«Warum ihn dann behelligen?«
Ich überlegte kurz und sagte dann:»Ich glaube, ich muß ihn einfach mal kennenlernen, um mir ein vollständiges Bild von Bobs Besuchen hier im Lande machen zu können.«
Er sog langsam seine Unterlippe ein, erhob aber schließlich keine Einwände mehr.
«Mikkel ist im Internat«, sagte er,»kommt aber morgen nachmittag nach Hause. Wenn Sie um drei Uhr da sind, können Sie ihn sprechen.«
«Hier. in Ihrem Büro?«
Er schüttelte den Kopf.»Nein, bei uns. Auf der anderen Seite des Hofes.«
Ich stand auf und dankte ihm dafür, daß er sich soviel Zeit für mich genommen hatte.
«Ich war Ihnen keine große Hilfe«, meinte er.»Wir haben Sie da mit einer ziemlich hoffnungslosen Aufgabe betraut.«
«Nun ja.«, sagte ich laut — und dachte bei mir, daß steter Tropfen den Stein schließlich doch höhlt.»Ich werde tun, was ich kann, um mir Ihr Geld zu verdienen.«
Er begleitete mich bis zur Treppe, und wir gaben uns die Hand.
«Lassen Sie mich wissen, wenn ich irgend etwas tun kann.«
«Das werde ich«, gab ich zurück.»Und vielen Dank.«
Ich ging durch das stille Treppenhaus hinunter in die große, leere Eingangshalle. Die einzigen Geräusche, die auf das Vorhandensein von Leben hindeuteten, drangen durch eine Tür hinten in der Halle, und ich ging hin und machte sie auf.
Wie ich nun sehen konnte, führte sie direkt in das angrenzende Gebäude, in welchem nicht die Firma geleitet, sondern die tägliche Arbeit erledigt wurde. Aber selbst das vollzog sich in gemäßigtem Tempo und ohne irgendeinen spürbaren Druck, denn in den Türen der langen Reihe von Büros, die ich vor mir hatte, standen entspannte Menschen in Pullovern, tranken Kaffee, rauchten und vermittelten nicht gerade den Eindruck, als tobe um sie herum das kommerzielle Leben.
Ich zog mich zurück — durch die Eingangshalle und über den
Hof bis zu Erik Lund. Als ich zu ihm in den Wagen stieg, löste er den Blick von seinen goldenen Notizen und wußte anscheinend nicht so recht, wer ich war.
Dann schien es ihm zu dämmern.»Ach ja.«, sagte er.
«Jetzt zum Mittagessen?«schlug ich vor.
Er hatte, was die Frage nach einem geeigneten Lokal anging, kaum sehr bestimmte Vorstellungen, aber sobald wir in einem ordentlichen Restaurant Platz genommen hatten, verschwendete er keine Zeit und bestellte etwas, was er gravlaks nannte. Im Gedanken an die Rennbahn zuckte ich zusammen, als ich den Preis sah, aber ich schloß mich ihm an, und es stellte sich als ganz hervorragender Lachs heraus — nicht geräuchert, sondern gebeizt.
«Sind Sie von Scotland Yard?«fragte er, nachdem auch das letzte Stückchen des rosafarbenen Hochgenusses verzehrt worden war.
«Nein, vom Jockey Club.«
Er zeigte sich überrascht, weshalb ich ihm kurz erklärte, warum ich in Oslo war.
«Und was hat es mit dem >Umlegen< auf sich?«
«Das soll mich daran hindern herauszubekommen, was hier passiert ist.«
Er sah gedankenverloren an mir vorbei.
«Macht meinen Bruder Knut zum doofen Trottel, was? Niemand hat versucht, ihn umzubringen.«
«Schlag einen Polizisten nieder, und schon treten sechs andere an seine Stelle«, sagte ich.
«Und von Ihnen gibt es keine weiteren sechs?«fragte er trocken zurück.
«Die Personaldecke des Klubs ist ziemlich dünn.«
Er trank nachdenklich von seinem Kaffee.»Warum geben
Sie’s nicht dran, solange Sie noch heil sind?«
«Natürlicher Starrsinn«, antwortete ich.»Was wissen Sie über Rolf Torp?«
«Den Rolf Torp, der der Schrecken der Skihänge ist, oder den Rolf Torp, der Glashäuser für Pygmäen baut?«
«Nein, über den Rolf Torp, der Rennpferde besitzt und irgend etwas mit Bergbau zu tun hat.«
«Ah, der. «Er runzelte die Stirn, schniefte, zog eine Grimasse.
