In Matisses Wange zuckte es. »Habt ihr das gehört? Abschaum hat er euch genannt, und noch dazu schwulen Abschaum. An Ihrer Stelle wäre ich vorsichtig, Captain. Die Navy mag Sie noch so sehr schätzen, aber hier sollten Sie daran denken, wo Sie sind. Und was diesen Jungen hier angeht, wer hat ausgerechnet Sie zu seinem Vormund ernannt? Sie haben doch nicht etwa ein Recht darauf, oder?« Er unterbrach sich einen Moment. »Schließlich ist er doch nicht Ihr Sohn, stimmt’s?«
»Du verdammtes Schwein!«, fluchte Lasseur. Er ging einen Schritt vorwärts. Sein Gesicht war starr wie eine Maske.
Aus Dupins Kehle kam ein warnendes Knurren. Er hob seinen Fassreifen.
Schnell legte Hawkwood seine Hand auf Lasseurs Arm. Die Muskeln im Arm des Privateers waren hart wie Schiffstaue. Hawkwoods Griff hatte gereicht, um Lasseur zurückzuhalten, aber nur so lange, wie der Franzose brauchte, um die Hand ungeduldig abzuschütteln. »Ich verlange, dass der Junge mir ausgehändigt wird, und zwar sofort!«
Es folgte eine tödliche Stille.
Die schwarz gekleidete Gestalt legte beide Handflächen auf den Tisch und erhob sich. Die Bewegung war mühelos, wie das Entrollen einer geschmeidigen Katze.
»Sie verlangen ? Sie wagen es, hierherzukommen und etwas von mir zu verlangen? Sehen Sie sich um, Captain. Dies ist mein Reich. Hier regiere ich , und sonst niemand. Sie sind gerade erst angekommen, also sind Sie mit der Ordnung hier noch nicht vertraut. Gehen Sie zurück auf Ihr Geschützdeck und nehmen Sie Captain Hooper mit. Und wenn es Ihnen in den Sinn kommen sollte, Hilfe anzufordern, dann überlegen Sie sich das gut. Glauben Sie wirklich, die Briten haben Kontrolle über das, was hier auf dem Schiff vorgeht? Oh ja, sie haben ihre Musketen und ihre schönen Uniformen. Vielleicht haben sie sogar Autorität, aber glauben Sie auch nur einen Augenblick, dass sie Macht über uns haben? Auf diesem stinkenden Pott sind mehr als achthundert von uns eingesperrt. Was meinen Sie, was die machen würden, wenn es zu einer ausgewachsenen Revolte käme? Nicht die Briten halten die Gefangenen hier in Schach, sondern ich . Matisse! Commander Hellard mag mich verachten, vielleicht hat er sogar Angst vor mir. Aber Sie können sicher sein, dass er und der Rest seiner Mannschaft Gott dankten an dem Tag, an dem ich hier an Bord kam!«
»Du elendes Dreckstück!«, zischte Lasseur.
Einen schreckensstarren Moment lang dachte Hawkwood, dass Lasseur sich trotz Dupins Nähe über den Tisch werfen würde. Wenn er das täte, wären sie beide tot. Doch so schnell ihm der Ausruf entfahren war, hatte er sich auch wieder gefangen. Er sah Matisse an.
»In Ordnung, nennen Sie Ihren Preis.«
»Sie bieten mir Geld?« Immer noch dieser spöttische Ton.
»Wir wollen den Jungen. Ohne ihn gehen wir nicht.«
»Bravo, Captain! Mutige Worte. Haben Sie auch schon daran gedacht, dass Sie vielleicht gar nicht mehr zurückgehen werden?«
»Denken Sie etwa, Sie können uns aufhalten?«, sagte Lasseur.
»Natürlich kann ich Sie aufhalten. Ich brauche nur mit den Fingern zu schnipsen. Was meinen Sie, wie weit Sie dann kommen? Diesmal ist Ihnen der Feind wirklich an Geschützen überlegen.«
Hawkwood sah sich um und wusste, der Mann hatte Recht. Trotz Lasseurs Versuch, draufgängerisch aufzutreten, hatte keiner von ihnen eine Chance gegen Matisses Gefolgschaft. Sie wären dumm, es auch nur zu versuchen. Es war ein Fehler gewesen, so unvorbereitet zu kommen. Sie hatten die Macht unterschätzt, die Matisse über dieses Deck hatte; und wenn man seinem Prahlen Glauben schenken durfte, auch über das restliche Schiff.
»Die Sache muss geklärt werden«, sagte Hawkwood. »Und zwar jetzt.«
Matisse schüttelte den Kopf, aber ob aus Verwunderung oder Belustigung war schwer zu sagen.
»Ist Ihnen wirklich so sehr daran gelegen, den Jungen zurückzukriegen?« Wieder schaukelte der Ohrring. Matisse betrachtete seine Leutnants, die ihn eifrig und erwartungsvoll ansahen. Sie rochen Blut. Langsam drehte er sich um, sein Gesicht war listig. Er zog einen Flunsch.
