»Total zum Fürchten«, meinte Danielle, die dort stand.
»Was denn?« fragte ich.
»Wir sind mit dem Sanitätswagen zu einem von den Hindernissen gefahren. Wir standen direkt daneben und sahen zu, wie sie sprangen. Dieses Tempo ... so schnell ... von der Tribüne kriegt man das nicht mit.«
»In dem 3-Meilen-Jagdrennen«, sagte die Prinzessin nickend.
»Der Sanitäter sagte, sie gehen da alle mit über 50 Stundenkilometern drüber. Er sagt, sie sind wahnsinnig. Er hat ganz recht.«
Die Prinzessin fragte mich, ob ich glaubte, die vier heute vollmachen zu können, aber ich hielt es für unwahrscheinlich; dieser hier, Dhaulagiri, hatte nicht soviel Talent wie Kinley.
»Da reitet eine Frau mit«, bemerkte Danielle, als sie die anderen Jockeys, die in Gruppen mit den Besitzern zusammenstanden, beobachtete. Sie sah mich ohne Koketterie an. »Was denken Sie, wenn Sie in einem Rennen von einer Frau besiegt werden?«
»Daß sie ein schnelleres Pferd hatte.«
»Autsch.«
Die Prinzessin lächelte, gab aber keinen Kommentar. Sie wußte, daß ich nicht gern gegen die sehr wenigen Frauen antrat, die berufsmäßig über Hindernisse ritten; nicht aus Furcht vor männlichen Egokrisen, sondern weil ich von meinem Beschützergeist nicht loskam. Ein männlicher Gegner konnte schon seine Püffe abbekommen, aber ich hatte nie gelernt, hart gegen eine Frau zu reiten; und zudem gefiel mir die Vorstellung nicht, was Stürze und Pferdehufe ihrem Gesicht und ihrem Körper antun könnten. Die Rennreiterinnen verachteten meine Rücksichtnahme und nutzten sie zu ihrem Vorteil, wenn sie konnten.
Dhaulagiri sah gut aus, fand ich, als ich beobachtete, wie er herumging. Besser als bei meiner Arbeit mit ihm in der Vorwoche. Straffer. Ein neuer, schlanker Muskelstrang an der Lende. Etwas in der Kopfhaltung.
»Was ist, Kit?« fragte die Prinzessin.
Ich blickte von dem Pferd zu ihrem forschenden Gesicht. »Er hat sich herausgemacht seit letzter Woche«, sagte ich.
»Wykeham hatte den Eindruck, daß er über Hindernisse lieber geht als über Hürden.«
»Ja, das tut er.«
Ihre Augen lächelten. »Sie meinen also ...?«:
»Es wäre doch nett, nicht wahr?«
»Ungemein«, sagte sie.
Ich nickte und ging auf Dhaulagiri zum Start hinunter, und auf merkwürdige Art und Weise schien es für das Pferd genauso ein Bummel zu sein wie für mich. Drei Siege versetzten mich in euphorische Hochstimmung. Dhaulagiri konnte springen. Warum also - warum, verdammt noch mal, sollten die vier nicht voll werden? Dhaulagiri sprach auf die Stimmung seines Reiters an, wie es alle Pferde tun. Ich glaube, an diesem Nachmittag wäre Dhaulagiri leichten Herzens von einer Klippe gesprungen, wenn ich ihn dazu aufgefordert hätte.
Das war nicht die klügste Taktik bei einem Pferd, das zum erstenmal über die größeren Hindernisse ritt, und Wykeham hätte sie wohl auch mißbilligt, aber Dhaulagiri und ich gingen die vollen zwei Meilen hindurch aufs Ganze, und am Ziel dachte ich zum beinah tausendsten Mal in meinem Leben, daß es nichts gab, was sich mit der geteilten, intensiven Freude am Sieg vergleichen ließ. Besser vielleicht, aber vergleichbar, nein. Ich lachte laut, als wir zum Stehen kamen.
Die Heiterkeit hielt auf dem ganzen Rückweg zum Umkleideraum an, bis hinein in die Dusche und wieder heraus, und sie ließ nur unwesentlich nach, als mein Jockeydiener mir einen Stoffgurt reichte, der bis zum Reißverschluß vollgestopft war mit Bobbys Geld. Jockeydiener reinigten die Reithosen der Jockeys, brachten ihre
Sättel und sonstigen Habseligkeiten von Rennbahn zu Rennbahn, fanden sich täglich mit den sauberen Sachen ein. Darüber hinaus waren sie das Nachrichtensystem, das Maschinenöl, die Tröster und die Bank. Mein Jockeydiener sagte, er werde mir den Geldgurt, den er selbst an freien Tagen benutzte, ausleihen, da ihm der Gedanke, daß ich sonst womöglich alle diese Tausender in den Taschen herumschleppte, nicht behage.
