Diesmal konntet ihr euch ja recht schnell versammeln, wenn es darum geht, Matisses Leute baumeln zu sehen , dachte Hawkwood.
Er hatte schon vorher eine Bestrafung an Bord erlebt, als er nach der Blamage von Coruña nach England zurück reiste. Ein Seemann, der in betrunkenem Zustand einen Befehl missachtet hatte, wurde ausgepeitscht. Man hatte ihn auf Deck auf einem Schutzgitter festgebunden, wo er vierundzwanzig Hiebe bekam, ausgeführt vom Maat des Bootsmanns. Die gesamte Mannschaft musste sich versammeln und zuschauen, und auch damals hatten mehrere Navysoldaten, die Musketen im Anschlag, bereitgestanden.
Gegen die Reling der Back gequetscht, neben sich Lasseur und hinter sich die beiden Wachen vom Krankenrevier, musste Hawkwood daran denken, wie ähnlich diese Situation hier war. Doch auch wenn der Schauplatz fast identisch war, die Stimmung war ganz anders. Die Auspeitschung des Seemanns war von düsterem Schweigen begleitet gewesen, während die Atmosphäre an Deck der Rapacious eher an eine öffentliche Hinrichtung erinnerte, wie sie vor den Londoner Gefängnissen stattfanden.
Es war Commander Hellards Befehl gewesen, dass alle Gefangenen, einschließlich der Schiffsbesatzung, der Exekution beiwohnen sollten, außer denen, die zu krank waren, um das Krankenrevier zu verlassen. Die große Anzahl der Gefangenen auf dem Schiff jedoch hatte die praktische Durchführung unmöglich gemacht, so dass der Befehl schließlich dahingehend geändert wurde, dass von jeder Essgruppe mindestens zwei Personen anwesend sein sollten, einschließlich der Rafalés. Dementsprechend überfüllt waren jetzt die Decks, und Hawkwood konnte sich nicht erinnern, schon jemals eine so jämmerliche, abgerissene Ansammlung von Menschen gesehen zu haben.
Unten im Park war die Luft sauer vom Gestank dreckiger, ungewaschener Körper, aber unter den Männern knisterte eine Spannung, die schon fast an freudige Erregung erinnerte. Hawkwood wäre nicht weiter überrascht gewesen, wenn die fliegenden Händler des Schiffs auch hier aufgetaucht wären und versucht hätten, Geschäfte zu machen, ähnlich den Pastetenverkäufern und Süßwarenhändlern, die die Menschenmengen vor dem Gefängnis von Newgate versorgten.
Während er zusah, versuchte Hawkwood das Gefühl zu ignorieren, wie sich ihm langsam, aber unerbittlich sein Hals zuschnürte, ebenso wie den Schweiß, der ihm zwischen den Schulterblättern den Rücken hinunterlief.
Ein Murmeln lief durch die Menge, als die Verurteilten aufs Deck geführt wurden, die Hände auf dem Rücken gefesselt und von Wachen der Miliz flankiert. Zwei der Männer trugen eine Toga, die anderen hatten ihre gelbe Kluft an. Ihre Gesichter waren zum Teil übel zugerichtet. Die beiden, die eine Toga trugen, hatten auch Verletzungen an Armen und Beinen. Hawkwood fragte sich, wie viele der Verletzungen von dem Gemetzel im Laderaum herstammten, und wie viele durch das Eingreifen der Miliz entstanden waren.
Irgendjemand im Park rief etwas Obszönes, worauf andere mit einem wahren Pfeifkonzert reagierten. Die verurteilten Männer waren kreideweiß und man sah, wie stark sie zitterten.
»Ruhe!« Die Stimme von Sergeant Hook schallte über das Deck. Als die Milizionäre anfingen, den Männern die Schlingen um den Hals zu legen, brachen zwei von ihnen weinend zusammen. Unter spöttischem Johlen wurden sie wieder auf die Beine gestellt. Beide schwankten bedenklich, als die Schlingen um ihren Hals lagen. Als alle Schlingen an Ort und Stelle waren, wurden den Männern Kapuzen über Kopf und Gesicht gezogen.
Leutnant Hellard trat vor, begleitet von Murat. Er hob den Arm, und es wurde still auf dem Deck.
Hellard sprach und Murat übersetzte.
Hawkwood fragte sich, wie viele Nationalitäten es wohl hier an Bord gab. Wer dolmetschte für die anderen?
