«Aber, Sir…«
«Bleiben Sie hier, solange es Ihnen gefällt«, sagte Tremayne schon im Gehen.»Unterhalten Sie sich mit John, unterhalten Sie sich mit meiner Sekretärin, unterhalten Sie sich mit wem Sie möchten.«
«Ich fürchte, Sie verstehen nicht recht, Sir«, sagte Doone mit einem Anflug von Verzweiflung.»Angela Brickell wurde erdrosselt.«
«Was?« Tremayne blieb wie vom Schlag gerührt stehen.»Ich dachte, Sie sagten.«
«Ich sagte, wir haben die Überreste gefunden. Jetzt, nachdem Sie… äh… das Pferd wiedererkannt haben, Sir, sind wir ziemlich sicher, daß es sich um Angela handelt. Alles andere paßt: Größe, Alter, vermutetes Todesdatum. Außerdem, Sir…«, er zögerte kurz, als müsse er seinen Mut zusammennehmen,»erst in der vergangenen Woche hatten wir einen Fall vor dem Crown Court, bei dem es um eine andere junge Frau ging, die ebenfalls erdrosselt wurde… erdrosselt hier in diesem Haus.«
Eisiges Schweigen.
Endlich unterbrach Tremayne die Stille:»Da kann es keine Verbindung geben. Der Todesfall in diesem Haus war ein Unfall, egal, was die Geschworenen davon halten.«
Doone hakte unverdrossen nach:»Stand Mr. Nolan Eve-rard in irgendeiner Verbindung zu Angela Brickell?«
«Ja, selbstverständlich. Er reitet Chickweed, das Pferd auf dem Foto. Er war beruflich schon oft mit Angela Brickell zusammengekommen. «Tremayne überlegte kurz.»Wo, sagten Sie, wurden ihre… Überreste… gefunden?«
«Ich glaube, das hatte ich noch nicht erwähnt, Sir.«
«Nun, wo denn?«
«Alles zu seiner Zeit, Sir«, sagte Doone eine Spur zu ungemütlich; mir kam der Verdacht, daß er insgeheim gehofft hatte, jemand würde es wissen, und wer das wußte, war auch derjenige, der sie erwürgt hatte.
«Armes Mädel«, sagte Tremayne.»Trotz allem, Herr Chefinspektor, muß ich jetzt zum Rennplatz. Bleiben Sie, so lange Sie wollen, fragen Sie, wen Sie wollen. John wird meiner Assistentin und meinem Futtermeister alles erklären. John, sagen Sie Mackie und Bob, was passiert ist, ja? Rufen Sie über Autotelefon an, falls Sie mich brauchen. Gut, dann muß ich los.«
Er machte sich zielstrebig und eiligst auf den Weg. Kurz darauf war der Volvo zu hören, und man konnte sehen, wie er vom Hof fuhr. Auf eigenartige Weise amüsiert, schaute ihm Doone nach: ein erster Vorgeschmack davon, wie schwierig es war, Tremayne von einem einmal eingeschlagenen Weg abzubringen.
«Nun, Herr Chefinspektor, wo wollen Sie anfangen«, sagte ich möglichst neutral.
«Ihr Name, Sir?«
Ich nannte ihn. Mit mir ging er ein ganzes Stück dreister um, fiel mir auf. Ich konnte nicht die Sorte Persönlichkeit vorweisen, die die seine überschattete.
«Und Ihre… äh… Beschäftigung hier?«
«Ich schreibe die Geschichte dieses Rennstalls.«
Es schien ihn einigermaßen zu überraschen, daß jemand sich mit solch einem Unterfangen beschäftigte.»Höchst interessant, da habe ich keine Zweifel«, nuschelte er.
«Allerdings.«
«Und… äh… kannten Sie die Verstorbene?«
«Angela Brickell? Nein, ich kannte sie nicht. Sie verschwand im letzten Sommer, glaube ich, und ich bin erst seit kurzem hier, seit knapp zehn Tagen.«
«Aber Sie wußten über sie Bescheid, Sir«, sagte er schroff.
«Erlauben Sie, daß ich Ihnen zeige, weshalb ich die Geschichte kenne. Kommen Sie mit und sehen Sie selbst.«
Ich führte ihn in das Eßzimmer, wo ich ihm die Stapel mit den Zeitungsausschnitten zeigte und ihm erklärte, sie seien die Rohmaterialien für mein zukünftiges Buch.
«Dies hier ist mein Arbeitszimmer«, sagte ich.»Irgendwo in diesem Stapel«, ich zeigte auf einen Haufen Schnipsel,»befindet sich ein Bericht über Angela Brickells Verschwinden. Daher kenne ich die Geschichte, und das ist auch alles, was ich über sie weiß. Seit ich hier bin, wurde sie außerhalb dieses Zimmers mit keiner Silbe erwähnt.«
Er wühlte in den Ausschnitten vom letzten Jahr und fand die Artikel über das Mädchen. Er nickte einige Male und legte sie dann wieder dorthin zurück, wo er sie gefunden hatte; über meine Person schien er sich jetzt vergewissert zu haben. Ich bekam eine Ahnung von der in Bälde über mich hereinbrechenden Schwatzhaftigkeit.
