«Nolan kam grollend und fluchend ins Haus zurück und sagte mir, er würde die. äh. die kleine Nutte umbringen. Wie Sie sehen, schob er ihr und nicht Sam, glaube ich jedenfalls, die Schuld dafür in die Schuhe, daß er wie ein Idiot dastand. Er, Nolan, der aristokratische Amateurreiter. Er wollte die Sache nicht weiter publik machen und hielt den Mund, aber er war die ganze Zeit über geladen. So, also das ist jedenfalls an dem Abend passiert.«
«Natürlich hat das niemand«, sagte ich leise,»vor Gericht vorgebracht.«
«Selbstverständlich nicht. Sehen Sie, es wußten ja nicht viele, außerdem hätte das ein Motiv für Nolan ergeben.«
«Eben.«
«Er wollte sie aber doch nicht umbringen. Das weiß jeder. Wenn er Sam angegriffen und umgebracht hätte, wäre das etwas anderes gewesen.«
«Es sind nicht zufällig Sie gewesen«, fragte ich stirnrunzelnd,»die bei der Verhandlung aussagte, sie hätte gehört, wie er sagte, er würde die Schlampe umbringen?«»Nein, natürlich nicht. Ein paar andere Leute haben es gehört, noch bevor er zu mir kam, aber die wußten nicht, warum er das sagte. Zu diesem Zeitpunkt schien es recht unwichtig zu sein. Natürlich hat mich nie jemand gefragt, ob ich wüßte, warum er es gesagt hat, und so hat es auch niemand herausgekriegt.«
«Die Anklage muß doch Nolan gefragt haben, warum er so etwas gesagt hat.«
«Sicher, aber er behauptete, deswegen, weil er sie nicht gefunden habe, nur deshalb. Extravagante Ausdrucksweise, aber keine Drohung.«
Ich seufzte.»Und Sam sagte nichts, weil es seine angeknackste Reputation noch weiter torpediert hätte?«
«Ja. Außerdem glaubt er nicht daran, daß Nolan sie wirklich umbringen wollte. Das hat er mir gesagt. Es war wohl nicht das erste Mal, daß er und Nolan das gleiche Mädchen flachgelegt haben, und manchmal hat ihm Nolan eins von seinen ausgespannt. Es war so eine Art Jux zwischen den beiden, kein Grund, jemanden umzubringen.«
«Eher ein Jux für Sam als für Nolan.«
«Möglich. «Sie schüttelte sich.»Meine Arbeit bleibt inzwischen liegen.«
«Sie haben mir bei meiner geholfen.«
«Schreiben Sie das bloß nicht ins Buch«, ermahnte sie mich erschrocken.
«Werde ich nicht tun. Versprochen.«
Ich zog mich ins Eßzimmer zurück und, da sich Tre-maynes Lebensweg mittlerweile immer klarer und klarer abzeichnete, begann ich damit, das Buch in generelle Abschnitte zu unterteilen sowie jeden Abschnitt mit einer vorläufigen Überschrift und einzelnen Kapitelüberschriften zu versehen. Ich hatte noch keinen einzigen sinnvollen
Satz zu Papier gebracht und fühlte mich von den vielen leeren Seiten, die vor mir lagen, tyrannisiert. Ich hatte schon von Schriftstellern gehört, die sich auf ihre Schreibmaschine wie auf eine Geliebte stürzen. Bei mir gab es Tage, an denen ließ ich nichts unversucht, nur um den Stift nicht in die Hand nehmen zu müssen, und es war nie sehr leicht, in meinen Gehirnwindungen nach Worten und Einfällen zu schürfen. Meistens konnte ich selbst nicht glauben, daß ich mir diese Art von Beschäftigung ausgesucht hatte; den Rest der Zeit sehnte ich mich nach der unkomplizierteren Einsamkeit unter dem Sternenzelt.
Ich kritzelte:»Finde etwas, das dir Spaß macht, und verbringe dein Leben damit, es zu tun «an den Schluß der Kapitelübersicht und entschied, daß ich für diesen Tag genug getan hatte. Wenn ich es morgen immer noch in Ordnung fand, würde ich es vielleicht übernehmen und dann zügig weiterarbeiten.
Draußen im Wald blickte Chefinspektor Doone mürrisch auf Angela Brickells hingestreute Knochen, während der Pathologe ihm erklärte, daß sie zu einem jungen Mädchen gehörten, das wahrscheinlich weniger als ein Jahr tot war.
Der Fotograf machte ein paar Bilder. Der Wildhüter markierte die Stelle auf einer großformatigen Karte. Der Mediziner sagte, es sei unmöglich, die Todesursache ohne Autopsie genau zu bestimmen, wahrscheinlich noch nicht einmal dann.
