«Im Augenblick nichts Konkretes. Sagen Sie mir nur, ob Ihre Richtlinien es Ihnen gestatten würden, ein Kaninchen zu fangen, wenn ich es aus dem Bau rauslocke. «Ich wandte mich an Erik.
«Erklären Sie’s ihm. Kann er mir, wenn ich eine Falle aufstelle, behilflich sein, wenn ich sie zuschnappen lasse? Wäre ihm das erlaubt, und würde er es gern persönlich tun?«
Die Brüder berieten sich in ihrer Muttersprache — Knut ernst, beherrscht und übermüdet, Erik dagegen mit unbeherrschten Gesten, bohemienhafter Kleidung und wildem, dünnem Haar. Erik war zwar der Ältere, seine Lebenskraft war aber noch völlig ungebrochen.
Zuletzt nickten beide. Knut sagte:»Solange es nicht gegen irgendwelche Bestimmungen verstößt, werde ich helfen.«
«Ich bin Ihnen sehr verbunden.«
Er lächelte matt.»Sie erledigen meine Arbeit.«
Er holte Mantel und Mütze und begleitete uns dann nach unten. Wie sich herausstellte, hatte er sein Auto in der gleichen, an einem kleinen, eingezäunten Park vorbeiführenden Seitenstraße geparkt wie Erik.
Eriks Wagen stand im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses.
Ungefähr drei Meter von ihm entfernt standen ein rundes Dutzend Kinder und ein unsicher dreinblickender Polizist im Halbkreis um ihn herum. Beim Anblick Knuts wechselte der Gesichtsausdruck des Polizisten von Unsicherheit zu
Dankbarkeit — er grüßte und machte sich daran, seine Besorgnis auf jemand anderen abzuwälzen.
Erik übersetzte für mich. Er sah verwirrt aus.
«Eines der kleinen Mädchen sagt, ein Mann habe ihr aufgetragen, auf gar keinen Fall dicht an das Auto heranzugehen, sondern so schnell nach Hause zu rennen, wie sie nur könne.«
Ich besah mir das Auto. Odin schaute nicht wie sonst durch die Frontscheibe nach draußen, sondern hatte sich umgedreht und sah zur Heckscheibe hinaus, beäugte jedoch nicht interessiert die Menge, sondern spähte nach unten. In der Welt des Hundes schien irgend etwas nicht in Ordnung zu sein. Er stand ganz steif da. Viel zu angespannt. Und der Kofferraumdeckel war nicht mehr mit einem Stück Bindfaden zugebunden.
«O Gott«, sagte ich.»Schicken Sie die Kinder weg. Schnell, sie sollen laufen.«
Alle starrten mich nur an und rührten sich nicht von der Stelle. Sie waren auch nicht am 8. März 1973 in London in der Nähe des Old Bailey gewesen.
«Es könnte eine Bombe sein«, sagte ich.
Die Kinder erkannten das Wort, aber sie glaubten es natürlich nicht. Die Leute in London hatten es auch nicht geglaubt, bis ihnen dann die herumfliegenden Glassplitter die Gesichter zerschnitten.
«Sagen Sie ihnen, sie sollen laufen«, sagte ich zu Knut. Er entschloß sich, die Sache ernst zu nehmen, auch auf die Gefahr hin, daß es sich um einen falschen Alarm handelte. Er sagte etwas Unmißverständliches zu dem Polizeibeamten, und er ergriff Eriks Arm.
Er kannte seinen Bruder und hatte ihn wohl besonders gern. Er packte zu, gerade als Erik leise» Odin «sagte und den ersten Schritt auf das Auto zu tun wollte.
Es war fast ein Ringkampf. Knut wollte Erik nicht loslassen, und dieser geriet außer sich. Knut umklammerte daraufhin den Arm seines Bruders mit einem Griff, der einen besoffenen Schwergewichtsboxer an jeder weiteren Bewegung gehindert hätte, und Eriks Gesicht verzerrte sich vor Verzweiflung. Die beiden zogen sich einen umkämpften Schritt nach dem anderen vom Auto zurück.
Der Polizist hatte die Kinder in eine sichere Entfernung gescheucht und schrie herankommenden Fußgängern zu, sie sollten in Deckung gehen. Niemand beachtete mich. Wie der Blitz sauste ich zum Auto, zerrte die Tür auf und rannte um mein Leben.
Aber selbst jetzt wollte der elende Hund nicht gleich aus dem Auto herauskommen. Dazu bedurfte es erst eines trommelfellzerreißenden Pfiffs von Erik — da endlich kam mir Odin mit großen Sätzen über den Bürgersteig nachgesprungen, als dächte er, wir wollten spielen.
