Auf dem Weg vom Wiegeraum zu Telebiddy, der im nächsten Rennen laufen sollte und schon in der Sattelbox wartete, drückte mir Tremayne einen Briefumschlag in die Hand und bat mich, den Inhalt am Totalisator zu setzen; Telebiddy, alles auf Sieg.
«Ich mag nicht, wenn mich die Leute beim Wetten sehen«, sagte er.»Einmal wissen sie dann, wie überzeugt ich bin, und zudem setzen alle auf das gleiche, und damit sinkt die Gewinnquote. Normalerweise setzte ich per Telefon über einen Buchmacher, aber heute wollte ich erst den Zustand des Bodens überprüfen. Er kann sehr trügerisch sein, nach dem Schnee. Es macht Ihnen doch nichts aus?«
«Nicht im geringsten.«
Er nickte und eilte davon, und ich machte mich auf den Weg zu den Wettschaltern, wo ich soviel Geld loswurde, daß ich ein ganzes Jahr davon hätte leben können. Klein wie Tremaynes >kleine Beträge< war ein relativer Begriff, fiel mir auf.
Ich schloß mich ihm im Führring wieder an und fragte ihn, ob er die Tickets haben wolle.
«Nein. Wenn er gewinnt, holen Sie es für mich ab, ja?«
«Okay.«
Nolan unterhielt sich mit den Eigentümern, wobei er seinen seltenen Charme präsentierte und seine Lästerzunge im Zaum hielt. Selbst in der Jockeykleidung wirkte er klobig, kräftig und arrogant, doch sobald er auf dem Pferd saß, schien er alle Großmannssucht abzustreifen. Er verwandelte sich in einen Profi und wirkte konzentriert, ruhig und sattelfest.
Ich folgte Tremayne und den Eigentümern auf die Tribüne; von dort aus beobachtete ich, wie Nolan eine Darbietung seines rasiermesserscharfen Könnens lieferte, das die restlichen Amateure wie lahme Sonntagsreiter aussehen ließ.
Er machte wertvolle Sekunden an den Hindernissen gut, sein Pferd gewann Längen um Längen, schien immer genau an der richtigen Stelle zu springen. Das war Augenmaß, nicht Glück. Der Mut, den Mackie so geliebt hatte, war noch immer da, zweifellos.
Die Eigentümer, Mutter und Tochter, waren ausgesprochene Zitterer. Sie waren zwar nicht gänzlich weiß und kurz vor dem Kollaps, doch nach dem, was sie sagten, hatten sie ihr gesamtes Wettgeld ganz groß auf ihr Pferd gesetzt, und so gab es gehörig Lippen- und Knöchelbeißen vom Start bis zum Ziel.
Als wolle er Sam Yaeger um jeden Preis ausstechen, flog Nolan förmlich über die letzten drei Hindernisse und gewann mit zehn Längen Vorsprung, obwohl er am Ende verhalten ritt.
Tremayne stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, die Eigentümer fielen sich um den Hals, umarmten auch Tremayne und hörten auf zu zittern.
«Dafür könnten Sie Nolan eine schöne kleine Barzahlung präsentieren«, sagte Tremayne unverblümt.
Die Eigentümer waren der Meinung, Nolan wäre es peinlich, wenn sie ihm ein derartiges Geschenk machen würden.
«Geben Sie es mir, ich gebe es an ihn weiter. Keine Peinlichkeiten.«
Die Eigentümer meinten, sie müßten jetzt schleunigst hinunter und ihren Sieger empfangen, was sie sofort in die Tat umsetzten.»Geizige Glucken«, raunte mir Tremayne ins Ohr, während wir zusahen, wie sie um das Pferd herumflatterten und sich fotografieren ließen.
«Geben sie Nolan wirklich überhaupt nichts?«wollte ich wissen.
«Es verstößt gegen das Reglement, und das wissen sie. Amateure sollen kein Geld für ihre Siege einstreichen. Nolan hat wahrscheinlich sowieso auf das Pferd gesetzt, das macht er immer bei einem so heißen Tip. Und ich bekomme immer hundertprozentigen Einsatz von meinem Jockey. «Seine Stimme knarzte vor trockenem Humor.»Manchmal glaube ich, daß die Rennbehörde einen Fehler macht, wenn sie Jockeys nicht auf ihre eigenen Pferde setzen läßt.«
Er ging wieder in den Wiegeraum, um den Sattel und die Satteldecke für Cashless abzuholen, während ich am Schalter den Gewinn auf Telebiddy kassierte, der nicht viel höher war als der Einsatz. Wie es aussah, hatte Nolan den heißen Favoriten geritten.