Bobby, dachte ich seufzend. Ich würde nach Bletchley fahren und mein Zeug im Goldenen Löwen abholen, dann weiter nach Newmarket, um Bobby das Geld zu bringen, damit er am nächsten Tag zur gewohnten Zeit seine Pfleger bezahlen und den Rest in seinem Safe verstauen konnte. Ich würde dort übernachten und morgen früh direkt nach Ascot fahren.
Ich schnallte mir den Gurt auf die Haut und knöpfte mein Hemd darüber; der Jockeydiener nickte beifällig. Es sei nichts zu sehen, sagte er.
Ich dankte ihm für seine Unterstützung, zog mich fertig an und ging hinaus zu einem relativ kurzen Gespräch mit der Prinzessin, deren Augen hinter den beschirmenden Wimpern immer noch sprühten.
Vage hatte ich daran gedacht, Danielle zu fragen, ob sie zur Feier meines vierfachen Sieges am Abend mit mir essen ginge, doch das erledigte sich von selbst, als sie sagte, sie müsse wieder um halb sieben im Büro sein und sie würden jeden Moment nach London aufbrechen.
»Arbeiten Sie auch am Wochenende?« fragte ich.
»Nein.«
»Könnte ... ehm, kann ich Sie für Samstag abend einladen?«
Sie blickte zu ihrer Tante, und ich ebenfalls, doch wie üblich konnte man dem Gesicht der Prinzessin nichts ansehen, was sie nicht zu erkennen geben wollte. Ich spürte jedoch keinen innerlichen Rückzug bei ihr, und ihre Nichte offenbar auch nicht.
»Ja«, sagte Danielle. »Sie können. Ich komme nach Ascot. Nach den Rennen könnten wir was planen.«
Ungewöhnlich. Sie verstand. Allerdings hatte sie vor zwei Tagen ja auch erlebt, wie ihre Fahrt von Devon nach London sich an der dritten Hürde beinah in Luft auflöste. Zwei Tage. Auch das war ungewöhnlich. Ich schien sie schon länger zu kennen.
»Morgen in Ascot«, sagte die Prinzessin und gab mir zum Abschied die Hand. »Wie lange können wir weitersiegen?«
»Bis Weihnachten.«
Sie lächelte. »Christmas Fielding.«
»Ja.«
Danielle sagte: »Was meint ihr mit Christmas Fielding?«
»So heiße ich«, sagte ich.
»Was? Also ich weiß, daß auf den Anzeigetafeln C. Fielding steht, aber ich war der Meinung, Kit stünde für Christopher.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wir wurden am Morgen des ersten Weihnachtstages geboren. Christmas und Holly. Über elterlichen Geschmack läßt sich nicht streiten.«
Wärme lag in ihren Augen wie auch in denen der Prinzessin. Ich ließ sie allein, weil sie sich noch bei ihren Gastgebern für den Tag bedanken wollten, ehe sie nach Hause fuhren, und ging in tiefer Zufriedenheit hinaus zu meinem Wagen.
Bei seinem Anblick schlug die Zufriedenheit weitgehend in Zorn um. Alle vier Reifen waren platt, das Fenster auf der Fahrerseite eingeschlagen, die Kofferraumhaube stand
halb offen. Ich sagte laut und wie auf Kommando etwa vier Schimpfwörter, dann zuckte ich die Achseln und machte kehrt, um vom Rennplatz aus zu telefonieren. Die A.A.-Straßenwacht konnte das erledigen. Ich konnte mir einen Wagen mieten. Die Sachen, um die ich Angst gehabt hatte, waren sicher im Goldenen Löwen, und wenn die Vandalen danach gesucht hatten, war das ihr Pech.
Die meisten Besucher waren schon weg, aber einige Autos standen noch auf dem Parkplatz, ein oder zwei Leute liefen herum. Ich dachte vor allem an die entstandenen Unannehmlichkeiten und achtete kaum auf etwas anderes, und ganz plötzlich sagte eine Stimme an meinem linken Ohr: »Stehenbleiben, Fielding«, und ein zweiter Mann drängelte sich mit der gleichen Botschaft an meinen rechten Ellenbogen.
Ich stand still, zu überrumpelt, um an eine andere Möglichkeit zu denken.
Von beiden Seiten erreichte mich die Botschaft deutlich.
Drang durch meine Jacke, durch mein Hemd, in meine Haut, irgendwo über dem Geldgurt.
»So ist es recht«, sagte derjenige, der mich angesprochen hatte.
»Wir hätten von Ihnen gern ein paar Sachen zurück. Sie wollen sich doch nicht schneiden, oder?«
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