Er nickte.»Es ließ sich recht gut aufteilen. Wer braucht heutzutage noch so große Häuser? Viel zuviel Heizkosten. «Es war tatsächlich frisch in der Eingangshalle.»Der größte Teil wurde so um neunzehnhundertsechs gebaut. Edwardianisch. Landsitz der Familie Windberry, falls Sie schon mal was von ihnen gehört haben.«
«Nein. «Ich mußte passen.
«Mein Vater hat das Anwesen für einen Appel und ein Ei gekauft, in der Depressionszeit. Ich habe mein ganzes Leben hier verbracht.«
«Ist Ihr Vater ebenfalls Trainer gewesen?«
Tremayne lachte.»Um Himmels willen, nein. Er hat ein Vermögen geerbt, keinen einzigen Tag je gearbeitet. Er ging gerne zum Pferderennen, und so kaufte er ein paar Springer, brachte sie in die Ställe, die seit der Zeit, als die Kutschen durch Automobile ersetzt worden waren, nicht mehr benutzt wurden, und engagierte einen Trainer für sie. Als ich größer wurde, übernahm ich einfach seine Pferde. Später baute ich einen zweiten Hof mit Stallungen an. Heute habe ich fünfzig Boxen, alle belegt.«
Er ging wieder voran in seine eigenen Gemächer und machte hinter uns die Türen zu.»Das ist mehr oder weniger alles«, sagte er,»mit Ausnahme des Büros.«
Sobald wir in seiner eigenen Diele angekommen waren, stürmte er durch die letzte der verbliebenen Türen in einen weiteren großen Raum, in dem Dee-Dee hinter einem riesigen Schreibtisch ziemlich verloren aussah.
«Das war früher einmal das Billardzimmer der Windberrys«, sagte Tremayne.»Als ich noch ein Kind war, war es unser Spielzimmer.«
«Sie hatten Geschwister?«
«Eine Schwester«, sagte er kurz angebunden, mit einem Blick auf die Armbanduhr.»Ich überlasse Sie jetzt Dee-Dee. Bis später.«
Er stürmte energisch aus dem Zimmer, und nach der kurzen Zeit, die er benötigte, um Mantel, Mütze und Schal anzuziehen, knallte die Haustür zu. Er war von Natur aus ein Türenknaller, dachte ich mir, er mußte dazu nicht wütend sein.
«Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«fragte Dee-Dee ohne allzu viel Enthusiasmus.
«Sie halten wohl nicht viel von dem Biographieprojekt?«fragte ich.
Sie blinzelte.»Das habe ich nicht gesagt.«
«Sie sehen aber ganz so aus.«
Sie wühlte emsig in irgendwelchen Papieren herum, ohne mich dabei anzusehen.
«Er ist schon seit Monaten damit beschäftigt«, sagte sie schließlich.»Es ist sehr wichtig für ihn. Ich finde… wenn Sie es schon wissen wollen… er hätte sich um einen besseren.«- sie zögerte — »… oder vielmehr um einen bekannteren Autor bemühen sollen. Kaum hat er Sie kennengelernt, sind Sie auch schon hier, ich finde, das ging zu schnell. Ich hatte ihm vorgeschlagen, erst Erkundigungen über Sie einzuziehen, aber er war der Meinung, Ronnie Curzons Wort sei Empfehlung genug. Und jetzt sind Sie hier. «Plötzlich schaute sie mich mit wildem Blick an.
«Er verdient den allerbesten«, sagte sie.
«Ah.«
«Was meinen Sie mit Ah?«
Ich antwortete nicht sofort, sondern ließ meinen Blick in dem gigantischen Büro umherschweifen. Ich entdeckte Überreste des klassischen Einrichtungsstils, überlagert von einer Flut moderner Bücherregale und Aktenschränke, von Kopierer, Fax, Computer, Telefonen, Bürosafe, Fernsehapparat, Dutzenden von Videobändern, Pappschachteln, kniehohen Zeitungsstapeln und einem weiteren Korkbrett mit roten Reißzwecken und aufgespießten Zetteln. Außerdem stand dort ein antiker Schreibtisch mit Ledersessel, eindeutig Tremaynes Territorium. Auf dem Boden lagen kreuz und quer und in allen Mustern und Farben übereinandergeschichtet persische Teppiche, die den Großteil des alten grauen Bodenbelages verdeckten. Die Wände waren voll mit Bildern von Pferden, die über die Ziellinie galoppierten, und einer bunten Reihe seidener, von Häkchen herabhängender Schleifen.
Ich beendete die Besichtigung dort, wo ich angefangen hatte, auf Dee-Dees Gesicht.»Je mehr Sie mithelfen, um so größer ist seine Chance«, sagte ich.
