«Danke.«
«Reiten kannst du«, stieß Paddy angewidert nach,»das muß man dir lassen. Vergeudetes Talent ist das. Du kommst in keinem ordentlichen Stall mehr unter, einen faulen Apfel muß man von den guten trennen.«
«Hast du das Humbers Stallmann auch gesagt?«
«Daß kein ordentlicher Stall dich nimmt, hab ich ihm gesagt«, nickte er.»Und wenn du mich fragst, das geschieht dir verdammt recht. «Er ließ mich abrupt stehen.
Ich seufzte und sagte mir, daß Paddys schlechte Meinung mir eigentlich schmeicheln müsse.
Humbers Futtermeister sprach mich zwischen den beiden letzten Rennen auf dem Sattelplatz an.
«He da«, sagte er und packte mich am Arm.»Ich hab gehört, Sie suchen Arbeit.«
«Stimmt.«
«Da hab ich vielleicht was für Sie. Wird gut bezahlt, weit überm Durchschnitt.«
«Bei wem denn?«fragte ich.»Und wieviel?«
«Sechzehn Pfund die Woche.«
«Läßt sich hören«, sagte ich.»Wo?«
«Bei mir. Für Mr. Humber. In Durham.«
«Humber«, wiederholte ich mürrisch.
«Sie brauchen doch Arbeit, oder nicht? Wenn Sie es natürlich nicht nötig haben, Geld zu verdienen, ist das was anderes. «Spöttisch betrachtete er meinen schäbigen Aufzug.
«Ich brauche schon Arbeit«, murmelte ich.
«Na und?«
«Vielleicht nimmt er mich nicht«, sagte ich grimmig.
«Mich haben schon einige abblitzen lassen.«
«Wenn ich ein gutes Wort einlege, nimmt er Sie; uns fehlt grad einer. Nächsten Mittwoch sind hier wieder Rennen. Ich fühle vor, und wenn das klargeht, können Sie am Mittwoch mit Mr. Humber sprechen. Er sagt Ihnen dann, ob er Sie nimmt oder nicht.«
«Fragen wir ihn doch gleich«, sagte ich.
«Nein. Warten Sie bis Mittwoch.«
«Na schön«, sagte ich widerwillig.»Wenn’s sein muß.«
Ihm war förmlich anzusehen, wie er dachte, ich würde bis Mittwoch noch mehr nach Arbeit lechzen, nach jedem Strohhalm greifen und mich von Gerüchten über schlechte Bedingungen nicht mehr abschrecken lassen.
Ich hatte die zweihundert Pfund des Buchmachers und die Hälfte des bei Inskip verdienten Geldes für meinen Italientrip ausgegeben (der jeden Penny wert war), und nachdem ich das Motorrad und die Übernachtung in einer Reihe billiger Absteigen bezahlt hatte, war von Octobers zweihundert Pfund Spesenvorschuß so gut wie nichts übrig. Von weiteren Vorschüssen hatte er nichts gesagt, und ich wollte ihn nicht darum bitten, aber da ich die andere Hälfte meines Lohns ausgeben konnte, wie es mir paßte, verbriet ich sie innerhalb von drei Tagen fast restlos auf einer Motorradtour nach Edinburgh, wo ich herumlief, die Schönheiten der Stadt bewunderte und mir unter den vielen Touristen recht merkwürdig vorkam.
Am Dienstag abend, zu Silvester, trat ich mutig dem Oberkellner des L'Aperitif gegenüber, dem die vollendete Höflichkeit, mit der er mich bediente, hoch anzurechnen war, wenn er sich auch, bevor er mir einen kleinen Ecktisch zuwies, mit gutem Recht vergewisserte, ob ich genug Geld dabeihatte. Ohne mich um die entrüsteten Blicke besser gekleideter Gäste zu kümmern, aß ich im Gedanken an kommende Humbersche Verhältnisse geruhsam ein erstklassiges, riesiges Diner — Hummer, Ente mit Orangensauce, Zitronensouffle, Brie — und trank fast eine ganze Flasche 1948er Chateau Leauville Lescases dazu.
Nachdem ich es so noch einmal ausgiebig genossen hatte, mein eigener Herr zu sein, brauste ich am Neujahrstag die A1 hinunter nach Catterick und heuerte guten Mutes in Englands schlimmstem Rennstall an.
Die Gerüchte waren Hedley Humber kaum gerecht geworden. Was den Stallangestellten dort Übles zugemutet wurde, hatte so viel Methode, daß ich am ersten Tag schon zu dem Schluß kam, die Mißstände seien gewollt, damit niemand zu lange blieb. Ich fand heraus, daß lediglich der Futter- und der Reisefuttermeister, die beide in Posset wohnten, seit mehr als drei Monaten im Stall beschäftigt waren und daß der gemeine Pfleger im Schnitt nach acht bis zehn Wochen zu der Erkenntnis kam, mit sechzehn Pfund sei er hier unterbezahlt.