Mit einem Anflug von Ehrerbietung der Person gegenüber, die sie einmal gewesen war, wurden die Knochen und der Schädel in eine sargähnliche Kiste gepackt, zum Kleinbus getragen und sodann zum Leichenhaus gebracht.
Chefinspektor Doone erkannte, daß es nicht viel Sinn hatte, die Umgebung nach Reifenspuren, Fußabdrücken oder Zigarettenstummeln abzusuchen. Er beauftragte zwei Wachtmeister damit, sich im Unterholz nach Kleidern, Schuhen oder sonstigen Sachen, die nicht so schnell vermodern, umzusehen. Auf diese Art und Weise stießen sie unter einer Schicht trockenen Laubes auf ein Paar nasse, dreckige Jeans, einen BH kleiner Größe, ein Damenhöschen und ein T-Shirt, auf dem noch Überreste eines Musters zu erkennen waren.
Chefinspektor Doone sah zu, wie seine Männer die traurigen Fundstücke in einen Plastiksack steckten, und dachte darüber nach, daß keins der Kleidungsstücke auf den Knochen oder nur in ihrer Nähe gelegen hatte.
Er kam zu dem Schluß, daß das Mädchen, als es starb, nackt gewesen sein mußte.
Er stieß einen tiefen Seufzer aus. Diese Art von Fällen waren ihm zuwider. Er hatte selbst Töchter zu Hause.
Tremayne kam gutgelaunt von der Inspektion der zweiten Riege zurück. Er pfiff durch die Zähne und marschierte direkt in sein Büro, wo er auf Dee-Dee eine neue Salve Anweisungen niederprasseln ließ, und führte selbst mehrere rasche Telefongespräche. Dann kam er zu mir ins Eßzimmer und klärte mich kurz über den Stand der Dinge auf, bevor er mich um einen, besser gesagt zwei Gefallen bat, von denen er (nicht zu Unrecht) annahm, daß ich sie ihm nicht abschlagen würde.
Der Unfalljeep war in die ewige Schrotthalde im Himmel eingegangen; man hatte jedoch in Newbury schon einen Ersatz ausfindig gemacht, einen zwar nicht neuen, wohl aber ganz brauchbaren Landrover. Wenn ich Tremayne im Volvo nach Newbury begleitete, könnte ich den Ersatzwagen heim nach Shellerton fahren.
«Selbstverständlich«, sagte ich.
Nachdem durchgedrungen war, daß die Rennbahn in Windsor am Mittwoch in Betrieb sein würde, erwachte die Rennindustrie zu neuem Leben. Tremayne hatte mehrere Pferde angemeldet, von denen vier auch an den Start gehen sollten. Er wollte gerne, daß ich mitkäme, damit ich sah, was noch so alles zu seinem Job gehörte.
«Mit Vergnügen«, sagte ich.
Außerdem wollte er am Abend gerne zum Pokern zu Freunden gehen; ob ich wohl bei Gareth zu Hause bleiben würde?
«Klar«, sagte ich.
«Er ist alt genug, um auf sich selbst aufzupassen, aber… nun ja.«
«Gesellschaft«, sagte ich.»Damit er nicht allein ist.«
Er nickte.
«Keine Ursache«, sagte ich.
«Dee-Dee ist der Meinung, wir nutzen Sie aus«, sagte er offen.
«Finden Sie das auch?«
«Nein. «Ich war überrascht.»Mir gefällt meine Tätigkeit.«
«Kochen, Babysitting, Ersatzchauffeur, Ersatzpferdeknecht?«
«Doch, wirklich.«
Er war unsicher.»Sie dürfen jederzeit nein sagen.«
«Ich sage Ihnen früh genug, wenn ich beleidigt bin. Bis dahin möchte ich lieber überall Anteil nehmen, nützlich sein. In Ordnung?«
Er nickte wieder.
«Außerdem«, fügte ich hinzu,»lerne ich Sie auf diese Weise besser kennen — für das Buch.«
Zum ersten Mal sah er etwas besorgt aus, als wolle er womöglich nicht, daß sein ganzes Ich in aller Öffentlichkeit ausgebreitet wurde. Andererseits würde ich jedes Geheimnis respektieren, das er mir anvertraute, dachte ich, falls er es lieber unerwähnt lassen wollte. Hier handelte es sich nicht um spektaktulären Enthüllungsjournalismus, sondern eher um das Äquivalent zu einem Auftragsbildnis, eine Bestätigung des Lebens. Es mochte hingehen, daß man die eine oder andere Warze mit auf die Leinwand brachte, aber nicht jeder Makel sollte unter das Vergrößerungsglas gezerrt werden.
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