«Tja, mein Herr«, sagte er entspannt,»Sie können jetzt damit anfangen, mich allen anderen Leuten hier vorzustellen und ihnen zu erklären, warum ich diese Fragen stelle, und da ich bereits bei anderen Fällen, in denen nur noch Überreste gefunden wurden, festgestellt habe, daß die Leute das Allerschlimmste annehmen und sich die wüstesten Horrorgeschichten ausmalen, so daß ihnen regelrecht schlecht wird und wir dadurch sehr viel Zeit verlieren, deshalb also sage ich Ihnen gleich — und Sie sagen es dann weiter — , daß das, was wir gefunden haben, Knochen waren, schön sauber, ohne Gestank, nichts Schauerliches, das können Sie den Leuten versichern.«
«Danke«, sagte ich etwas benommen.
«Tiere und Insekten haben sie schön blankgeputzt, verstehen Sie?«
«Glauben Sie nicht, daß allein diese Tatsache den Leuten auf den Magen schlägt?«
«Dann malen Sie es nicht so aus, Sir.«
«Gut.«
«Wir haben ihre Kleider, ihre Schuhe und ihre Handtasche bei uns im Polizeirevier… sie waren ringsum verstreut, ich mußte meine Männer alles absuchen lassen…«Er unterbrach sich, ohne mir zu verraten, wo die Suche stattgefunden hatte; außer der Tatsache, daß die Knochen fein säuberlich abgenagt wurden, was darauf hinwies, daß die Leiche irgendwo draußen gelegen hatte. Das wiederum war nichts Außergewöhnliches für eine Stallgehilfin.»Außerdem möchte ich Sie darum bitten, Sir, daß Sie den Leuten nur sagen, daß sie gefunden wurde — nicht daß man sie erdrosselt hat.«
«Woher wollen Sie wissen, daß sie erdrosselt wurde, wenn nichts mehr von ihr übrig ist?«
«Das Zungenbein, Sir. In der Kehle. Gebrochen. So was passiert nur bei einem direkten Schlag oder durch handfesten Druck. Normalerweise durch Finger, von hinten.«
«Aha, verstehe. Na schön, das überlasse ich Ihnen. Am besten fangen wir mit Dee-Dee an, Mr. Vickers’ Sekretärin.«
Ich schob ihn ins Büro und stellte ihn vor. Inspektor Rich folgte uns wie ein Schatten, ein stummer Notizenschreiber. Ich erzählte Dee-Dee, daß man Angela Brickell wahrscheinlich gefunden hatte.
«Oh, das ist schön«, sagte sie spontan, und dann, als sie sah, daß es doch nicht so schön war:»Oh, weh!«
Doone fragte, ob er telefonieren dürfe, was ihm Dee-Dee sofort erlaubte. Doone rief seine Leute im Hauptquartier an.
«Mr. Vickers hat das Pferd als dasjenige identifiziert, das Angela Brickell in seinem Stall versorgt hat, und den Mann als den Besitzer des Pferdes, besser gesagt als den Ehemann der Besitzerin. Ich würde sagen, es ist ziemlich sicher, daß wir da Angela Brickell in der Leichenhalle haben. Könnt ihr eine Benachrichtigung an ihre Eltern rausschicken? Sie wohnen da draußen in der Nähe von Wokingham. Die Adresse liegt in meinem Büro. Das muß aber pronto passieren, verstanden? Ich möchte nicht, daß ihnen vorher jemand aus Shellerton damit ins Haus fällt.
Bringt’s ihnen schonend bei, ja? Fragt, ob sie eventuell ihre Kleider oder ihre Handtasche wiedererkennen würden. Mollie soll hingehen, falls sie Dienst hat. Sie macht es den Leuten immer etwas erträglicher; wischt den ersten Schmerz auf. Ja, schickt Mollie hin. Sagt ihr, sie soll noch einen Wachtmeister mitnehmen, wenn sie will.«
Er lauschte noch einige Augenblicke, dann legte er auf.
«Das arme Mädel ist schon seit sechs Monaten oder länger tot«, sagte er zu Dee-Dee.»Alles, was von ihr übrig ist, sind saubere, weiße Knochen.«
Dee-Dee sah so aus, als wäre diese Vorstellung schon ekelhaft genug, aber ich mußte einsehen, daß Doones rauhbeinige Menschlichkeit doch auch tröstete. Er war wie ein Chirurg mit Wurstfingern, fiel mir ein: entgegen aller Wahrscheinlichkeit feinfühlig in seinem Handwerk.
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