Außerdem vermutete Nate, sie würde sich mit World Tribes in Verbindung setzen - wenn sie das nicht ohnehin schon getan hatte. Sie war in Corumba gewesen und hatte ihn dort im Krankenhaus aufgesucht. Daher konnte er annehmen, dass sie in Houston angerufen und irgend jemandem von seinem Besuch berichtet hatte.
Sie hatte von ihrem jährlichen Etat gesprochen, den ihr die Mission zuteilte, also musste es irgendeine Art der postalischen Verbindung geben. Sofern dieser Brief in Houston in die richtigen Hände fiel, würde er vielleicht nach Corumba weitergeleitet, wo ihn Rachel zu gegebener Zeit abholen würde.
Er schrieb das Datum und begann dann: »Liebe Rachel«.
Eine Stunde verging, während er ins Feuer sah und nach Worten suchte, die nicht albern klangen. Schließlich begann er den Brief mit einem Absatz über den Schnee. Er fragte sie, ob ihr der Schnee fehle und wie die Winter ihrer Kindheit in Montana gewesen seien. Er fügte hinzu, dass der Schnee vor seinem Fenster dreißig Zentimeter hoch liege.
Er kam nicht umhin, ihr zu gestehen, dass er als ihr Anwalt tätig war. Als er in den Juristenjargon verfiel, ging ihm der Brief flott von der Hand. Er erklärte die Auseinandersetzung vor Gericht in so einfachen Worten, wie ihm das mö glich war.
Dann erzählte er ihr von Pfarrer Phil, der Kirche und dem Kellerraum. Er lese in der Bibel, und es gefalle ihm gut. Er bete für sie.
Schließlich war der Brief drei Seiten lang, und Nate war recht stolz auf sich. Er las ihn zweimal durch und befand ihn für wert, abgeschickt zu werden. Er war sicher, falls der Brief es je bis zu ihrer Hütte schaffte, würde sie ihn immer wieder lesen, ohne stilistischen Schwächen irgendwelche Beachtung zu schenken.
Nate sehnte sich danach, sie wiederzusehen.
Einer der Gründe dafür, dass es mit der Arbeit im Keller der Kirche so schleppend voranging, war der, dass Pfarrer Phil morgens erst spät aufstand. Laura sagte, wenn sie werktags das Haus um acht Uhr zu ihrer Arbeit in der Vorschule verlasse, sei er meist noch tief unter den Decken vergraben. Er verteidigte sich mit der Erklärung, er sei nun einmal eine Nachteule und sehe sich gern nach Mitternacht im Fernsehen alte Schwarzweißfilme an. Daher war Nate ziemlich erstaunt, als ihn Phil am Freitag bereits um halb acht anrief. »Haben Sie schon die Washington Pos? gelesen?« fragte er.
»Ich lese keine Zeitungen«, gab Nate zur Antwort. Er hatte es sich während des Entzugs abgewöhnt. Phil hingegen las jeden Tag fünf Zeitungen, in denen er reichlich Material für seine Predigten fand.
»Vielleicht sollten Sie das aber tun«, sagte er.
»Warum?«
»Es steht etwas über Sie drin.«
Nate zog seine festen Schuhe an und besorgte sich in einem Laden zwei Ecken weiter eine Zeitung. Auf der ersten Seite stand eine hübsche Geschichte über die Auffindung von Troy Phelans verschwundener Erbin. Darin hieß es, dem Bezirksgericht des Fairfax County seien Dokumente vorgelegt worden, mit denen sie, vertreten durch ihren Anwalt, einen Mr. Nate O'Riley, die Behauptungen derer zurückweise, die das Testament ihres verstorbenen Vaters anfochten. Da es über sie nicht viel zu sagen gab, konzentrierte sich der Artikel auf den Anwalt. Entsprechend seiner eidesstattlichen Erklärung, die ebenfalls dem Gericht vorliege, habe er Rachel Lane aufgespürt, ihr ein Exemplar des Testaments vorgelegt, die verschiedenen damit verbundenen Rechtsfragen mit ihr besprochen und es auf die eine oder andere Weise fertiggebracht, von ihr mit der Wahrnehmung ihrer Interessen betraut zu werden. Genaue Hinweise auf Rachel Lanes Aufenthaltsort gab es nicht.