Die Bombe ging genau in dem Augenblick hoch, als Odin mich eingeholt hatte und wir etwa zwanzig Meter vom Auto entfernt waren. Der Explosionsdruck traf uns wie ein schwerer Schlag in den Rücken und warf uns zu Boden — die Wucht war so ungeheuer groß, daß wir keine Luft mehr kriegten und schlaff und schwer mitgenommen auf der Erde lagen.
An irischen Maßstäben gemessen keine große Bombe. Aber diese war wahrscheinlich auch nicht dazu bestimmt gewesen, ein ganzes Viertel zu zerstören. Nur die Insassen eines Autos. Zwei Männer und einen Hund.
Knut half mir auf, während Erik sich Odins Halsband schnappte, niederkniete und ihn tröstend tätschelte. Odin, fast wieder so munter wie immer, sabberte ihn dafür von oben bis unten voll.
«Das war dumm«, sagte Knut.
«Ja«, gab ich zu.
«Sind Sie verletzt?«
«Nein.«
«Sie hätten es verdient.«
«Vielleicht hätte es noch Stunden gedauert, bis sie hochgegangen wäre.«
«Sie hätte aber auch hochgehen können, als Sie noch danebenstanden.«
Eriks Auto war hin. Herausgedrückte Scheiben, zerfetzte Sitze, ein aufgesprengter Kofferraum. Ich zupfte mir kleine Glassplitter aus dem Haar auf meinem Hinterkopf und fragte Erik, ob das Auto versichert sei.
«Ich weiß nicht«, antwortete er zerstreut. Er rieb sich den Arm an der Stelle, wo Knut ihn festgehalten hatte.»Knut wollte, daß ich warte, bis ein Experte nachgesehen hätte, ob es wirklich eine Bombe sei, und sie, wenn ja, entschärft hätte.«
«Damit hatte Knut vollkommen recht.«
«Sie hat er aber nicht zurückgehalten.«
«Ich bin auch nicht sein Bruder. Er hatte mit Ihnen schon genug zu tun, und überhaupt war die Bombe wahrscheinlich für mich bestimmt.«
«Was für eine grausige Todesart. «Er richtete sich wieder auf und grinste plötzlich über das ganze Gesicht» Wie auch immer, herzlichen Dank«, sagte er. Was ganz schön hochherzig war, wenn man an den Zustand seines Volvos dachte.
Jetzt, wo das Feuerwerk vorbei war, kamen auch die Kinder wieder zurück und bestaunten mit großen Augen das Wrack. Ich bat Knut, das kleine Mädchen ausfindig zu machen, dem der Unbekannte gesagt hatte, es solle nach Hause laufen, aber Knut hatte schon den Polizisten nach ihr losgeschickt.
Vom Auto einmal abgesehen, war kaum Schaden entstanden. Bei einem finster aussehenden Gebäude auf der anderen Straßenseite waren ein paar Scheiben zu Bruch gegangen, aber weder der Gitterzaun noch die zitternden Parkbüsche neben dem Volvo schienen gelitten zu haben. Autos, die ein paar Meter entfernt vor und hinter dem Volvo standen, hatten durch herumfliegende Glassplitter ein paar Kratzer abbekommen, waren sonst aber unbeschädigt. Wäre die Bombe während der Fahrt durch eine der geschäftigen Straßen Oslos hochgegangen, so hätte sie weitaus größeren Schaden angerichtet.
Das kleine Mädchen war blond, ernst, in einen roten Anorak mit Kapuze eingepackt und erschien in Begleitung eines größeren, ungefähr dreizehnjährigen, schimpfenden Mädchens, das sich eigentlich um die Kleine hatte kümmern sollen und nun damit beschäftigt war, sich zu rechtfertigen. Knut gewann — wie schon bei dem Jungen auf der Rennbahn — schnell das Zutrauen des kleinen Mädchens, indem er sich vor ihm hinkauerte und in ruhigem Ton mit ihm plauderte.
Ich lehnte am Gitterzaun, und mir war kalt. Ich sah Erik zu, wie er immer wieder über Odins Fell strich, und es entging mir nicht, daß er mit seinen kleinen, beherrschten Gesten langsam eine gewaltige innere Anspannung abbaute. Odin schien das alles großen Spaß zu machen.
Knut stand auf und nahm das kleine Mädchen bei der Hand.
«Sie heißt Liv und ist vier Jahre alt. Sie wohnt ein paar hundert Meter von hier und hat mit ihrer Schwester im Park gespielt. Sie ist aus dem Tor dort hinten gekommen und die Straße hinuntergegangen. Ihre Schwester hatte ihr das zwar verboten, aber Liv meint, sie tue nie, was ihre Schwester ihr sage.«
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