«Wie denn das?«Sie preßte störrisch die Lippen zusammen.
«Dann andersherum: Je mehr Sie mich behindern, um so schlechter stehen seine Chancen.«
Sie starrte mich mit noch immer unverhohlener Abneigung an; ihr Gemüt ließ sich von Logik nicht so schnell überrumpeln.
Sie mochte so um die Vierzig sein, schlank, aber nicht gerade mager, sofern sich das bei dem Pullover mit einiger Gewißheit feststellen ließ. Gepflegte Haut, kurzgeschnittenes, glattes Haar, unauffällige Gesichtszüge, rosa Lippenstift, kein Schmuck, kleine, kräftig wirkende Hände. Allgemeiner Eindruck: reserviert, zurückhaltend. Vielleicht war das nur berufliches Gehabe; vielleicht das Werk eines Scheißkerls von Amateurjockey, der sie wie Dreck behandelt hatte.
«Wie lange arbeiten Sie schon hier?«fragte ich mit unbeteiligter Stimme, betont geschäftlich.
«Acht Jahre, so in etwa. «Schnörkellose Antwort.
«Was ich hauptsächlich brauche«, sagte ich,»sind die Ordner mit den Zeitungsausschnitten.«
Sie lächelte beinahe:»Gibt’s nicht.«
Ich protestierte energisch:»Es müssen welche existieren. Er sprach von Zeitungsausschnitten.«
«Die sind nicht in Ordnern, sondern in Schachteln aufbewahrt. «Sie drehte den Kopf und zeigte mit dem Kinn in die Richtung.»Dort drüben, in dem Schrank. Bedienen Sie sich.«
Ich ging hinüber, öffnete die weißgestrichene Tür und erblickte eine stattliche Reihe von Pappschachteln, ordentlich in Regale eingeräumt, die vom Fußboden bis in Kopfhöhe reichten. Die Schachteln erinnerten an Hemdenkartons, nur zirka acht Zoll tief, und an den Frontseiten war mit Tusche jeweils ein Datum vermerkt.
«Ich habe sämtliche Ausschnitte vor drei oder vier Jahren neu sortiert«, sagte Dee-Dee.»Die alten Schachteln fielen allmählich auseinander. Das Zeitungspapier ist inzwischen vergilbt und brüchig. Sie werden ja sehen.«
«Darf ich alles mit rüber in den Eßraum nehmen?«
«Aber gerne doch.«
Ich lud mir vier Schachteln auf und machte mich auf den Weg. Nach einer Minute kam sie mir hinterher.
«Einen Moment«, sagte sie,»Mahagoni ist schnell zerkratzt.«
Sie ging zu einem Sideboard, holte aus einer der Schubladen eine große, grüne, bestickte Tischdecke heraus und drapierte sie über die ganze Fläche des riesigen, ovalen Tisches.
«Hierauf können Sie arbeiten.«
«Vielen Dank.«
Ich setzte die Schachteln ab und holte mir die nächste Ladung, pendelte hin und her, bis ich die Sammlung vollständig umgelagert hatte. Unterdessen war Dee-Dee an ihren Schreibtisch und zu ihrer Arbeit zurückgekehrt, die in der Hauptsache aus Telefonieren bestand. Ich hörte sie hin und wieder reden, während ich die Schachteln mit den Zeitungsausschnitten chronologisch ordnete und dann den Deckel der ersten abnahm. Der Datumsvermerk verriet mir, daß ihr Inhalt noch weit vor Tremaynes Zeit zurückreichen mußte; es sei denn, er hatte schon als Baby mit dem Pferdetrainieren angefangen. Gelbe, zerfetzte Zeitungsschnipsel informierten mich darüber, daß Mr. Loxley Vickers aus Shellerton House, Berkshire, ein Rennpferd namens Triple Subject, einen sechs Jahre alten Wallach, gekauft hatte, und zwar für die Rekordsumme von zwölfhundert Guineen. Ein Haus, schrieb ein erstaunter Reporter, war schon für weniger zu haben.
Ich blickte mit einem Grinsen auf und erblickte Dee-Dee an der Tür, auf deren Schwelle sie zögernd stehen geblieben war.
«Ich habe mit Fiona Goodhaven telefoniert«, sagte sie unverhofft.
«Wie geht es ihr?«
«Soweit gut. Dank Ihnen, wie es scheint. Weshalb haben Sie mir nichts von Ihrer Rettungsaktion erzählt?«»Es kam mir nicht so wichtig vor.«
«Sind Sie verrückt?«
«Ich meine, es ist im Zusammenhang mit Tremaynes Biographie nicht wichtig, hat nichts damit zu tun, ob ich sie gut oder schlecht zu schreiben vermag.«
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