»Meinen Sie das wörtlich?«
»Sicherlich. Sie fuhr ihren Wagen bei Flackwell Heath in die Themse. Sie war noch keine zwei Monate tot, als er ein junges Ding, das er in London kennengelernt hatte, heiratete und sich mit der Kleinen nach Kanada auf und davon machte.«
»Und die Kinder?«
»Na ja ... das war natürlich das Ende von Privatschulen und all dem Schnickschnack für sie. Sie kamen zurück und mußten wie alle anderen auch in Gessler Tye in die Schule gehen.« Genugtuung schwang in ihrer Stimme mit. Troy stimmte ihr unbewußt mit einem Nicken zu.
»Und wo haben sie gewohnt?«
»Jetzt kommen die Traces ins Spiel. Henry war einer der ersten, den Gerald Lacey um Geld angehauen hatte. Und Henry lieh ihm eine beträchtliche Summe. Ich glaube, er dachte im nachhinein, er hätte es besser nicht getan und statt dessen Gerald Lacey geholfen, eine andere Lösung für seine Probleme zu finden. Zumindest hat mir Mrs. Trace - ich meine, Bella Trace - diesen Eindruck vermittelt.«
Chief Inspector Barnaby versuchte sich vorzustellen, wie die verstorbene Mrs. Trace die finanziellen Angelegenheiten ihres Mannes mit Mrs. Rainbird besprach - es gelang ihm nicht. Er überlegte, woher sie diese Information sonst haben könnte.
»Daher das Holly Cottage.«
»Wie bitte?«
»Ursprünglich bewohnte ein Wildhüter das Haus. Henry bot es den Kindern an, und die alte Kinderschwester blieb bei ihnen, um sich um sie zu kümmern. Sie haben ihr das Leben zur Hölle gemacht und ihr ständig auf der Nase herumgetanzt, das können Sie mir glauben. Als sie älter wurden, gab es ständig Streitereien. Na, Sie wissen ja, wie Halbwüchsige sind. Nur mein Denny hat mir keinerlei Kummer bereitet.« Denny biß mit einem affektierten Grinsen in seine Vanilleschnitte. Ein Tropfen Creme, der sich in der Farbe kaum von seiner Haut unterschied, zierte seine Oberlippe. »Sie kam öfter bei uns vorbei, die arme Nanny Sharpe -, nur für eine Tasse Tee und ein bißchen Ruhe und Frieden. Die zwei Gören waren wie Hund und Katz. Haben Sie die Narbe in Michaels Gesicht gesehen?«
»Wir haben noch nicht mit Mr. Lacey gesprochen.«
»Sie hat ihm das angetan, seine Schwester. Sie hat ihm ein Bügeleisen nachgeworfen.« Ihr fiel auf, daß sich Barnabys Gesichtsausdruck plötzlich änderte. »Oh, Sie können mir ruhig glauben, Mr. Barnaby. Diese Unschuldsmienen täuschen jeden, aber die beiden können Sie sicher nicht hinters Licht führen.«
Mrs. Rainbirds Objektivität, die ihm zu Beginn des Gesprächs so imponiert hatte, schien sie vorübergehend im Stich zu lassen. Die Tatsache, daß ihr Sohn, den sie auf eine ungesunde Art und Weise bewunderte, beleidigt oder angegriffen worden war, schien immer noch an ihr zu nagen.
»Hat Mr. Trace die Laceys finanziell unterstützt?«
»O ja. Der Vater hat ihnen keinen Penny übriggelassen. Und soweit ich weiß, unterstützt Henry Michael auch heute noch. Aber Sie brauchen nicht zu glauben, daß er dafür ein Wort des Dankes erntet.«
»Dann arbeitet Mr. Lacey also nicht?«
»Wenn man diese Malerei Arbeit nennt...«
»Ist er erfolgreich? Verkauft er viele seiner Bilder?«
»Nein. Und das überrascht mich kein bißchen. Es sind häßliche, grelle, gewaltsame Machwerke. Sie sehen aus, als würde er die Farbe mit einer Schaufel auftragen. Aber er hat immer Leute, die ihm Modell sitzen - ist das zu glauben?«
»Ja«, schaltete sich Dennis ein. »Dieses Lessiter-Mädchen lungert immer dort herum. Aber sie erreicht nichts damit -er will sie nicht, das unappetitliche, plumpe Ding. Michael hat mich einmal gemalt, müssen Sie wissen.« Er warf den Kopf zurück und wandte Troy kokett sein bleiches Gesicht Zu.
