John Grisham - Der Regenmacher

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Im letzten Semester seines Jurastudiums erteilt Rudy Baylor einer Gruppe alter Leute kostenlose Rechtsberatung und gewinnt dabei seine ersten» Mandanten«: Dot und Buddy Black. Ihr Sohn Donny Ray ist an Leukämie erkrankt, aber die Versicherungsgesellschaft weigert sich hartnäckig, für die Therapie, die sein Leben retten konnte, aufzukommen. Rudy, zunächst skeptisch, begreift bald, daß die Blacks auf infame Weise von ihrer Versicherung über den Tisch gezogen werden und daß er es mit einem der größten Betrugsskandale in der Versicherungsbranche zu tun hat, die es je gab — und zugleich mit einem der spektakulärsten und lukrativsten Prozesse in der Geschichte der amerikanischen Rechtsprechung: Der Anwalt, der ihn gewinnt, kann zum» Regenmacher «werden: Er kann seiner Kanzlei das ganz große Geld einbringen. Doch da ist noch ein Problem: Rudy, der sein Studium mit Jobs finanziert hat, ist pleite und kann keine Anstellung finden. Er hat noch nicht einmal das Anwaltsexamen hinter sich, geschweige denn eine Lizenz. Und gleich bei seinem ersten Fall wird er es im Gerichtssaal mit einem der erfolgreichsten Verteidiger der Vereinigten Staaten zu tun bekommen.
«In unglaublich dramatischen, aber gelegentlich auch sehr witzigen Gerichtsszenen erfahren wir genau, wie eine Versicherung wirklich funktioniert und welcher betrügerischen Mittel die großen Konzerne sich immer wieder bedienen.«

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M. Wilfred Keeley wurde gestern nachmittag am KennedyFlughafen festgenommen, als er eine Maschine nach Heathrow besteigen wollte. Seine Frau war bei ihm, und sie behaupteten, sie wollten nur einen kurzen Urlaub machen. Sie waren jedoch nicht imstande, den Namen eines Hotels in Europa anzugeben, in dem sie erwartet würden.

Es sieht so aus, als wären die Firmen in den letzten beiden Monaten restlos ausgeplündert worden. Anfangs wurde das Geld dazu benutzt, Fehlinvestitionen auszugleichen; dann haben sie es einbehalten und in Steueroasen auf der ganzen Welt transferiert. Auf jeden Fall ist es verschwunden.

Der erste Anruf des Tages kommt von Leo Drummond. Er erzählt mir von Great Beneft, als hätte ich keine Ahnung. Wir unterhalten uns kurz, und es ist schwer zu sagen, wer deprimierter ist. Keiner von uns wird für den Krieg bezahlt werden, den wir gerade geführt haben. Seine Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Mandanten über mein Vergleichsangebot erwähnt er nicht; das hat sich jetzt ohnehin von selbst erledigt. Sein ehemaliger Mandant ist nicht in der Verfassung, eine Klage wegen sträflichen Fehlverhaltens einzureichen. Er ist dem Black-Urteil wirkungsvoll entgangen, also kann er nicht behaupten, durch schlechte juristische Arbeit von Drummond geschädigt worden zu sein. Trent & Brent ist noch einmal davongekommen.

Der zweite Anruf kommt von Roger Rice, Miss Birdies neuem Anwalt. Er gratuliert mir zu dem Urteil. Wenn er wüßte! Er sagt, er habe über mich nachgedacht, seit er mein Foto in der Sonntagszeitung gesehen hat. Miss Birdie versucht, ihr Testament abermals zu ändern, und in Florida haben sie genug von ihr. Delbert und Randolph ist es schließlich gelungen, ihre Unterschrift auf einem selbstverfaßten Dokument zu bekommen, mit dem sie dann zu den Anwälten in Atlanta gefahren sind und eine volle Offenlegung des Vermögens ihrer Mutter verlangt haben. Die Anwälte mauerten. Die Brüder haben Atlanta zwei Tage lang belagert. Einer der Anwälte rief Roger Rice an, und die Wahrheit kam ans Licht. Delbert und Randolph fragten diesen Anwalt rundheraus, ob ihre Mutter zwanzig Millionen Dollar besäße. Daraufhin konnte der Anwalt nur lachen, und das brachte die beiden liebenden Söhne auf die Palme. Schließlich kamen sie zu dem Schluß, daß Miss Birdie sie zum besten hielt, und sie kehrten nach Florida zurück.

Spät am Montag abend rief Miss Birdie Roger Rice zu Hause an und teilte ihm mit, daß sie nach Memphis zurückkehren wolle. Sie sagte, sie hätte versucht, mich anzurufen, aber ich schiene sehr beschäftigt zu sein. Mr. Rice erzählte ihr von dem Prozeß und dem Fünfzig-Millionen-Dollar-Urteil, und das schien sie zu freuen.»Wie nett«, sagte sie.»Nicht schlecht für einen Gärtnergehilfen. «Die Tatsache, daß ich jetzt reich bin, schien sie mächtig zu beeindrucken.

Jedenfalls wollte Rice mich vorwarnen, daß sie jetzt jeden Tag zurückkehren kann. Ich danke ihm.

Morgan Wilson hat sich eingehend mit der Riker-Akte beschäftigt und neigt dazu, die Anklage fallenzulassen. Aber ihr Boß, Al Vance, hat sich noch nicht entschieden. Ich folge ihr in sein Büro.

