Deck und ich entscheiden uns für einen privaten Lunch, weit weg von den bewundernden Massen, außer Reichweite von herumfiegenden Kugeln. Wir kaufen uns Sandwiches und essen in Miss Birdies Küche. Butch sitzt in seinem Wagen, der auf der Einfahrt hinter meinem Volvo steht. Er wird ziemlich enttäuscht sein, wenn er keine Gelegenheit findet, seine AK-47 abzufeuern.
Der wöchentliche Reinigungsdienst war gestern hier, das Haus ist also sauber, und der schimmlige Geruch ist vorübergehend verschwunden. Es steht bereit für Miss Birdie.
Der Handel, den wir abschließen, ist schmerzlos und simpel. Deck bekommt die Akten, die er haben will, und ich bekomme zweitausend Dollar, zahlbar innerhalb von neunzig Tagen. Wenn es sein muß, wird er sich mit anderen Anwälten zusammentun. Außerdem kann er diejenigen meiner Fälle verhökern, die er nicht haben will. Die Inkassoakten von Ruffin's gehen an Booker zurück. Das wird ihm nicht gefallen, aber er wird darüber hinwegkommen.
Das Durchsehen der Akten ist einfach. Es ist ein Jammer, wie wenige Fälle und Mandanten wir in den letzten sechs Monaten aufgetan haben.
Die Kanzlei hat dreitausendvierhundert Dollar auf der Bank und ein paar offene Rechnungen.
Wir einigen uns über die Details, während wir essen, und der geschäftliche Aspekt der Trennung ist leicht. Nicht dagegen das persönliche Auseinandergehen. Deck hat keine Zukunft. Er kann das Anwaltsexamen nicht bestehen, und er kann nirgendwo hingehen. Er wird ein paar Wochen damit verbringen, meine Fälle abzuwickeln, aber ohne einen Bruiser oder einen Rudy, die ihm eine Fassade liefern, kann er nichts unternehmen. Das wissen wir beide, aber es bleibt unausgesprochen.
Er gesteht mir, daß er pleite ist.»Glücksspiel?«frage ich.
«Ja. Es sind die Casinos. Kann mich einfach nicht von ihnen fernhalten. «Er ist jetzt entspannt, scheinbar die Ruhe selbst. Er beißt ein großes Stück von einer Gewürzgurke ab und zermalmt es laut.
Als wir im letzten Sommer unsere Kanzlei eröffneten, hatten wir gerade jeweils einen gleich hohen Anteil aus dem Van-Lan-del-Vergleich erhalten. Jeder hatte fünftausendfünfhundert Dollar, und jeder hat zweitausend eingebracht. Ich war ein paarmal gezwungen, meine Ersparnisse anzugreifen, aber ich habe immer noch zweitausendachthundert auf der Bank. Ich habe Geld gespart, indem ich sehr bescheiden lebte und soviel wie möglich auf die hohe Kante legte. Auch Deck gibt sein Geld nicht aus. Er verschleudert es an den Black-Jack-Tischen.
«Ich habe gestern abend mit Bruiser gesprochen«, sagt er, und ich bin nicht überrascht.
«Wo ist er?«
«Auf den Bahamas.«
«Ist Prince bei ihm?«
«Ja.«
Das ist eine gute Nachricht, und es freut mich, das zu hören. Ich bin sicher, Deck weiß es bereits seit geraumer Zeit.
«Sie haben es also geschafft«, sage ich, schaue zum Fenster hinaus und versuche, mir die beiden mit Strohhüten und Son-nenbrillen vorzustellen. Schließlich haben sie hier praktisch im Dunkeln gelebt.
«Ja. Ich weiß nicht, wie. Nach manchen Dingen fragt man nicht. «Decks Gesicht macht einen leeren Eindruck. Er ist tief in Gedanken versunken.»Das Geld ist immer noch hier.«
«Wieviel?«
«Vier Millionen in bar. Das ist das, was sie von den Clubs abgesahnt haben.«
«Vier Millionen?«
«Ja. Im Keller eines Lagerhauses versteckt. Hier in Memphis.«
«Und wieviel haben sie Ihnen angeboten?«
«Zehn Prozent. Wenn es mir gelingt, es nach Miami zu bringen. Bruiser sagt, das Weitere könnte er selber bewerkstelligen.«
«Tun Sie es nicht, Deck.«
«Es ist ungefährlich.«
«Sie werden erwischt werden und ins Gefängnis kommen.«
«Glaube ich nicht. Die Feds haben die Sache abgehakt. Von dem Geld haben sie keine Ahnung. Alle nehmen an, daß Bruiser genug mitgenommen hat und nicht noch mehr braucht.«
«Braucht er denn noch mehr?«
«Das weiß ich nicht. Aber er will es unbedingt haben.«
«Tun Sie es nicht, Deck.«
«Es ist ein Kinderspiel. Das Geld paßt in einen kleinen U-Haul-Laster. Bruiser sagt, das Einladen dauert höchstens zwei Stunden. Dann mit dem U-Haul nach Miami und dort auf weitere Anweisungen warten. Dazu brauche ich zwei Tage, und dann bin ich aus allem raus.«
Seine Stimme klingt, als wäre er weit fort. Ich bezweifle nicht im geringsten, daß Deck es versuchen wird. Er und Bruiser haben das geplant. Aber ich habe genug gesagt. Er hört ohnehin nicht auf mich.