»In Ordnung, vielleicht gibt es einen Ausweg.«
»Welchen?«, fragte Lasseur.
Matisse schwieg. »Einen Wettkampf.«
Ein Murmeln lief durch die Reihen der Männer.
Lasseur war verblüfft. »Sie meinen, eine Wette? Sie würden mit Würfeln über das Schicksal des Jungen entscheiden?«
»Nicht mit Würfeln.«
»Dann mit Karten? Damit will ich auch nichts zu tun haben!«
»Es gibt andere Wege, sich ein Bild von der Tapferkeit eines Mannes zu machen, als ihn beim Whist gewinnen zu sehen, Captain.«
»Zum Beispiel?«, fragte Lasseur vorsichtig.
»Eine Art von Prüfung.«
»Sie meinen eine Verhandlung?« Lasseur sah skeptisch aus. »Sollen wir etwa ein Plädoyer halten?«
»Nicht diese Art von Prüfung.«
»Was meinen Sie dann?«
»Ich meine einen Zweikampf.«
Alle Anwesenden fingen plötzlich an, aufgeregt durcheinanderzureden. Es dauerte ein paar Sekunden, bis es wieder still wurde.
»Er will, dass Sie um ihn kämpfen«, sagte Hawkwood ungläubig.
Matisse ließ ein kurzes, hartes und humorloses Lachen hören. »Sie drücken sich so vulgär aus, Captain. Als ob ich vorschlüge, dass die beiden sich prügeln. Ich würde es lieber als eine Art Gottesurteil bezeichnen. ›Dem Sieger den Preis‹ - sagt man das nicht?«
Entsetzt starrte Lasseur ihn an. »Mit Ihnen kämpfe ich nicht!«
»Mit mir kämpfen? Sie missverstehen, Captain. Ich meinte die alte Methode, Meinungsverschiedenheiten auszutragen, als Könige sich noch nicht selbst gegeneinander erhoben. Sie nominierten einen Stellvertreter, einen tapferen Ritter, der für sie kämpfte, jemand, der das Kriegshandwerk verstand - einen Krieger eben.« Matisse sah Hawkwood an. »Sie, Captain Hawkwood, Sie sind ein Krieger. Das beweisen Ihre Narben. Ich nominiere Sie als Captain Lasseurs Vertreter.«
» Was? «, sagte Lasseur ungläubig.
»Es ist Ihre einzige Chance, ihn zurückzubekommen. Was sagen Sie , Captain Hooper?«
»Ich glaube, Sie sind schon zu lange hier unten. Ihr Verstand hat gelitten. Sie wollen mit einem Zweikampf über das Schicksal des Jungen entscheiden?«
Noch während er sprach, fing es in Hawkwoods Kopf an, sich zu drehen. Was zum Teufel ging hier vor? Was hatte Lasseur sich gedacht? Das war doch nicht geplant gewesen. Warum, im Namen aller Heiligen, hatte er sich in Lasseurs privaten Krieg hineinziehen lassen?
»So wird das Süppchen noch etwas pikanter, nicht wahr?«, sagte Matisse grinsend. »Und es ist schon eine Weile her seit unserer letzten Darbietung. Wann war das? Erinnert sich jemand?« Erwartungsvoll sah er die Gesichter an, die im Kreis um ihn standen. »Nein? Na ja, so ist das eben, hier unten merkt man nicht, wie die Zeit vergeht. Ein Monat fließt in den nächsten. Jedenfalls ist das mein Angebot, Captain Lasseur. Eine sportliche Chance. Wenn mein Mann gewinnt, bleibt der Junge bei uns. Wenn Captain Hooper siegt, gebe ich den Jungen frei. Was sagen Sie dazu?«
»Lassen Sie Captain Hooper aus dem Spiel«, sagte Lasseur. Er sah Hawkwood an. Sein Gesicht war aschgrau.
»Dafür ist es zu spät«, sagte Matisse.
Hawkwood sah die gespannte Aufmerksamkeit in den Gesichtern der anderen Männer. Lasseur starrte ihn noch immer ungläubig an.
»Wer ist Ihr Mann?«, fragte Hawkwood. »Dupin?«
»Dupin?« Matisse schien überrascht. Er hob das Kinn. »Oh nein, nicht Dupin. Wenn Korporal Dupin auch ein treuer und zuverlässiger Leutnant ist, so wäre er doch kein Gegner für einen Veteranen wie Sie. Nein, keine Widerrede, Korporal. Sie wissen, dass ich Recht habe. Captain Hooper ist ein erfahrener Soldat, während Sie nur ein Höfling mit einem Stöckchen sind. Sie würden keine fünf Minuten durchhalten, und wo ist da der Sport? Nein, Captain, ich wähle einen anderen, einen viel würdigeren Gegner. Königliches Privileg, wenn Sie wollen.«
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