»Es war ein gräßliches Bild.«
»Oh, er war zuckersüß zu mir in dem Monat, in dem er mein Porträt gemalt hat«, fuhr Dennis fort, »ich war ganz der liebe Junge. Dann, als er hatte, was er wollte, sagte er mir ins Gesicht, daß ich so schnell wie möglich Leine ziehen soll.«
»Denny! Mr. Barnaby, noch ein wenig kalten Braten?«
»Nein, danke. Lebt diese Nanny, Miss Sharpe, noch hier in der Gegend?«
»Mrs. Sharpe. Nein. Sie zog, sobald die Kinder für sich selbst sorgen konnten, nach Saint Leonards. Sie war froh wegzukommen. Damals waren die beiden etwa siebzehn, glaube ich. Sie hat nicht mal dran gedacht, bei uns hereinzuschauen, um sich zu verabschieden. Ich muß schon sagen, das hat mich ein wenig gekränkt. Die Traces haben mir ihre Adresse gegeben, und ich schrieb ihr ein paarmal, aber sie hat nie geantwortet. Ich schickte ihr noch eine Weihnachtskarte, dann gab ich es auf.« Enttäuschung zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. Es war offensichtlich, daß ihr ein ausgiebiges Abschiedsdrama mit weiteren Enthüllungen lieber gewesen wäre. Als sie zu einer anschaulichen Schilderung einer spektakulären häuslichen Auseinandersetzung im Holly Cottage anhob, vertrat sich Barnaby, der hin und wieder höflich nickte, die Beine und schlenderte zur Verandatür.
Der Rasen im Garten war unkrautfrei und kurz geschnitten. Blühende Bäume und Sträucher und ein hübscher Pavillon auf der anderen Seite. Er fragte sich, womit Mr. Rainbird sein Geld verdient hatte. Es mußte eine ganz schöne Menge gewesen sein, wenn man sich diesen Bungalow ansah und an Dennis’ Beteiligung im Bestattungsunternehmen und an sein silbernes Spielzeug in der Auffahrt dachte. Nicht zu vergessen, der überladene Teewagen.
Er drehte sich wieder um. Allmählich fühlte er sich ausgesprochen unwohl in dieser Umgebung. Obwohl der Tag warm war, hatten die Rainbirds die Heizung aufgedreht. Er betrachtete Dennis, der mit seinen blassen Wimpern klimperte, um Sergeant Troy zu beeindrucken - ob ihm wohl kalt war? Er hatte gewiß keine dicke Isolierschicht auf den Knochen.
Das Zimmer wirkte erdrückend. Es war gestopft voll mit protzigen, geradezu wollüstigen Möbelstücken. In einer Vitrine stand Porzellan, hauptsächlich Capo da Monti, überall saßen Puppen in verschiedenen Landestrachten, und an den Wänden hingen scheußliche Bilder. Barnaby hatte eines direkt im Blick; es zeigte einen Spaniel, dem - Barnaby sah ungläubig genauer hin - Tränen über die Wangen liefen. Der ganze Plunder war das, was seine Tochter als Absurdität des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnen würde.
»Ich danke Ihnen sehr, Mrs. Rainbird«, dämmte er ihren Wortschwall freundlich, aber entschlossen ein.
»Nicht der Rede wert, Mr. Barnaby.« Sie schleuderte ihm ihre blitzende Hand entgegen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sie zu ergreifen. Es war, als würde man einen Teigklumpen anfassen. »Wozu sind wir denn da, wenn nicht dazu, uns gegenseitig zu helfen?«
Während die beiden Polizisten die Auffahrt hinuntergingen, brummte Sergeant Troy: »Männer wie der müßten kastriert werden.« Da Barnaby nicht antwortete, fügte er noch ein einschmeichelndes »Sir« hinzu und fuhr fort: »Und die Mutter - ein widerliches altes Tratschweib.«
»Mrs. Rainbird und Leute wie sie sind ein Gottesgeschenk bei jeder Ermittlungsarbeit, Troy. Man darf nur nicht den Fehler machen, Klatsch als Tatsachen zu werten. Und wenn sie behaupten, daß das, was sie sagen, die absolute Wahrheit ist, darf man nie vergessen, alles noch einmal gründlich nachzuprüfen. Niemals voreilige Schlüsse ziehen, Sergeant, und immer für alles offen sein.«
»Ja, Sir.«
Sie gingen weiter zum Burnham Crescent und dem Mietshaus Nummer sieben, der Wohnung von Mrs. Quine.
Als Barnaby und Troy durch die mit verrotteten Pfosten markierte Lücke in der dürren, staubigen Hecke traten, schlossen Mrs. Rainbird und ihr Sohn die Tür von Tranquillada und sahen sich strahlend vor Erregung an.
»Hast du es?«
»Mummy - ja!«
»Ohhh... wo? Wo?«
»Wart eine Minute. Du hast nicht gesagt...«
»Du bist ein guter Junge. Zeig es mir.«
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