Haus.
Lasseur beugte sich vor und sah durch das offene Küchenfenster. Mitten im Raum stand ein großer Tisch. Darauf lag die Frau, den Rücken auf die Tischplatte gedrückt. Ihr Rock war hoch über ihre Hüften geschoben. Zwischen ihren Schenkeln und leicht nach vorn gebeugt stand ein Mann mit strähnigem Haar. Lasseur konnte sein Gesicht nicht sehen, und sein Rücken nahm ihm auch die Sicht auf das Gesicht der Frau. Der Mann griff sich zwischen die Beine. Lasseur konnte nicht erkennen, ob er an sich hantierte oder an den Kleidern der Frau. Er sah, wie sie die Hand ausstreckte und die Schulter des Mannes packte.
Lasseur trat eilig zurück, besorgt, dass sie seinen Schatten am Fenster gesehen haben könnten. Das Wimmern, das er für ein Zeichen der Bedrängnis gehalten hatte, war in Wirklichkeit der Ausdruck von Leidenschaft gewesen. Er sah auf den Hund hinunter, der ihn immer noch erwartungsvoll ansah, und lächelte reumütig. »Tut mir leid, Junge, aber ich glaube, dein Frauchen würde es nicht sehr schätzen, wenn wir sie jetzt stören würden.«
Lasseur versuchte sich zu erinnern. Hatte der Hund schon vorher gebellt? Er wusste es nicht. Vermutlich war er zu sehr damit beschäftigt gewesen, sich den Dreck vom Hulk aus den Ohren zu waschen.
Der Liebhaber war vermutlich der Mann, den sie erwähnt hatte. Er versuchte, die völlig unsinnige Eifersucht zu unterdrücken, die in ihm aufstieg.
Er wollte gerade gehen, als er ein anderes Geräusch hörte und wie angewurzelt stehen blieb. Diesmal war es kein Irrtum. Die Worte, die jetzt fielen, waren rau und kamen von dem Mann, während der darauffolgende Schrei der einer Frau war, doch er klang weniger nach gesteigerter Leidenschaft als vielmehr nach großer Not.
Lasseur trat schnell ans Fenster zurück und spähte in die Küche. Die Stellung der beiden hatte sich kaum verändert. Die Frau lag noch immer auf dem Tisch, der Mann stand zwischen ihren Beinen. Doch diesmal sah Lasseur auch den Rest. Der Mann hielt seine linke Hand fest auf den Mund der Frau gedrückt, während er mit der Rechten an seinem Hosenlatz hantierte. Ihre Hand war noch immer auf seiner Schulter, aber jetzt sah Lasseur, dass sie den Mann nicht zu sich herunterziehen, sondern ihn wegstoßen wollte.Lasseur beobachtete die Szene noch immer, als die Frau den Kopf drehte und ihm ins Gesicht sah. Sie riss die Augen auf. Lasseur sah, dass ihre Bluse zerrissen war und dass ihre linke Brust fast völlig entblößt war. Dann sah er die Tränenspuren auf ihrem Gesicht.
Der Hund raste bereits an ihm vorbei, als er die Tür mit einem so gewaltigen Schwung aufstieß, dass sie gegen die Wand krachte.
Der Mann drehte sich um, die Hand über seinem halbgeöffneten Hosenlatz. In seinem Gesicht stand der Schock. Er hatte keine Narbe, es war also nicht der Mann, den Jess als ihren Helfer beschrieben hatte.
Knurrend stürzte der Hund auf ihn zu. Für sein Alter war er plötzlich äußerst beweglich.
