Sein Lächeln schien Zufriedenheit auszudrücken, und nach dem Mittagessen (Rindfleisch-Sandwiches) machten wir uns daran, seine frühen Jahre, die er mit dem exzentrischen Vater verbracht hatte, auf Band aufzunehmen. Allem Anschein nach hatte sich Tremayne unbeschwert über einige psychologische Lappalien hinweggesetzt wie etwa die Erfahrung, als Steigbügelbursche und Zaumzeugpfleger an eine Familie, die in Leicestershire die Fuchsjagd betrieb, vermietet zu werden und ein Jahr später als Stallbursche an einen Polospieler in Argentinien.
«Aber das war Kindesmißhandlung«, protestierte ich.
Tremayne kicherte ungerührt.»Man hat mich nicht belästigt, falls Sie das meinen. Mein Vater vermietete mich, strich das Geld ein, das ich verdiente, und zog mir eins mit dem Spazierstock über, wenn ich sagte, das sei nicht fair. Natürlich war es nicht fair. Er sagte, das wäre eine wertvolle Lektion, zu erfahren, daß das Leben nicht fair ist. Erwarte niemals und von niemandem Fairneß. Ich sage Ihnen, was er mir damals sagte, aber Sie dürfen sich glücklich schätzen, daß es Ihnen nicht eingeprügelt wird.«
«Werden Sie mich denn bezahlen?«
Er lachte herzhaft.»Darum wird sich bestimmt Ronnie Curzon kümmern. «Er amüsierte sich prächtig.»Hat Ihr Vater Sie jemals geschlagen?«
«Nein, er hielt nichts davon.«
«Ich auch nicht, so wahr mir Gott helfe. Ich habe weder Perkin noch Gareth jemals geschlagen. Es ging nicht. Ich erinnerte mich zu gut daran, wie ich mich dabei gefühlt hatte. Aber auf der anderen Seite nahm er mich mit nach Argentinien, um die ganze Welt. Ich habe mehr gesehen als die meisten englischen Jungs. Ich habe in der Schule eine Menge versäumt. Er war verrückt, keine Frage, aber er verpaßte mir eine unbezahlbare Erziehung, und ich würde nichts daran ändern wollen.«
«Sie hatten einen ziemlich starken Willen«, sagte ich.
«Klar. «Er nickte.»Den braucht man im Leben.«
Bestimmt kann man ihn gut gebrauchen, ging es mir durch den Kopf, aber ein starker Wille gehört nicht zur Grundausstattung. Viele Kinder wären zerbrochen, hätten sie das durchgemacht, was Tremayne als seine Erziehung bezeichnete. Ich gewöhnte mich allmählich an Tremayne und seinen Stoizismus.
Am späten Nachmittag, nachdem wir die Bandaufnahmen beendet hatten, lieh er mir seinen Volvo, damit ich am Bahnhof von Didcot mein Päckchen mit den Büchern abholen und den Einkauf erledigen konnte; dabei gab er mir den guten Rat, nach Möglichkeit nicht in einen der vielen Straßengräben zu rutschen. Die Straßen waren jetzt auch etwas besser und die Luft war nicht mehr so gnadenlos kalt, obwohl die Wetterfrösche noch mehr Frosttage voraussagten. Ich kaufte mit der Sorglosigkeit des Luxus Lebensmittel ein, holte die Bücher ab und war wieder zu Hause, als Tremayne noch draußen in den Ställen bei der abendlichen Inspektion war.
Er kehrte zusammen mit Mackie zurück, und beide hauchten sich in die Fäuste und trampelten mit den Füßen, während sie das Befinden der einzelnen Pferde diskutierten.
«Du reitest morgen am besten Selkirk«, sagte Tremayne zu ihr.»Er ist in letzter Zeit ein bißchen zu keck für seinen Stallburschen.«
«In Ordnung.«
«Außerdem habe ich vergessen, Bob zu sagen, daß die Burschen den Tieren zwei Decken überwerfen sollen, wenn sie nur Trabübungen machen.«
«Ich erinnere ihn daran.«
«Schön.«
Er sah, wie ich in der Küche gerade die letzten Einkäufe verstaute, und fragte mich, ob die Bücher angekommen seien. Ich bejahte.
«Großartig. Bringen Sie sie mit ins Familienzimmer. Los komm, Mackie, Gin Tonic.«
Die großen Scheite im Kamin des Familienzimmers gingen nie ganz aus; Tremayne schob die Glut geschickt mit dem Fuß zusammen, warf ein paar trockene Äste und ein Stück Birkenholz obendrauf und entfachte ein neues Feuer. Der Abend spulte sich genauso ab, wie schon zweimal zuvor, als Perkin auf die Sekunde genau eintraf und sich eine Cola holte.