Wir verlassen Miss Birdies Haus und gehen in meine Wohnung. Deck hilft mir, ein paar Kleidungsstücke zu meinem Wagen zu tragen. Wir packen den Kofferraum voll und die Hälfte des Rücksitzes. Ich kehre nicht in die Kanzlei zurück, also verabschieden wir uns vor der Garage.
«Ich nehme es Ihnen nicht übel, daß Sie abreisen«, sagt er.
«Seien sie vorsichtig, Deck.«
Wir umarmen uns verlegen ein oder zwei Sekunden lang, und ich habe fast einen Kloß in der Kehle.
«Sie haben Geschichte gemacht, Rudy, wissen Sie das?«
«Wir haben es zusammen getan.«
«Ja, und was hat es uns eingebracht?«
«Wir können immer noch damit angeben.«
Wir geben uns die Hand, und Decks Augen sind feucht. Ich sehe ihm nach, wie er davonschlurft und zu Butch ins Auto steigt. Sie fahren davon.
Ich schreibe einen langen Brief an Miss Birdie und verspreche ihr, später anzurufen. Ich legen ihn auf den Küchentisch, weil ich sicher bin, daß sie bald heimkommen wird. Ich mache noch einmal eine Runde durchs Haus und verabschiede mich von meiner Wohnung.
Ich fahre zu einer Bankfiliale und löse mein Sparkonto auf. Ein Packen von achtundzwanzig Hundert-Dollar-Scheinen fühlt sich gut an. Ich verstecke ihn unter der Fußmatte.
Als ich an die Tür der Blacks klopfe, ist es schon fast dunkel. Dot macht auf und lächelt beinahe, als sie sieht, daß ich es bin.
Das Haus ist still und dunkel, immer noch sehr in Trauer. Ich glaube nicht, daß es jemals anders werden wird. Buddy liegt mit einer Grippe im Bett.
Bei einer Tasse Instantkaffee bringe ich ihr schonend die Neuigkeit bei, daß Great Benefit mit dem Bauch nach oben schwimmt und daß sie abermals in die Röhre guckt. Wenn nicht irgendwann in ferne Zukunft ein Wunder geschieht, sehen wir keinen roten Heller. Ihre Reaktion überrascht mich nicht.
Offenbar gibt es mehrere unklare Gründe für den Untergang von Great Benefit, aber im Augenblick ist es Dot sehr wichtig, zu glauben, daß sie das Geschehene ausgelöst hat. Ihre Augen funkeln, und auf ihrem Gesicht liegt ein glücklicher Ausdruck, während sie es verdaut. Sie hat sie aus dem Geschäft befördert. Eine kleine, entschlossene Frau in Memphis, Tennessee, hat diese Schweine in den Konkurs getrieben.
Morgen wird sie zu Donny Rays Grab gehen und es ihm erzählen.
Kelly wartet nervös in Betty Norvelles Zimmer. Sie umklammert eine kleine lederne Reisetasche, die ich ihr mitgebracht habe. Sie enthält Toilettenartikel und ein paar vom Frauenhaus gespendete Kleidungsstücke. Das ist alles, was sie besitzt.
Wir unterschreiben die erforderlichen Papiere und danken Betty. Während wir rasch auf den Wagen zugehen, halten wir uns bei den Händen. Sobald wir drinnen sitzen holen wir tief Luft, dann fahren wir davon.
Die Waffe liegt unter dem Sitz, aber jetzt mache ich mir keine Sorgen mehr.
«Welche Richtung?«frage ich, als wir die Kreuzung der Interstate erreicht haben, die um die Stadt herumführt. Wir lachen darüber, weil es einfach wunderbar ist. Es spielt keine Rolle, wohin wir fahren.
«Ich möchte die Berge sehen«, sagt sie.
«Ich auch. Osten oder Westen? «
«Hohe Berge.«
«Also dann nach Westen.«
«Ich möchte den Schnee sehen.«
«Ich nehme an, wir werden welchen finden. «
Sie kuschelt sich an mich und legt den Kopf an meine Schulter. Ich streichle ihre Beine.
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