Instinktiv holte der Mann zu einem Fußtritt aus. Der Hund jaulte laut vor Schmerz, als der Stiefel seine Rippen traf. Die Frau schrie auf, als Lasseur einen Satz machte und dem Mann mit der Faust einen kräftigen Kinnhaken verpasste. Man hörte das satte Geräusch, das entsteht, wenn Handknöchel auf Unterkiefer treffen. Mit einem schmerzhaften Grunzen zuckte der Mann zurück, doch Lasseur hatte seine Alkoholfahne bereits wahrgenommen. Er legte gleich noch nach, indem er den Mann am Arm packte und ihm eine Handvoll Haare ausriss. Er schleuderte den Mann quer durch den Raum. Die Frau ließ sich vom Tisch gleiten und fing an, ihre Kleider in Ordnung zu bringen. Der Hund bellte den Mann wütend an, dieser entwand sich Lasseurs Griff und taumelte rückwärts durch die offene Tür nach draußen. Lasseur, die Augen dunkel vor Zorn, stürzte hinter ihm her. Der Mann befühlte seine Lippe mit der Hand. Sie war blutig. Er starrte auf das Blut, dann auf Lasseur, schließlich auf die Frau.
»Du Schlampe! Du wolltest es doch! Sag bloß, dass es nicht wahr ist!«
Sie stand in der Tür und hielt die zerrissene Bluse mit der Hand zusammen. Ihr Gesicht brannte, sie atmete schwer.
»Nicht mit dir, Seth! Mit dir niemals! Eher friert die Hölle zu.«
Der Blick des Mannes wanderte zu Lasseur, dann sah er zur Seite. Lasseurs Herz blieb stehen, als er sah, was der Mann gerade entdeckt hatte.
Sie bewegten sich gleichzeitig, aber Lasseur wusste, dass er es nicht schaffen würde, er war zu weit entfernt. Mit einem Ruck zog der Mann die Axt aus dem Hackklotz. Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Grinsen. »Erst mach ich dich fertig, dann nehme ich sie mir vor.«
Lasseur sah sich nach einer Waffe um. Er ergriff einen Prügel und hielt ihn vor sich wie eine Keule. Es schien ein hoffnungsloses Unterfangen.
Der Hund bellte. Er hatte seinen Mut wiedergefunden und kam aus der Küche gerannt. Die Frau griff nach seinem Hals, aber er riss sich los. Ihre Bluse öffnete sich wieder und gab ihre nackte Brust frei. »Rab, nein!«
Der Mann schwang die Axt. Der Hund sprang zur Seite, und die Klinge verpasste seinen Kopf nur knapp. Doch er wurde nur noch wütender und bellte weiter.
Lasseur kam langsam näher und hielt sein Holzstück fest.
Der Mann mit der Axt grinste hämisch und zeigte braune, ungleichmäßige Zähne. Sein Haar hing in fettigen Strähnen in sein pockennarbiges Gesicht. Er war nicht sehr groß, ungefähr so groß wie Lasseur, aber seine Figur war kompakt und muskulös. »Ist das alles, was dir einfällt?« Er schwang die Axt in Richtung auf Lasseurs Kopf. Lasseur schwang die Keule und versuchte, den Schlag abzufangen. Die Klinge der Axt sauste ins Holz und riss Lasseur die Keule aus der Hand.
Lasseur hörte die Frau aufschreien: »Nein, Seth!«, aber der Angreifer kam wieder näher, die Axt hoch erhoben.
In dem Moment kam eine große, dunkle Gestalt um die Ecke.
»He!«
Der Mann mit der Axt drehte sich um.
Hawkwood schwang den Besen wie eine Peitsche.
Das Gebrüll, das der Mann ausstieß, als der Reisigbusch ihm übers Gesicht fuhr, war so laut, dass sogar der Hund schwieg. Lasseur konnte nur ahnen, wie viele Birkenzweige hier zusammengebunden waren, aber jeder einzelne hatte die Haut des Angreifers aufgerissen wie eine scharfe Kralle. Der Mann ließ die Axt fallen und stolperte davon, wobei er mit den Händen sein aufgerissenes Gesicht bedeckte, von dem das Blut zwischen den Fingern hindurchtropfte.
Lasseur hob die Axt auf. Sein unrasiertes Gesicht war eine grimmige Maske. Ehe Hawkwood ihn zurückhalten konnte, stürzte er ihm nach und warf den Angreifer zu Boden. Der Mann hob die Arme, um sich zu schützen. Sein Gesicht sah aus, als sei er gegeißelt worden.
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