Als ich es Tremayne im Führring mitteilte, wo wir zuschauten, wie Cashless im Kreis herumgeführt wurde, sagte er mir, daß allein die Tatsache, daß Nolan ein Pferd ritt, die Gewinnchancen am Schalter herunterschraubte; außerdem hatte Telebiddy in dieser Saison schon zweimal für ihn gewonnen. Eigentlich war es ein Wunder, meinte Tremayne, daß er sich am Schalter noch auszahlte; er hatte erwartet, weniger zurückzubekommen. Er fügte hinzu, daß ich ihm einen großen Gefallen erweisen könne, wenn ich ihm den Gewinn nicht in aller Öffentlichkeit, sondern erst auf dem Heimweg aushändigte. Und so lief ich mit einem kleinen Vermögen auf dem Platz herum, das ich beim besten Willen niemals würde zurückzahlen können, falls ich es verlor; ich schloß meine Hand in der linken Hosentasche fest um die Scheine und ließ sie nicht mehr los.
Pünktlich zum Start gingen wir auf die Tribüne und sahen, wie Cashless erwartungsgemäß in Führung ging und diese Position lange mit Leichtigkeit hielt, bis auf die letzten, die entscheidenden fünfzig Meter. Dort drückten drei Jockeys, die bis dahin abgewartet hatten, auf die Tube, und obwohl Cashless nicht im mindesten aufgab, zogen sie an ihm vorbei.
Tremayne zuckte die Achseln.»Schade.«
«Lassen Sie ihn beim nächsten Mal wieder vorne laufen?«fragte ich, als wir die Tribüne verließen.
«Vermutlich. Wir haben schon versucht, ihn zurückzuhalten, doch dann läuft er schlechter. Er galoppiert im Finish immer seinen Strich, das ist sein Malheur. Er ist ein
Kämpfer, aber es ist schwierig, Rennen zu finden, die er gewinnen kann.«
Wir waren im Führring angekommen, wo die erfolglosen Teilnehmer abgesattelt wurden. Sam, der gerade die Sattelgurte über seinem Arm aufrollte, begrüßte Tremayne mit einem kläglichen Lächeln und versicherte ihm, daß Cashless sein Bestes gegeben hätte.
«Das habe ich gesehen«, sagte Tremayne zustimmend.»Da kann man nichts machen. «Wir schauten Sam nach, wie er zum Wiegeraum ging, und Tremayne vertraute mir vorsichtig an, daß er Cashless womöglich in einem Amateurrennen ausprobieren wolle, mal sehen, was Nolan mit ihm ausrichtete.
«Spielen Sie die beiden absichtlich gegeneinander aus?«fragte ich.
Tremayne warf mir einen blitzenden Blick zu.»Für meine Besitzer tue ich mein Bestes«, sagte er.»Lust auf einen Drink?«
Wie es sich herausstellte, hatte er sich mit den Besitzern von Telebiddy in der Club Bar verabredet, und als wir ankamen, feierten sie das Ereignis bereits mit Champagner. Nolan war auch anwesend und obendrein ihnen gegenüber unglaublich freundlich, jedoch ohne finanzielle Resultate.
Nachdem die beiden Frauen in euphorischem Zustand davongegangen waren, fragte Nolan Tremayne gereizt, ob er ihnen gesagt habe, daß sie ihn belohnen sollten.
«Ich habe es ihnen angetragen«, sagte Tremayne ruhig.»Aber du hast Glück und kannst dich mit dem zufriedengeben, was du selbst beim Buchmacher gewonnen hast.«
«Scheißwenig«, sagte Nolan, oder so ähnlich,»und die Anwälte, diese Blutsauger, kriegen sowieso alles. «Er polterte in selbstgerechter Wut zur Bar hinaus, ein Gemütszustand, der bei ihm wohl als vorherrschend zu bezeichnen war.
Tremayne betrachtete Nolans Abgang mit unverbindlich halbgeschlossenen Augenlidern und heftete seinen Blick dann auf mich.
«Nun«, fragte er,»was haben Sie gelernt?«
«Das, was Sie beabsichtigten, vermute ich.«
Er lächelte.»Und ein bißchen mehr, als ich beabsichtigte. Es ist mir schon aufgefallen, daß Sie das ständig tun. «Mit einem genügsamen Seufzer setzte er sein leeres Glas ab.»Zwei Gewinner«, sagte er.»Ein überdurchschnittlicher Tag auf der Rennbahn. Fahren wir nach Hause.«
Ungefähr zur gleichen Zeit, als wir heimwärts fuhren, Tremaynes Gewinn nicht mehr in meinen, sondern sicher in seinen eigenen Taschen verstaut, brütete Chefinspektor Doone über den neuen Fundstücken aus dem Waldgebiet.
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