Vance wurde schon vor vielen Jahren zum Staatsanwalt gewählt und hat keine Mühe, immer wiedergewählt zu werden. Er ist um die Fünfzig und hat früher ernsthaft eine höhere politische Karriere angestrebt. Doch dazu hat sich nie eine Gelegenheit ergeben, und jetzt hat er sich damit abgefunden, daß er in seinem Amt bleibt. Er verfügt über eine Eigenschaft, die bei Staatsanwälten äußerst selten ist — er verabscheut Kameras.

Er gratuliert mir zu dem Urteil. Ich danke ihm, möchte aber nicht darüber reden, aus Gründen, die ich in diesem Moment lieber für mich behalte. Ich nehme an, daß die Neuigkeiten über Great Benefit in weniger als zwanzig Stunden die Runde machen werden, und die Bewunderung, die man mir jetzt entgegenbringt, wird sich schlagartig verflüchtigen.

«Diese Leute sind Irre«, sagt er und wirft die Akte auf seinen Schreibtisch.»Sie haben mehrfach hier angerufen, allein zweimal heute morgen. Meine Sekretärin hat mit Rikers Vater und einem seiner Brüder gesprochen.«

«Was wollen sie?«frage ich.

«Den Tod Ihrer Mandantin. Vergeßt den Prozeß, schnallt sie einfach auf den elektrischen Stuhl, noch heute. Ist sie aus dem Gefängnis heraus?«

«Ja.«

«Hält sie sich versteckt?«

«Ja.«

«Gut. Sie sind so verdammt blöde, daß sie ihr Leben bedrohen. Sie wissen nicht einmal, daß es gegen das Gesetz ist, so etwas zu tun. Ein ausgesprochen widerliches Volk.«

Wir sind uns alle drei einig, daß die Rikers ziemlich dumm und sehr gefährlich sind.

«Morgan will keine Anklage erheben«, fährt Vance fort. Morgan nickt.

«Es ist sehr einfach, Mr. Vance«, sage ich.»Sie können den Fall vor die Anklagejury bringen, und Sie können Glück haben und eine Anklage erreichen. Aber wenn es zum Prozeß kommt, werden Sie verlieren. Ich werde diesen verdammten Aluminiumschläger vor den Geschworenen schwenken. Ich werde ein Dutzend Experten für Mißhandlung im häuslichen Bereich in den Zeugenstand holen. Ich werde sie zu einem Symbol machen, und Sie und Ihre Leute werden sehr alt aussehen, wenn Sie versuchen, sie zu verurteilen. Kein einziger der zwölf Geschworenen wird für Sie stimmen.«

Ich fahre fort.»Mir ist es gleich, was seine Angehörigen tun. Aber wenn Sie sich von ihnen dazu drängen lassen, Anklage zu erheben, dann wird Ihnen das leid tun. Wenn die Geschworenen sie freisprechen, werden sie Sie sogar noch mehr hassen.«

«Er hat recht, Al«, sagt Morgan.»Es ist ausgeschlossen, daß sie verurteilt wird.«

Al war schon bereit, das Handtuch zu werfen, als er hier hereinkam, aber er wollte es erst von uns beiden hören. Er erklärt sich bereit, alle Anklagen fallenzulassen. Morgan verspricht, mir am späten Vormittag ein entsprechendes Schreiben zu faxen.

Ich danke ihnen und verschwinde. Meine Stimmung schlägt schnell um. Ich bin allein im Fahrstuhl, und ich sehe in dem polierten Messing über den Zahlenknöpfen, daß ich grinse. Alle Anklagen werden fallengelassen! Für immer!

Ich renne praktisch über den Parkplatz zu meinem Wagen.

Die Kugel wurde von der Straße her abgeschossen, durchschlug das Fenster im vorderen Büro, hinterließ ein säuberliches Loch von nicht mehr als anderthalb Zentimeter Durchmesser in der Scheibe und beendete ihre Reise tief in der Wand. Deck war zufällig im vorderen Büro, als er den Schuß hörte. Die Kugel verfehlte ihn um ungefähr drei Meter, aber das war nahe genug. Er rannte nicht sofort zum Fenster, sondern verkroch sich unter dem Tisch und wartete ein paar Minuten.

Dann verschloß er die Tür und wartete darauf, daß jemand kommen und nach ihm suchen würde. Es kam niemand. Das passierte gegen halb elf, während ich bei Al Vance war. Offenbar hat niemand den Schützen gesehen. Wenn jemand den Schuß gehört hat, werden wir es nie erfahren. In diesem Teil der Stadt hört man des öfteren Schüsse.

Decks erster Anruf galt Butch, der noch schlief. Zwanzig Minuten später war er im Büro, schwer bewaffnet, und bemühte sich, Deck zu beruhigen.

Als ich eintreffe, untersuchen sie gerade das Loch in der Scheibe, und Deck berichtet mir, was passiert ist. Ich bin sicher, daß Deck sogar herumzappelt, wenn er tief schläft, aber jetzt zittert er heftig am ganzen Leibe. Er sagt uns, er wäre in Ordnung, aber seine Stimme klingt schrill. Butch sagt, er wird unten direkt unter dem Fenster warten und sie schnappen, wenn sie zurückkommen. Er hat zwei Schrotflinten in seinem Wagen und ein AK-47-Sturmgewehr. Gott helfe den Rikers, falls sie noch einmal versuchen sollten, im Vorbeifahren zu schießen.

Ich kann Booker nicht telefonisch erreichen. Er ist nicht in der Stadt und führt zusammen mit Marvin Shankle Vernehmungen durch, also schreibe ich ihm einen kurzen Brief, in dem ich verspreche, mich später zu melden.

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