»Das ist in der Tat merkwürdig«, stimmte Barnaby zu. Sie waren vor dem nächsten Haus angelangt, und Barnaby betätigte den Türklopfer, der wie ein Grimassen schneidender Kobold geformt war - er zog ihn an den Beinen und ließ los.
Eine noch ältere Lady erschien und bot ihnen beinahe dasselbe Spiel wie die erste, der einzige Unterschied war, daß sie ihrer Widersacherin als Blutgeld statt einem »Appel und ein Ei« einen »Penny« unterstellte. Dann legte sie ihre fleckigen, federleichten Knochenfinger auf den Ärmel des Chief Inspectors. »Hören Sie, junger Mann«, sagte sie, und plötzlich schien sie ihm die weitaus nettere der beiden alten Damen zu sein, »wenn Sie wissen wollen, was in dieser Gegend vor sich geht - oder wer was tut«, ein erschreckend boshaftes Kichern kam über ihre verwelkten Lippen, »sollten Sie mit Mrs. Rainbird von nebenan reden. Sie kann Ihnen genau sagen, was in Ihrem Taschentuch ist, wenn Sie sich im Stockfinstern hinter verschlossenen Türen schneuzen. Sie verbringt ihre ganze Zeit mit einem Fernglas im Dachgeschoß. Sie behauptet, sie sei Vogelliebhaberin und würde ihre gefiederten Freunde beobachten. Reine Tarnung.« Sie wiederholte die letzte Bemerkung noch einmal und tippte Barnaby dabei ans Revers. »In meiner Jugend stand man noch am Gartenzaun und hat vor den Augen aller geklatscht. Ich weiß nicht, was aus dieser Welt geworden ist - wirklich nicht.« Dann vertraute sie den Polizisten noch an, daß Mrs. Rainbird einen Sohn habe, der mit Särgen handelte und Bestattungen organisierte. »Er ist ein schmieriger kleiner Kriecher. Die Leute sagen über ihn, er würde seine Unterhosen im Kühlschrank aufbewahren ...Sie wissen schon.«
Sergeant Troy gab ein Schnauben von sich, das er rasch in ein Räuspern umwandelte. Barnaby, der bereits Bekanntschaft mit Rainbird gemacht hatte, konnte nur vermuten, daß die Leute recht hatten. Er bedankte sich bei der alten Lady und trat den Rückzug an.
Dem Bungalow hatte man den Namen Tranquillada verpaßt - Barnaby erinnerte das an eine abgeschwächte Version der spanischen Inquisition. Der Name hing am Hals eines Keramikstorchs, der seine Zeit auf einem Bein neben der Eingangstür verbrachte. Der ziemlich große Garten war äußerst gepflegt und voll mit Ziersträuchern und Rosen. Der silberne Porsche stand in der Auffahrt. Sergeant Troy entschied sich für den Klingelknopf und nicht für den Türklopfer, und ein schrilles Vogelzwitschern ertönte im Inneren des Hauses. Dennis Rainbird öffnete ihnen.
»Oh, hallo.« Er schien erfreut, Barnaby wiederzusehen. »Sie haben einen Freund mitgebracht?« Er schenkte Troy ein strahlendes Lächeln, das an der steinernen Miene des Sergeants abprallte wie ein Ping-Pong-Ball von einer Betonwand. »Kommen Sie herein, kommen Sie ... Mutter«, rief er über die Schulter, »es ist die Polizei.«
»Oh, ich habe sie schon erwartet«, flötete es von weit her.
Der Bungalow war größer, als man von außen vermuten konnte, und Dennis führte sie an etlichen offenstehenden Türen vorbei, ehe sie in den Salon kamen. Eine blitzende Küche, ein Schlafzimmer (ganz in Weiß und Gold gehalten) und ein zweites, hauptsächlich mit rotem Velour und viel Messing eingerichtetes Schlafzimmer.
»Ich bin im Salon, Denny«, trällerte die Stimme, wobei jeder Vokal vibrierte. Als sie den Raum betraten, erhob sich Mrs. Rainbird aus den weichen Daunenpolstern wie aus einem Nest.
Sie war unglaublich dick. Ihre Ausmaße waren wahrlich beeindruckend. Mindestens ein Viertel ihrer Größe schien ihre Frisur auszumachen, die steif und pagodenartig nach oben ragte - eine Landschaft von Türmen und Wellen, Spiralen und Locken, die in einer zur Seite geneigten Spitze endete wie ein Häubchen Softeis. Das kunstvolle Gebilde hatte die Farbe von Karamelbonbons. Mrs. Rainbird war in schrillen Farben geschminkt und trug einen violetten, ziemlich kurzen Kaftan, der massive Beine und winzige Füße freiließ. Der Chief Inspector erwiderte ihren direkten, scharfen Willkommensblick und stellte sich vor.