«Noch so ein verdammter Kapitalist, der die natürlichen Ressourcen des Landes zum Zwecke der persönlichen Bereicherung ausbeutet.«
«Wissen Sie irgend etwas über ihn persönlich?«
«Ist das nicht schon persönlich genug?«
«Nein.«
Er lachte.»Sie glauben also nicht, daß das Raffen von Geld etwas über die Seele eines Menschen aussagt?«
«Alles, was ein Mensch tut, sagt etwas über seine Seele aus.«
«Sie winden sich aus der Sache raus«, sagte er.
«Und ich kriege was raus. Aus Leuten.«
«Tja«, sagte er lächelnd,»eigentlich kann ich Ihnen über diesen Rolf Torp nicht sehr viel erzählen. Zum einen habe ich ihn nie kennengelernt, und zum anderen sind Kapitalisten für Klatschspalten fader Stoff, es sei denn, sie würden mit ihrer Sekretärin, aber ohne Pyjama im Bett erwischt.«
Pornobilder als Mittel der Erpressung, ging mir eher beiläufig durch den Kopf. Warum nicht?
«Kennen Sie einen Lars Baltzersen?«fragte ich.
«Sicher. Den Vorsitzenden der Rennbahn von 0vrevoll? Ganz wie man sich eine Stütze der Gesellschaft vorstellt. Diniert mit Botschaftern und überreicht Preise. In der Zeitung oft auf der Sportseite zu sehen, immer mit dem Mann des Tages zusammen.
Wohlgemerkt, unser Lars war selber mal ein rechtes Energiebündel. Fuhr häufig Autorennen, meistens in Schweden. Das war natürlich, bevor ihn das Bankgeschäft unter sich begraben hat.«
«Familie?«
«Holländische Frau, eine Menge stämmiger Kinder.«
Ich bezahlte die Rechnung, und wir schlenderten zum Auto zurück. Odin hatte den Kopf dicht an die Frontscheibe geschoben und starrte, ohne zu blinzeln, durch das Glas. Ein paar Leuten, die es mit einem Ist-er-nicht-ein-braves-Hundchen versuchten, wurden ein gewaltiges Gähnen und ein tiefer Blick in den höhlenartigen Rachen des Hundes zuteil.
Erik machte die Wagentür auf, gab dem Hund einen Schubs und sagte: »Fanden ta dig.« Die Dogge war keineswegs beleidigt, sondern schob ihren Riesenleib auf den Rücksitz zurück, und wir setzten unsere Fahrt fort.
«Was hat Lars im Krieg gemacht?«
«Da war er nicht hier«, antwortete Erik prompt,»sondern in London, wo er die für Norwegen bestimmten Nachrichten gesprochen hat.«
«Daß er mal in London gelebt hat, hat er mir gar nicht gesagt.«
«Er ist inzwischen erloschen. Noch ein toter Vulkan. Noch mehr Bimsstein.«
Erik überfuhr ein paar Ampeln drei Sekunden, nachdem sie auf Rot gesprungen waren, und schien wirklich nicht zu hören, wie sechs andere Fahrer ihre Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen brachten. Odin verpaßte ihm einen liebevollen Stupser in den Nacken, und Erik streckte die Hand aus, mit der er eigentlich die Gangschaltung hätte betätigen sollen, um die gewaltige nasse Hundeschnauze zu streicheln.
Eine Meile vom Stadtzentrum entfernt, hielt er schließlich vor einer modernen, viereckigen Angelegenheit aus Beton und Glas, die die architektonische Eleganz des Wohn- und Geschäftshauses, in dem Sandvik residierte, vermissen ließ.
«Das ist die Adresse, die Sie mir genannt haben«, sagte Erik zweifelnd.
«Schön«, erwiderte ich.»Wollen Sie mit hineinkommen?«
Er schüttelte den Kopf — obwohl der Nachmittag kalt war und es schnell dunkel wurde.»Odin strahlt Wärme ab wie ein Atomreaktor, und ich sitze nun mal nicht gern in Plastiklobbies herum und lasse mich anstarren.«
«Okay.«
Ich überließ die beiden sich selbst und fuhr mit dem Lift zu Rolf Torps Büro hinauf, wo ich wiederum, weil zu früh erschienen, gebeten wurde zu warten. Diesmal nicht in Torps Büro, sondern in einem kleinen, für diesen speziellen Zweck eingerichteten Warteraum, der von nützlichen Prospekten, die über Torp-Nord und Partner informierten, geradezu überquoll.
Auch hier hingen an den Wänden graphische Darstellungen von Felsformationen, Schautafeln, die über erzielte Fortschritte Aufschluß gaben, und Karten, die Abbaugebiete zeigten. In diesem Fall waren es keine Karten von der Nordsee, sondern vom norwegischen Festland, und die dichteste Anhäufung von Markierungsfähnchen befand sich in den Bergen westlich von Oslo.
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