Das bedeutete, daß außer den beiden Futtermeistern niemand vom Stallpersonal wußte, was im Sommer mit Superman geschehen war, denn damals waren sie alle noch nicht hier. Die beiden Topleute aber blieben zweifellos gerade deshalb, weil sie wußten, was ablief; wenn ich sie also nach Superman fragte, konnte es mir sehr schnell so ergehen wie Tommy Stapleton.
Ich hatte genug über die schmutzigen, verlotterten Unterkünfte in manchen Ställen gehört und wußte auch, daß manche Pfleger es nicht besser verdienten — etwa solche, die ihre Stühle verheizten, statt Kohlen zu holen, oder die zum Geschirrabwaschen die Toilettenspülung nahmen —, aber die Verhältnisse bei Humber waren nahezu unmenschlich.
Als Schlafraum diente ein schmaler Heuspeicher über den Pferden. Man konnte jeden Hufschlag und das Rasseln
der Ketten hören, und durch die Ritzen im Bretterboden sah man direkt in die Boxen. Eisige Zugluft trug den Geruch von schmutzigem Stroh herauf. Über dem Heuspeicher gab es keine Decke, nur die Dachsparren und Schindeln, und er war nur über eine Leiter durch ein Loch im Boden zu erreichen. Eine Scheibe des einzigen kleinen Fensters war zerbrochen und mit Packpapier überklebt worden, so daß statt Licht nur Kälte hereinkam.
Die sieben Betten, die das ganze Mobiliar des Heuspeichers darstellten, waren einfache Rahmen aus Metallrohren mit straff darübergespanntem Segeltuch. Für jedes Bett waren zwei graue Decken und ein Kopfkissen vorgesehen, aber ich mußte mir mein Zeug erst erobern, weil andere es beim Weggang meines Vorgängers in Beschlag genommen hatten. Das Kissen war ohne Bezug, es gab keine Laken, keine Matratzen. Alle schliefen der Wärme wegen in ihren Kleidern, und als ich den dritten Tag dort war, fing es an zu schneien.
Die Küche am Fuß der Leiter, der einzige Raum, der den Pflegern noch zur Verfügung stand, war nichts anderes als die letzte Box auf der einen Stallseite. Man hatte so wenig dazu getan, sie wohnlich zu gestalten, daß sich der Gedanke aufdrängte, ihre Benutzer würden als Tiere angesehen und auch so behandelt. Das kleine Fenster war noch vergittert, und die zweiteilige Stalltür ließ sich immer noch von außen verriegeln. Der nackte Betonfußboden war von Abflußrinnen durchzogen, eine Wand bestand aus rohen Brettern, die ein Pferd mit den Hufen traktiert hatte, die drei anderen aus nacktem Backstein. Es war immer kalt, feucht und schmutzig in dem Raum, und wenn er einem Pferd vielleicht auch genügend Platz geboten hatte, so war er für sieben Männer doch ungemütlich eng.
Die spärliche Einrichtung bestand aus grobgezimmerten Sitzbänken an zwei Wänden, einem Holztisch, einem arg ramponierten Elektroherd, einem Bord fürs Geschirr und einem alten Marmorwaschtisch mit Blechkanne und Blechschüssel, unserem ganzen Bad. Anderen Bedürfnissen diente ein Holzhäuschen neben dem Misthaufen.
Das Essen, von einer schlampigen Frau zubereitet, die allzeit Lockenwickler trug, war noch schlimmer als die Unterkunft.
Humber, der mich mit einem gleichgültigen Blick und einem Nicken eingestellt hatte, wies mir mit dem gleichen Mangel an Interesse bei meiner Ankunft im Stall vier Pferde zu und sagte mir ihre Boxennummern. Weder er noch sonst jemand sagte mir ihre Namen. Der Futtermeister, der ein Pferd selbst betreute, hatte entgegen der allgemeinen Gepflogenheit offenbar wenig zu sagen; es war Humber, der die Anweisungen gab und darauf achtete, daß sie befolgt wurden. Er war ein Tyrann, nicht so sehr, was das Wie, sondern das Wieviel der geforderten Arbeit anging. Es standen gut dreißig Pferde im Stall. Der Futtermeister versorgte eins davon, der Reisefuttermeister, der auch den Transporter fuhr, gar keins. So kamen neunundzwanzig Pferde auf sieben Pfleger, die obendrein die Trainingsbahn und Haus und Hof in Schuß zu halten hatten. An Renntagen, wenn ein oder zwei Pfleger unterwegs waren, mußten die anderen oft jeder sechs Pferde versorgen.
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