Als wir von den Downs, die sich nun in grünbrauner Tracht zeigten, zurückkehrten, stand ein fremder Wagen im Hof. In der Küche saß ein fremder Mann beim Kaffee; das heißt, nur für mich war er ein Fremder. Alle anderen kannten ihn sehr wohl.
Er war jung, kurz gewachsen, dünn, kantig und dreist und mit einem Selbstbewußtsein ausgestattet, das er auch äußerlich zur Schau trug. Sein Mundwerk war, wie ich bald herausfand, beinahe so schändlich wie das von Nolan, nur im Unterschied zu diesem sehr witzig.
«Hallo, Sam«, begrüßte ihn Tremayne.»Die Arbeit ruft, was!«
«Sie haben verdammt recht. Ich bin so steif wie ’ne frostige Jungfrau.«
Ich fragte mich ernsthaft, wie vielen Jungfrauen er das Frösteln persönlich beigebracht haben mochte; seine Ausstrahlung rief diese Art Vermutungen förmlich auf den Plan.
Tremayne wandte sich an mich.»Das ist Sam Yaeger, unser Jockey. «Sam erläuterte er den Grund meiner Anwesenheit und sagte ihm auch, daß ich gerade vom Reiten komme.
Sam Yaeger nickte mir zu und taxierte mich augenscheinlich dahingehend, ob ich ihm eher nützlich oder gefährlich werden könnte; sein Blick inspizierte meine Reithosen und meine Größe. Ich stellte mir vor, daß allein meine einsachtzig jegliche Befürchtungen seinerseits zerstreuten, ich könne ihm sein Territorium streitig machen.
Auch er trug Reithosen, dazu ein grellgelbes Sweatshirt. Über seiner Stuhllehne hing ein buntgemusterter Anorak, das Gegenstück zu dem von Gareth. Außerdem hatte er seinen eigenen Helm mitgebracht, leuchtend türkis, mit den roten Buchstaben YAEGERvorne drauf gemalt. Nicht gerade ein schüchterner oder zurückhaltender Zeitgenosse, unser Sam.
Dee-Dee kam herein und wollte ihren Kaffee holen; bei seinem Anblick strahlte sie um mindestens fünfzig Watt auf.
«Guten Morgen, Herzblatt«, sagte sie.
Herzblatt unternahm einen Versuch, sie in den Hintern zu zwicken, als sie an ihm vorbeiging, was ihr aber nichts auszumachen schien. Sieh mal einer an, dachte ich mir, da lauerte doch tatsächlich eine ausgewachsene Miezekatze irgendwo da drinnen hinter der zugeknöpften Rühr-mich-nicht-an-Sekretärinnenschale. Sie machte sich ihren Kaffee zurecht und nahm neben dem Jockey Platz. Sie flirtete nicht offen mit ihm, behielt ihn jedoch genau im Auge.
Ich bereitete den Toast zu, was zu meiner persönlichen Aufgabe geworden war, und stellte Gelee, Butter, Marmelade und alles andere auf den Tisch. Sam Yaeger beobachtete mich mit übertrieben hochgezogenen Augenbrauen.
«Sagte Tremayne vorhin nicht, Sie sind Schriftsteller?«fragte er.
«Meistens. Einen Toast?«
«Eine Scheibe, hellbraun. Sie sehen überhaupt nicht aus wie so ein komischer Schriftsteller.«
«Die meisten Leute sind’s nicht.«
«Sind was nicht?«
«Das, wonach sie aussehen. Ob nun komisch oder nicht.«
«Wie sehe ich denn aus?«wollte er wissen. Ich vermutete, nicht ganz ohne echte Neugier.
«Wie jemand, der im letzten Jahr neben neunundachtzig anderen Rennen das Grand National gewonnen und auf Platz drei der Jockeyliste abgeschlossen hat.«
«Sie haben gekiebitzt«, sagte er überrascht.
«Ich werde Sie demnächst dazu interviewen, was Sie von Ihrem Boss als Trainer halten.«
Tremayne schaltete sich mit gespielter Strenge ein:»Dabei erbitte ich mir den nötigen Respekt!«
«Da können Sie verflucht sicher sein, oder, Boss?«
«Wenn du nur einen Funken Verstand im Leibe hast«, stimmte Tremayne nickend zu.
Ich teilte den Toast aus und bereitete eine neue Ladung vor. Sams physische Präsenz beherrschte das Frühstück bis zum Schluß, und ich fragte mich, wie er wohl mit Nolan zurechtkam, der dunklen Seite derselben Medaille. Ich stellte Dee-Dee die gleiche Frage, nachdem Tremayne und
Sam gegangen waren, um sich die zweite Gruppe anzusehen. Ich fragte sie im Büro, während ich ein paar Einzelheiten in einem alten Ordner nachprüfte.