»Wir verkünden hiermit, dass die Besatzung des Schiffs und seine Gefangenen sich heute hier versammelt haben, um der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Die Männer, die hier vor Ihnen stehen, haben sich verabscheuungswürdigster Verbrechen schuldig gemacht. Auf Befehl der Admiralität Seiner Majestät von Großbritannien wird jeder dieser Männer zum Tode verurteilt, wozu er am Hals aufgehängt wird, bis er tot ist. Möge Gott ihrer Seele gnädig sein.«
Abrupt, als sei ihm die Kürze der Ansprache peinlich, trat Hellard zurück und nickte den Mitgliedern des Gefangenentribunals zu.
Der Arzt hatte Recht gehabt!, Dachte Hawkwood.
Er sah, wie zwölf Männer in gelber Gefangenenkluft vortraten. Sie teilten sich in drei Teams zu je vier Mann. Jedes Team löste eins der Seile von den Klampen am Schanzkleid. Dann drehten sie den verurteilten Männern den Rücken zu und standen bereit, jeder von ihnen hatte ein Stück des Seils auf der rechten Schulter.
»Fahren Sie fort, Sergeant Hook«, sagte Hellard.
Der Sergeant nickte zwei Wachen der Miliz zu, einer von ihnen zielte mit der Muskete in die Luft. Die Männer an den Seilen zogen an. Die Wachen, die die Verurteilten begleitet hatten, traten weg.
Hawkwood ballte die Fäuste. Die Wache schoss in die Luft.
Im selben Augenblick stürmten die Männer mit den Seilen so schnell sie konnten in Richtung des Hecks. Hinter ihnen schossen drei vermummte Gestalten an der Rahe in die Luft. Das Echo des Schusses war noch nicht verklungen, da wurden die Enden der straff gespannten Seile auch schon fest gemacht. Erst jetzt sahen sich die Mitglieder der Teams ihre Arbeit an. Hoch über ihnen, und sich vom Schwung des Hochziehens immer noch drehend, hingen die drei Leichen von der Rahe wie groteske Schmuckstücke.
Die Teams wandten sich den Seilen auf Steuerbord zu. Auch hier traten die Wachen zur Seite.
Ein erneutes Nicken von Hood, und auch der zweite Milizionär schoss. Die Henker stürmten abermals vorwärts. Drei weitere Körper stiegen schnell in die warme Morgenluft.
Ein Seufzer lief über das Deck wie ein Windhauch.
Einer der Milizionäre fluchte, als ein Schauer von Urin und Kot von einer der leise pendelnden Leichen ihn nur knapp verfehlte und zu seinen Füßen aufs Deck klatschte. Seine Kollegen sahen hoch und sprangen schnell zurück, um der Flut von Fäkalien auszuweichen, die von oben kam, als sich die Schließmuskeln der Erhängten langsam entspannten. Ein Lachen lief durch die Reihen der Gefangenen. Langsam löste sich die allgemeine Spannung.
»Ruhe!«, brüllte Hook.
»Ein Arzt sagte mir mal, es sei ein schneller Tod.« Lasseur starrte auf die Leichen.
Hawkwood antwortete nicht. Er wusste es. Die Tatsache, dass keines der Opfer die Beine mehr bewegt hatte, nachdem sie den Boden verlassen hatten, bestätigte die Aussage des unbekannten Arztes. Der Tod war eingetreten, sowie die Seile straff gezogen waren, nämlich durch Genickbruch und nicht durch langsames Ersticken. Er sah seine Hände an, in seinen Handflächen waren rote Flecken, dort wo seine Fingernägel sich eingegraben hatten.
Er hörte, wie Lasseur leise vor sich hin fluchte, und als er sich umdrehte, sah ihn der Privateer mit verlegenem Gesicht an. Lasseur öffnete den Mund und wollte etwas sagen.
»Ist schon in Ordnung, Captain«, sagte Hawkwood. »Es ist schon sehr lange her.«
Einen Augenblick sah es aus, als wolle Lasseur etwas antworten. Seine Augen wanderten von Hawkwoods Hals zu den Striemen an seinen Händen, dann nickte er stumm.
Hawkwood wandte sich um und sah zum Quarterdeck, wo Hellard und Murat sich mit dem Gefangenentribunal besprachen, während über ihnen die sechs Leichen, die Beine nass und fleckig von ihren Exkrementen, weiterhin sanft in der Morgenbrise schwangen. Seine Augen wanderten übers Wasser zu den anderen Schiffen. Überall war die Reling schwarz von Menschen, Gefangene und Mannschaften, aller Augen waren auf die Rapacious gerichtet. Hawkwood fragte sich, wie lange es gedauert hatte, bis die Nachricht von der bevorstehenden Hinrichtung sich im Gebiet der Flussmündung herumgesprochen hatte. Bestimmt nicht lange, wenn die Buschtrommeln der Navy so effizient waren wie die des restlichen Militärs, die er kennengelernt hatte.
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