«Allmächtiger. «Sie ging weg, kam aber kurz darauf wieder.
«Wenn Sie dort an dem Thermostat drehen, wird es hier drin wärmer.«
Sie war schon wieder draußen, bevor ich mich bei ihr bedanken konnte, doch ich hatte das Friedensangebot verstanden; zumindest waren die Feindseligkeiten bis auf weiteres eingestellt.
Tremayne kam rechtzeitig zurück. Er führte im Büro ein lautes Telefongespräch und kam dann in das Eßzimmer gestürmt, wo er mir mitteilte, endlich habe jemand gemerkt, daß in seinem Stall ein Pferd zu wenig stand.
«Es stammt aus einem Dorf auf der anderen Seite des Hügels. Sie schicken einen Transporter und holen es ab. Wie kommen Sie voran?«
«Ich lese gerade über Ihren Vater.«
«Ein Verrückter. Er war reinweg besessen von der Vorstellung, wie die Dinge, die er aß, hinterher in seinem Magen aussahen. Er ließ seinen Butler eine Extraration von allen Speisen, die er essen sollte, in einen Eimer füllen, und mischte es durcheinander. Wenn ihm der Anblick nicht gefiel, verzichtete er auf sein Essen. Er brachte den Koch auf die Palme.«
Ich mußte lachen.
«Und Ihre Mutter?«
«Die war damals schon hinüber. Als sie noch lebte, war es mit ihm nicht so schlimm. Erst danach ist er weggetreten.«
«Wie alt waren Sie, als sie… äh… hinüber…?«
«Zehn. Genauso alt wie Gareth, als sich seine Mutter davonmachte. Man könnte sagen, ich weiß, wie Gareth sich fühlt. Mit der Ausnahme, daß seine Mutter noch am Leben ist und er sie manchmal sieht. Ich kann mich an die meine nicht sehr gut erinnern, wenn ich ehrlich bin.«
Nach einer kurzen Pause sagte ich:»Was darf ich Sie alles fragen?«
«Fragen Sie, was Sie wollen. Wenn ich nicht antworten will, teile ich Ihnen das mit.«
«Also. Sie sagten, Ihr Vater erbte ein Vermögen. Hat er. äh. Ihnen etwas davon hinterlassen?«
Tremayne lachte kehlig.»Ein Vermögen von vor siebzig oder achtzig Jahren ist heutzutage keines mehr. Aber trotzdem, er hinterließ mir einiges. Dieses Haus beispielsweise. Er lehrte mich, wie man Landbesitz verwaltet, was er wiederum von seinem Vater gelernt hatte, auch wenn er kaum etwas davon umsetzte. Mein Vater hat ausgegeben, mein Großvater angehäuft. Ich komme eher nach meinem Großvater, auch wenn ich ihn nie kennengelernt habe. Manchmal sage ich Gareth, daß wir uns dies oder jenes nicht leisten können, obwohl es nicht stimmt. Ich möchte vermeiden, daß ein Verschwender aus ihm wird.«
«Und was ist mit Perkin?«
«Perkin?«Einen Moment lang machte Tremayne einen entgeisterten Eindruck.»Perkin kann überhaupt nicht mit Geld umgehen. Er lebt in einer völlig eigenen Welt. Es hat keinen Zweck, mit Perkin über Geld zu reden.«
«Und was tut er da«, fragte ich,»in seiner eigenen Welt?«
Tremayne sah aus, als hielte er die Beweggründe seines Ältesten für unergründliche Geheimnisse, doch ich spürte auch eine Art trotzigen Stolz.
«Er stellt Möbel her«, sagte er.»Er macht die Entwürfe und stellt alles selbst her, Stück für Stück. Kommoden, Tische, spanische Wände, alles mögliche. In zweihundert Jahren sind das wertvolle Antiquitäten. Soviel zu Perkins Geschäftssinn. «Er seufzte.»Das Klügste, das er jemals getan hat, war Mackie zu heiraten. Sie verkauft seine Stücke und paßt auf, daß er etwas dabei verdient. Früher hat er manchmal Sachen für weniger Geld verkauft, als ihn die Herstellung gekostet hatte. Ein hoffnungsloser Fall.«
«Solange er damit zufrieden ist.«
Tremayne ging nicht weiter auf die Zufriedenheit seines Sohnes ein, sondern fragte mich nach dem Kassettenrecorder.
«Ist er gestern nicht naß geworden? Er ist bestimmt ruiniert.«
«Nein. Ich verstaue meine Sachen immer in wasserdichten Taschen, eine alte Angewohnheit.«
«Dschungel und Wüste?«erinnerte er sich.