«Wie sie miteinander zurechtkommen?«wiederholte sie amüsiert.»Überhaupt nicht. «Sie machte eine Pause, überlegte, ob sie mir mehr verraten solle, zuckte mit den Schultern und fuhr fort:
«Sam kann nicht ausstehen, daß Nolan so viele Pferde aus unserem Stall reitet. Nolan reitet fast alle Rennpferde von Fiona, das akzeptiert Sam, aber Tremayne hat mehr Pferde in Amateurrennen laufen als die meisten anderen Trainer. Auf diese Weise gewinnt er natürlich auch mehr. Die Eigentümer, die ihr Geld setzen, mögen das, denn man kann über Nolan sagen, was man will, niemand streitet ab, daß er ein hervorragender Jockey ist. Schon seit Jahren mischt er an der Spitze der Amateure mit.«
«Warum wechselt er nicht zu den Profis über?«
«Allein die Vorstellung läßt Sam vor Schreck erstarren«, sagte Dee-Dee gelassen,»aber ich glaube nicht, daß das passiert. Nolan zieht seinen Amateurstatus vor. In seinen Augen ist Sam im Gegensatz zu ihm ein einfacher Angestellter, deshalb…«Sie unterbrach sich mitten im Satz, als wollte sie eine Enthüllung zurückhalten, die sich bereits zwischen Gehirn und Mund auf den Weg gemacht hatte. Die Unterbrechung kam jedoch so kraß, daß mein Interesse sofort geweckt war, und ich sie möglichst unverfänglich fragte:»Deshalb was?«
Sie schüttelte den Kopf.»Nein, das wäre den beiden gegenüber nicht fair.«
«Reden Sie weiter«, sagte ich, ohne zuviel Druck anzuwenden.
«Ich werde es niemandem weitersagen.«
«Es hat keine Bedeutung für das Buch«, sagte sie.
«Es könnte mir helfen zu verstehen, wie so ein Hof funktioniert und woher sein Erfolg kommt, abgesehen von Tremaynes Fähigkeiten. Er könnte, zumindest teilweise, das Resultat einer Rivalität zwischen zwei Jockeys sein, die sich gegenseitig beweisen wollen, wer der bessere ist.«
Sie schaute mich verwundert an.»Sie haben merkwürdige Einfälle. Daran habe ich noch nie gedacht. «Sie überlegte hin und her, und ich wartete einfach ab.»Es sind nicht nur die Pferderennen«, sagte sie endlich.»Es sind die Frauen.«
« Frauen?«
«Sie sind auch auf diesem Gebiet Rivalen. In der Nacht, als Nolan — ich meine, als Olympia starb…«
Ich hatte bemerkt, daß alle stets >als Olympia starb< sagten, und nie >als Nolan Olympia umbrachte<, doch Dee-Dee war knapp davor gewesen.
«Sam war drauf und dran, Olympia zu verführen«, erzählte Dee-Dee, als hätte niemand etwas anderes erwartet.»Nolan brachte sie mit zur Party, und natürlich machte sich Sam sofort an sie heran. «Irgendwo in ihrer ruhigen Stimme schwang Nachsicht für Sam Yaeger mit, hingegen Kritik an Nolan, ungeachtet dessen, daß Nolan anscheinend den kürzeren gezogen hatte.
«War Sam mit Olympia schon vorher. äh. bekannt?«
«Er hatte nie zuvor mit ihr zu tun gehabt. Keiner von uns kannte sie. Nolan hatte sie für sich selbst zurückgehalten. Wie auch immer, an jenem Abend brachte er sie mit. Sie sah Sam nur an und fing an zu kichern. Ich weiß es, ich war ja dabei, Frauen reagieren oft so auf Sam. «Sie hob die Augenbrauen.»Sagen Sie nichts. Ich bin auch dafür anfällig. Ich kann nichts dafür. Er ist halt ein lustiger Typ.«
«Das habe ich bemerkt«, sagte ich.
«Wirklich? Olympia hat das auch sofort bemerkt. Sie war wie Wachs in seinen Fingern, die sie natürlich sofort von oben bis unten begrapschten, kaum daß Nolan gegangen war, um ihr einen Drink zu besorgen. Als er zurückkam, war sie mit Sam weg. Ich habe Ihnen ja schon gesagt, sie trug ein knallrotes Kleid mit tiefem Ausschnitt und einem Schlitz bis zum Oberschenkel hoch… das kommt einer schriftlichen Einladung ziemlich nahe. Nolan vermutete Sam und Olympia in einem der Ställe und suchte sie dort, aber ohne Erfolg.«
Sie machte erneut eine Pause, als zweifelte sie noch immer daran, ob es rechtens war, mir das alles zu erzählen, doch es schien ihr weitaus schwerer zu fallen aufzuhören, als anzufangen.
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