«Ihr Burschen seid immer schnell zur Stelle, nicht wahr?«sagt er verächtlich.
«Sie hat mich angerufen, gleich nachdem sie 911 gewählt hatte. Was haben Sie festgestellt?«
Wir betrachten sie beide. Sie sitzt am Ende eines langen Tisches und wischt sich die Augen mit einem Papiertaschentuch.
Smotherton grunzt, während er überlegt, was er mir sagen soll.»Fanden ihren Mann tot auf dem Fußboden, Schädelbruch, sieht aus wie von einem Baseballschläger. Sie hat nicht viel gesagt, nur daß sie sich scheiden lassen will, sich in die Wohnung geschlichen hat, um ihre Sachen zu holen, er fand sie, sie kämpften. Er war ziemlich betrunken. Irgendwie bekam sie den Schläger in die Hand, und jetzt ist er im Leichenschauhaus. Sie betreiben ihre Scheidung?«
«Ja. Ich kann Ihnen eine Kopie zugehen lassen. Vorige Woche hat der Richter angeordnet, daß er sich von ihr fernzuhalten hat. Er hat sie seit Jahren immer wieder geschlagen.«
«Wir haben die Verletzungen gesehen. Ich möchte ihr nur ein paar Fragen stellen, okay?«
«Klar. «Wir betreten gemeinsam das Zimmer. Kelly ist überrascht, mich zu sehen, schafft es aber, cool zu bleiben. Wir umarmen uns auf höfliche Anwalt-Mandanten-Manier. Ein weiterer Detektiv in Zivil erscheint, Officer Hamlet, der ein Aufnahmegerät mitbringt. Ich habe keine Einwände. Nachdem er es eingeschaltet hat, ergreife ich die Initiative.»Fürs Protokoll. Ich bin Rudy Baylor, Anwalt von Kelly Riker. Heute ist Montag, der 15. Februar 1993. Wir befinden uns im Polizeipräsidium von Memphis. Ich bin anwesend, weil meine Mandantin mich um ungefähr neunzehn Uhr fünfundvierzig heute abend angerufen hat. Sie hatte gerade 911 gewählt und sagte, sie glaubte, ihr Mann wäre tot.«
Ich nicke Smotherton zu, als wäre er jetzt an der Reihe, und er sieht mich an, als würde er mich am liebsten erwürgen. Polizisten hassen Verteidiger, aber im Augenblick ist mir das völlig egal.
Smotherton beginnt mit einer Reihe von Fragen über Kelly und Cliff — grundlegende Informationen wie Geburtsdaten, Eheschließung, Beschäftigung, Kinder und so weiter. Sie beantwortet sie geduldig, mit einem abwesenden Ausdruck in
den Augen. Die Schwellung ist aus ihrem Gesicht verschwunden, aber ihr linkes Auge ist immer noch schwarz und blau, und die Braue ist noch immer verpflastert. Sie ist völlig verängstigt.
Sie beschreibt die Mißhandlungen so detailliert, daß wir alle drei entsetzt sind. Smotherton schickt Hamlet los, die Unterlagen über Cliff's drei Festnahmen wegen der Mißhandlungen zu holen. Sie redet über Vorfälle, über die es keine Unterlagen gibt, weil sie nie schriftlich festgehalten wurden. Sie erzählt von dem Softballschläger und wie er damit ihren Knöchel gebrochen hat. Er hat sie auch ein paarmal so geschlagen, wenn er ihr gerade nicht die Knochen brechen wollte.
Sie redet über die letzte Attacke, dann über den Entschluß, ihn zu verlassen und sich zu verstecken und die Scheidung einzureichen. Sie ist durch und durch glaubwürdig, weil alles wahr ist. Es sind die kommenden Lügen, die mir Sorgen machen.
«Weshalb sind Sie heute abend in die Wohnung gegangen?«fragt Smotherton.
«Um meine Sachen zu holen. Ich war sicher, daß er nicht dasein würde.«
«Wo haben Sie die letzten Tage verbracht?«
«In einem Haus für mißhandelte Frauen.«
«Wo ist das?«
«Das möchte ich nicht sagen.«
«Hier in Memphis?«
«Ja.«
«Wie sind Sie heute abend zu Ihrer Wohnung gekommen?«
Bei dieser Frage setzt mein Herz einen Schlag aus, aber sie hat bereits darüber nachgedacht.»Mit meinem Wagen«, sagt sie.
«Was für ein Wagen ist das?«
«Ein Volkswagen-Käfer.«
«Wo ist er jetzt?«
«Auf dem Parkplatz vor meiner Wohnung.«
«Können wir ihn uns ansehen?«
«Nicht, bevor ich es getan habe«, sage ich, mich plötzlich erinnernd, daß ich hier der Anwalt bin und nicht etwa ein Mitverschwörer.