«Hm.«
«Dann holen Sie ihn, wir können gleich anfangen. Ich lasse auch den Fernseher aus dem Büro herüberbringen, dann können Sie sich die Rennen ansehen, die ich gewonnen habe. Falls Sie etwas essen möchten«, fügte er nebensächlich hinzu,»ich ernähre mich fast nur von Broten mit Rindfleisch. Ich kaufe sie immer fünfzigstückweise, schon fix und fertig im Supermarkt, und stecke sie in die Tiefkühltruhe.«
Und so verspeisten wir zur Mittagszeit ein paar beinahe aufgetaute, langweilige Rindfleischsandwiches, und ich dachte mir, Tremayne mochte zwar in punkto Haushalt etwas exzentrisch sein, aber wenigstens ließ er sich sein Essen nicht in einem Eimer durcheinanderrühren.
Am gleichen Tag gegen halb sieben Uhr abends spazierte ich hinunter nach Shellerton, um meine Kleider bei den Goodhavens, bei Harry und Fiona, abzuholen. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, aber mir kam es vor, als sei es nicht kälter geworden. Auch der Wind besaß nicht mehr die Kraft, mit der er noch am Morgen geweht hatte.
Zu dieser Zeit hatte ich drei Stunden Material aus Tremaynes außergewöhnlicher Kindheit auf Kassette gebannt und ihn anschließend zu einem Rundgang begleitet, auf dem er die Pferde noch einmal am Abend inspizierte. Er blieb bei jeder einzelnen der fünfzig Boxen stehen, vergewisserte sich, daß es dem Insassen gutging, plauderte kurz mit dem Stallburschen und verteilte Karotten an gierige Mäuler, tätschelte die Tiere und murmelte ihnen liebevolle Worte zu.
Während wir die Reihen entlang gingen, erklärte er mir zwischendurch, daß die Pferde jetzt zum Schutz gegen den Frost wollene Decken und Überwürfe erhielten, die dann sicherheitshalber mit einem Jutetuch (wie Sackleinen) festgezurrt wurden. Dann bekamen sie die Hauptmahlzeit des Tages, wurden eingeschlossen und über Nacht in Ruhe gelassen.
«In der Nacht macht einer von uns noch einen Rundgang«, sagte er,»Bob oder Mackie oder ich, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist; ob keins der Tiere gegen die Box tritt und so weiter. Wenn sie sich ruhig verhalten, störe ich sie nicht mehr.«
Wie fünfzig Kinder, dachte ich, alle in ihren kuscheligen Bettchen.
Ich fragte ihn, wie viele Stallburschen er habe. Einundzwanzig, sagte er, plus Bob Watson, der ganze sechs aufwog, plus den Reisefuttermeister, einen Fahrer für den Pferdetransport und einen Platzwart. Mit Mackie und Dee-Dee machte das insgesamt siebenundzwanzig Vollzeitangestellte. Die wirtschaftliche Seite beim Trainieren von Rennpferden, konnte er sich nicht verkneifen anzumerken, stellte selbst die Probleme des Büchermachens in den Schatten.
Als ich ihn daran erinnerte, daß ich zu Fiona und Harry gehen wollte, um meine Habseligkeiten abzuholen, bot er mir seinen Wagen an.
«Ich laufe eigentlich ganz gern«, sagte ich.
«Großer Gott.«
«Wenn ich zurückkomme, koche ich etwas.«
«Das müssen Sie nicht tun«, protestierte er.»Lassen Sie sich von Gareth nichts aufschwatzen.«
«Ich habe bereits zugesagt.«
«Mir ist es ziemlich egal, was ich esse.«
Ich grinste:»Damit sind Sie vielleicht nicht schlecht beraten. Ich werde kurz nach Gareth zurück sein, denke ich.«
Ich hatte herausgefunden, daß Gareth jeden Morgen mit dem Fahrrad zu seinem Freund Coconut fuhr, von wo aus die beiden in eine fünfzehn Kilometer entfernte Stadt zur Schule gefahren und auch wieder abgeholt wurden. Sie besuchten eine Anstalt, die sonst hauptsächlich als Internat eingerichtet war. Die Tage waren sehr lang, wie bei den meisten Schulen dieses Typs, und Gareth kam selten vor sieben Uhr nach Hause, oft sogar später. Seine Mitteilung ZUM FUTTERN WIEDER DAschien immer an der Tafel zu hängen. Tremayne sagte, er nehme sie nur dann ab, wenn er schon morgens wußte, daß er nicht vor dem Schlafengehen zurückkommen werde. Dann hinterließ er eine andere Mitteilung, der man entnehmen konnte, wo er sich aufhielt.
«Gut organisiert«, kommentierte ich.
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