Von Nate O'Riley hieß es, er sei früher ein prominenter Prozessanwalt und Partner der Kanzlei Stafford gewesen, die er aber im August vergangenen Jahres verlassen habe. Im Oktober habe er einen Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über sein Vermögen gestellt, sei im November wegen Steuerhinterziehung unter Anklage gestellt worden, über die noch nicht entschieden sei. Dabei gehe es um dem Staat vorenthaltene Steuern in Höhe von sechzigtausend Dollar. Zu allem Überfluss hatte der Reporter den nebensächlichen Umstand erwähnt, dass
er zweimal geschieden war, und um die Demütigung zu vervollständigen, war der Artikel mit einem schlechten Foto illustriert, das Nate bei einer Feier des Washingtoner Anwaltsvereins vor einigen Jahren mit einem Drink in der Hand zeigte. Aufmerksam betrachtete er die körnige Aufnahme, auf der er mit verschwommenen Augen, aufgequollenen Wangen und einem törichten Lächeln zu sehen war, das den Eindruck erweckte, als genieße er die Gesellschaft der Menschen um sich herum. Das war peinlich, aber es gehörte zu einem anderen Leben. Natürlich konnte eine solche Geschichte nicht vollständig sein ohne eine knappe Darstellung der unerfreulichen statistischen Daten im Zusammenhang mit Troys Leben und Tod: drei Ehen, sieben Kinder, von denen man wusste, rund elf Milliarden Vermögenswerte, sein Sprung aus dem dreizehnten Stock.
Man habe Mr. O'Riley nicht erreichen können, und Mr. Stafford habe nichts zu sagen. Offensichtlich hatten die Anwälte der Phelan-Kinder bereits so viel gesagt, dass sie nicht um eine weitere Äußerung gebeten worden waren.
Nate faltete die Zeitung zusammen und kehrte in Joshs Häuschen zurück. Es war halb neun. Ihm blieben anderthalb Stunden, bis die Arbeit im Keller der Kirche begann.
Auch wenn die Bluthunde jetzt seinen Namen wussten, würde es ihnen schwer fallen, seine Spur aufzunehmen. Josh hatte dafür gesorgt, dass Nates Post an eine Postfachadresse in Washington ging, und außerdem auf den Namen des Anwalts Nathan F. O'Riley eine neue Telefonleitung einrichten lassen. Anrufe, die dort eingingen, wurden von einer Sekretärin in der Kanzlei Stafford entgegengenommen und notiert.
In St. Michaels wusste außer dem Pfarrer und seiner Frau niemand, wer Nate war. Gerüchte besagten, er sei ein vermögender Anwalt aus Baltimore, der ein Buch schreiben wolle.
Sich verstecken machte süchtig. Vielleicht war das der Grund dafür, dass Rachel es tat.
Kopien von Rachel Lanes Stellungnahme wurden an alle Anwälte der Phelan-Kinder geschickt, die von dieser Nachricht geradezu elektrisiert waren. Sie lebte also und war bereit, sich dem Kampf zu stellen! Allerdings rief der Name ihres Anwalts ein gewisses Stirnrunzeln hervor; O'Rileys Ruf eilte ihm voraus: ein tüchtiger Prozessanwalt, mitunter brillant, der dem Druck nicht gewachsen war. Das ließ die Phelan-Anwälte, wie schon Richter Wycliff, vermuten, dass in Wahrheit Josh Stafford die Fäden in der Hand hielt. Bestimmt hatte er O'Riley aus dem Entzug geholt, ihn herausgeputzt, ihm die Papiere in die Hand gedrückt und den Weg zum Gericht gezeigt. Die Phelan-Anwälte saßen am Freitag morgen in der Kanzlei Langhorne zusammen, einem modernen Bau unter vielen im Finanzdistrikt an der Pennsylvania Avenue. Zwar war die Kanzlei mit ihren vierzig Anwälten nicht groß genug, um wirkliche Topmandanten anzuziehen, doch ihr Ehrgeiz ging eindeutig in diese Richtung. Die Einrichtung der Räume war von jener prätentiösen Erlesenheit, die verriet, dass die dort tätigen Anwälte fest entschlossen waren, ans ganz große Geld zu kommen.
Die Phelan-Anwälte hatten beschlossen, sich jede Woche am Freitag um acht zu treffen, um höchstens zwei Stunden lang über Strategiefragen und den Fortgang des Verfahrens zu reden. Der Einfall ging auf Ms. Langhorne zurück. Ihr war klargeworden, dass sie als Vermittlerin würde auftreten müssen, denn die Männer hatten alle Hände voll damit zu tun, sich zu spreizen und gegenseitig zu bekämpfen. Doch wo so viel Geld auf dem Spiel stand, durfte man nicht zulassen, dass sich Leute, die in einem Boot saßen, gegenseitig in den Rücken fielen.
Sie hatte den Eindruck, dass die Zeiten des Mandantenraubs vorüber waren. Ihre Mandanten, Geena und Cody, waren entschlossen, bei ihr zu bleiben, und Yancy schien Ramble fest in der Hand zu haben. Wally Bright wohnte praktisch mit Libbigail und Spike zusammen. Die anderen drei - Troy Junior, Rex und Mary ROSS - hatte Hark am Haken, und er schien mit seiner Beute zufrieden zu sein. Allmählich legte sich der Staub. Nachdem klar war, worum es ging, wurden die Beziehungen freundlicher. Den Anwälten war klar, dass ihre Sache zum Scheitern verurteilt war, wenn sie nicht zusammenarbeiteten.
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