»Ich wußte, daß Sie auf dem Weg zu mir sind. Ich habe einen Wagen vorbeifahren sehen, als ich einige Schwalben auf den Telefondrähten beobachtete. Das ist ein bezaubernder Anblick - wie Notenzeichen auf den Linien.«
»Ah... vielleicht waren Sie die Person, die ich neulich morgens kurz sah, als ich die Church Lane entlangging? In Ihrem Dachgeschoß, wenn ich mich recht erinnere. Ein sehr günstiges Plätzchen, von dem aus man alles im Auge behalten kann.«
»Wir Ornithologen bevorzugen den Begriff Unterschlupfs Mr. Barnaby.« Sie schnappte kurz nach Luft. Barnaby bat sie um Vergebung, und sie wedelte mit der juwelengeschmückten Hand. »Warum nehmen Sie nicht Platz?« Barnaby versank in einem weichen, mit mehreren Schichten Häkelarbeiten verzierten Sessel.
»Und was ist mit Ihnen, mein Lieber?« Dennis tänzelte um Sergeant Troy herum. »Möchten Sie Ihre Beine nicht ein wenig entlasten?«
Troy, als überzeugter Macho, entschied sich für den härtesten Stuhl, setzte sich stocksteif hin und zog seinen Notizblock hervor. Ein durchdringendes Pfeifen zerriß die Luft.
»Denny? Das Wasser kocht.« Während sich ihr Sohn davonmachte, sagte Mrs. Rainbird zu Barnaby: »Sie können ein wenig Speis und Trank gut vertragen.« Sie erstickte seine Proteste mit einem: »Aber, aber. Sie wollen mir doch nicht weismachen, daß Sie nicht vollkommen erschöpft sind, nachdem Sie all diesen Leuten Fragen gestellt haben, oder? Der Tee ist gleich fertig.«
Das stimmte. Wenige Augenblicke später kündigte ein leises Rattern Dennis’ Ankunft mit dem Teewagen an. Der Teewagen bog sich förmlich unter all den Platten und Tellern - winzige Sandwiches, die in die Form von Spielkartensymbolen geschnitten waren, und gehaltvolle Cremetörtchen. Mrs. Rainbird häufte eine Auswahl von allem auf einen Teller für Detective Chief Inspector Barnaby und reichte ihn ihm.
»Nein, Sie dürfen mir das nicht abschlagen, Mr. Barnaby.« (Sie nannte ihn während der ganzen Unterhaltung nur >Mister Barnaby<; vielleicht glaubte sie, daß Polizeibeamte ab einem gewissen Rang wie hochstehende Leute aus der Zunft der Mediziner ohne Titel angesprochen werden mußten.) »Es geht um das leibliche Wohl, verstehen Sie?«
Ihr Sohn schenkte Tee ein. Seine bleichen Finger flatterten über das Geschirr wie Schmetterlingsflügel. Er legte einen Teelöffel, in dessen Griff ein großer violetter Stein eingelassen war, auf eine Untertasse und hielt sie zusammen mit der gefüllten Tasse Barnaby hin. Der Chief Inspector fühlte sich angewidert, aber er nahm den Tee und lehnte sich zurück - er fand den Sessel ausgesprochen unbehaglich.
Dennis legte ein Anchovis-Kreuz, ein Lachs-Karo, ein Braten-Pik und ein Pasteten-Herz auf einen Teller, gab eine Meringue mit einer haselnußfarbenen, wurmartigen Füllung dazu und richtete dieses Arrangement und eine Teetasse auf einem Beistelltisch für Troy an. Dann tänzelte er zurück zu seiner Mutter, strahlte sie an, schüttelte ein paar Kissen auf und ließ sich zu ihren Füßen auf einem niedrigen Sitzpolster nieder.
Endlich ergriff Barnaby das Wort. »Wir stellen Nachforschungen wegen eines ungeklärten Todesfalles an...«
»Arme Miss Simpson«, unterbrach ihn Mrs. Rainbird. »Ich gebe immer den Eltern die Schuld.«
»... und wären dankbar, wenn Sie und Ihr Sohn uns sagen würden, wo Sie sich am vergangenen Freitag nachmittag und abend aufgehalten und was Sie getan haben.«
»Ich habe mich um die Blumenarrangements und die Pflanzen in der Gemeindehalle gekümmert. Sie haben doch sicher von dem Reiterwettbewerb gehört, oder?« Barnaby gab ihr zu verstehen, daß er Bescheid wußte. »Ich ging ungefähr um halb fünf - zusammen mit Miss Cadell von Tye House. Wie immer war ich eine der letzten. Ich fürchte, ich gehöre zu den schrecklichen Menschen, die immer alles selbst in die Hand nehmen müssen.« Ein bißchen selbstgefälliger Stolz. Sie hatte einen Mund wie ein Goldfisch - selbst in Ruhe war er ein wenig vorgeschoben und sah aus wie eine Schnute. »>Delegieren, Iris, delegieren< das sage ich mir immer und immer wieder, aber meinen Sie, das würde mir auch nur ein einziges Mal gelingen? ... Wo war ich stehengeblieben?«
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