Smotherton schüttelt den Kopf. Wenn Blicke töten könnten.
«Wie sind Sie in die Wohnung gekommen?«
«Mit meinem Schlüssel.«
«Was haben Sie getan, als Sie drinnen waren?«
«Ich bin ins Schlafzimmer gegangen und habe angefangen, meine Sachen zusammenzupacken. Ich habe zwei oder drei Kopfkissenbezüge vollgestopft und einen Haufen Zeug ins Wohnzimmer getragen.«
«Wie lange waren Sie dort, bevor Mr. Riker nach Hause kam?«
«Vielleicht zehn Minuten.«
«Was ist dann passiert?«
An dieser Stelle unterbreche ich.»Diese Frage wird sie nicht beantworten, bevor ich Gelegenheit gehabt habe, mit ihr zu sprechen und diesen Punkt zu klären. Das Verhör ist jetzt beendet. «Ich strecke die Hand aus und drücke auf den roten Stoppknopf des Recorders. Smotherton beschäftigt sich eine Minute damit, seine Notizen durchzulesen. Hamlet kommt mit dem Computerausdruck zurück, und sie studieren ihn gemeinsam. Kelly und ich ignorieren uns gegenseitig, aber unter dem Tisch berühren sich unsere Füße.
Smotherton schreibt etwas auf ein Blatt Papier und gibt es mir.»Dies wird als Tötungsdelikt behandelt, aber es geht an die Abteilung Mißhandlungen im häuslichen Bereich bei der Staatsanwaltschaft. Die zuständige Dame heißt Morgan Wilson. Von jetzt an ist es ihr Fall.«
«Aber Sie behalten sie hier?«
«Mir bleibt nichts anderes übrig. Ich kann sie nicht einfach laufenlassen.«
«Wie lautet die Anklage?«
«Totschlag.«
«Sie können sie in meinen Gewahrsam entlassen.«
«Nein, das kann ich nicht«, erwidert er wütend.»Was für eine Art von Anwalt sind Sie?«
«Dann entlassen Sie sie gegen Kautionszusage.«
«Funktioniert nicht«, sagt er mit einem frustrierten Lächeln zu Hamlet.»Wir haben einen Toten. Die Kaution muß von einem Richter festgesetzt werden. Bringen Sie ihn dazu, daß er das tut, dann kann sie gehen. Ich bin nur ein bescheidener Detective.«
«Ich muß ins Gefängnis?«fragt Kelly.
«Wir haben keine andere Wahl, Madam«, sagt Smotherton, plötzlich viel netter.»Wenn Ihr Anwalt hier sein Geld wert ist, holt er Sie irgendwann morgen wieder raus. Das heißt, wenn Sie Kaution stellen können. Aber ich kann Sie nicht einfach gehen lassen, nur weil ich es möchte.«
Ich lange über den Tisch und ergreife ihre Hand.»Das ist richtig, Kelly. Ich hole dich morgen heraus, so früh wie möglich. «Sie nickt rasch und beißt die Zähne zusammen, versucht, stark zu sein.
«Können Sie sie in eine Einzelzelle bringen?«frage ich Smotherton.
«Für das Gefängnis bin ich nicht zuständig, Sie Klugscheißer. Wenn Sie so ein toller Hecht sind, dann reden Sie mit den Wärtern. Die freuen sich immer, wenn sie es mit einem Anwalt zu tun haben.«
Provozier mich nicht, Freundchen. Einen Schädel habe ich heute abend bereits eingeschlagen. Wir starren uns voller Haß an.»Danke«, sage ich.
«Nichts zu danken. «Er und Hamlet schieben ihre Stühle zurück und stapfen auf die Tür zu.»Sie haben fünf Minuten«, sagt er über die Schulter hinweg. Sie knallen die Tür ins Schloß.
«Rühr dich nicht von der Stelle«, sage ich fast lautlos.»Sie beobachten uns durch dieses Fenster dort. Und das Zimmer ist vermutlich verwanzt, also sei vorsichtig mit dem, was du sagst.«
Sie sagt gar nichts.
Ich spiele meine Anwaltsrolle weiter.»Tut mir sehr leid, daß das passiert ist«, sage ich steif.
«Was bedeutet Totschlag?«
«Das kann eine Menge bedeuten, aber im Grunde ist es Mord ohne Tötungsabsicht.«
«Wie viele Jahre könnte ich bekommen?«
«Zuerst einmal müßtest du verurteilt werden, und dazu kommt es nicht.«»Versprichst du mir das?«
«Ich verspreche es. Hast du Angst?«
Sie wischt sich sorgfältig die Augen ab und denkt lange nach.»Er hat eine große Familie, und sie sind alle genau wie er. Lauter gewalttätige Saufbolde. Ich habe fürchterliche Angst vor ihnen.«
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