Mit schmeichelhafter Neugier öffnete Tremayne das Bücherpaket und verteilte einige davon an Mackie und Perkin. Die Büchlein, die mir so vertraut waren, schienen einen großen Eindruck auf die anderen zu machen, obwohl ich mir nicht recht erklären konnte, weshalb.
Sie waren kaum größer als Taschenbücher und sahen eher aus wie Videokassetten, mit weißen Hochglanzeinbänden und mehrfarbigen, schwarz unterlegten Schriftzügen: Überleben im Dschungel in Grün, Überleben in der Wüste in Orange, Überleben auf See in Blau, Überleben im Eis in Violett, Überleben auf Safari in Rot und Überleben in der Wildnis in kräftigem Rotbraun.
«Hol’s der Teufel«, entfuhr es Tremayne.»Richtige Bücher.«
«Was haben Sie denn erwartet?«fragte ich.
«Na… Heftchen vielleicht, dünne Taschenbücher.«
«Die Reisefirma wollte sie auffällig gestalten«, erklärte ich,»außerdem sollten sie praktisch sein.«
«Das muß Ihnen einen Haufen Arbeit bereitet haben«, stellte Mackie fest, die in Eis herumblätterte und sich die Illustrationen betrachtete.
«Ehrlich gesagt, so einiges wiederholt sich da schon«, sagte ich.»Ich meine, viele Überlebenstechniken kann man überall anwenden, egal wo man sich befindet.«
«Was zum Beispiel?«wollte Tremayne mit dem vertrauten herausfordernden Klang in der Stimme wissen.
«Feuer anmachen, Wasser finden, einen Unterschlupf bauen. So was in der Art.«
«Die Bücher sind faszinierend«, sagte Mackie, inzwischen mit Auf See beschäftigt,»aber wie viele Menschen stranden heutzutage noch auf einsamen Inseln?«
Ich mußte grinsen.»Nicht viele. Die Leute sind aber von der Vorstellung des Überlebens fasziniert. Es gibt Schulen, in denen Leute Ferienkurse im Überleben absolvieren. Tatsächlich gehört zu den tödlichsten Situationen, in die man geraten kann, der Aufenthalt in den britischen Bergen, wenn ein kalter Nebel aufzieht und man nicht die richtige Kleidung dabei hat. Jedes Jahr gibt es eine nicht unbeträchtliche Zahl von Menschen, die das nicht überleben.«
«Sie würden es überleben?«fragte Perkin.
«Ja, aber vor allem würde ich nie mit der falschen Ausrüstung dort herumkraxeln.«
«>Das Überleben fängt bereits an, bevor Sie unterwegs sind<���«, zitierte Tremayne aus den ersten Seiten von Dschungel. Er blickte amüsiert auf und ergänzte:»»Überleben ist eine Geistesverfassung.««
«Stimmt.«
«Ich besitze sie«, sagte er.
«Das ist richtig.«
Die drei lasen mit offensichtlichem Interesse weiter in den Büchern, tauchten in zufällig aufgeschlagene Kapitel ein, überblätterten manche Seite und lasen sich wieder fest. Ich dachte, daß sie die Überzeugung der Reisefirma aufs schönste bestätigten, daß nämlich die Grundbegriffe des Überlebens vor allem auf die hochkultivierten, ultraverhätschelten Leute einen unwiderstehlichen Reiz ausübten — solange sie sie nicht unter bitterernsten Bedingungen in die Praxis umsetzen mußten.
Gareth platzte in die friedliche Szene hinein wie ein Poltergeist bei der Generalprobe.»Na, alle so beschäftigt?«fragte er, und dann erblickte er die Bücher auf dem Tisch.»Jungejunge! Sie sind da!«Er grabschte sich Überleben in der Wildnis und stürzte sich sofort hinein; ich saß da mit meinem Glas Wein und fragte mich, ob ich jemals drei Leute bei der Lektüre von Zuhause ist weit erwischen würde.
«Das geht aber gut zur Sache«, meinte Mackie nach einer Weile und legte ihr Buch zur Seite.»Tiere abziehen und ausnehmen, bäh.«
«Wenn du am Verhungern wärst, würdest du es tun«, sagte Tremayne.
«Ich würde es für dich tun«, rief Gareth.
«Ich auch«, meldete sich Perkin.
«Dann muß ich aufpassen, daß ich nirgendwo ohne euch beide ausgesetzt werde. «Sie scherzte liebevoll mit ihren Beschützern.
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