Perutz, Leo - Nachts unter der steinernen Bruecke

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Nachts unter der steinernen Bruecke: краткое содержание, описание и аннотация

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»Gepriesen sei der Schöpfer der Welt, er allein tut Wunder«, flüsterte Jäckele-Narr. »Ich sehe Blümele, das Täubchen, die Unschuld, und die beiden Kinder meines Nachbars, die vor sieben Tagen gestorben sind, seh' ich auch.«

Und nun, da sie erkannten, daß es die andere Welt war, die sich ihren Augen offenbarte, kam das Entsetzen über sie, und sie wandten sich und liefen, sie sprangen über die Steine und stießen an die Äste, sie fielen nieder und rafften sich auf, sie liefen um ihr Leben und blieben nicht stehen, eh' sie nicht wieder draußen auf der Gasse waren

Dort erst blickte sich Jäckele-Narr nach seinem Gefährten um. »Koppel-Bär«, fragte er und die Zähne schlugen ihm aneinander, »lebst du noch und bist du da?«

»Ich lebe und lobpreise meinen Schöpfer«, kam KoppelBärs Stimme aus der Dunkelheit. »Wahrlich, die Hand des Todes ist über mir gewesen.«

Und daran, daß sie beide am Leben geblieben waren, erkannten sie den Willen Gottes, daß sie Zeugnis ablegen sollten von dem, was sie gesehen hatten.

Eine Weile noch standen sie flüsternd im Dunkeln, und dann gingen sie und suchten den verborgenen König in seinem Haus, den hohen Rabbi, der kundig war der Sprache der Toten, der die Stimmen der Tiefe hörte und die furchtbaren Zeichen Gottes zu deuten vermochte.

Er saß in seiner Kammer über das Buch der Geheimnisse gebeugt, das genannt wird Indraraba oder die große Versammlung. Verloren in die Unermeßlichkeit der Zahlen, der Zeichen und der wirkenden Mächte, hörte er die Schritte der Eintretenden nicht, und erst als sie ihn grüßten: »Friede dem heiligen Licht!«, kehrte seine Seele aus der Geisterferne zurück in die irdische Welt.

Und nun, da die Augen des hohen Rabbi auf sie gerichtet waren, begannen die beiden zu sprechen, sie riefen Gott an und priesen seine Macht, und Jäckele-Narr berichtete, atemlos und mit fliegenden Worten, wie ihn das Lispeln und Flüstern, das Flimmern und Leuchten zwischen den Holunderbäumen des Friedhofs erschreckt hatte, was er zu Koppel-Bär gesagt und welche Antwort er bekommen hatte, und daß sie dann, als der Mond sich verbarg, der Gestalten der toten Kinder gewahr geworden waren, die im Geisterreigen über den Gräbern schwebten.

Der hohe Babbi, der in den dunkeln Nächten die zweiunddreißig verborgenen Wege der Weisheit gegangen war und in magischer Verwandlung die sieben Tore des Erkennens durchschritten hatte, — der hohe Babbi verstand das Zeichen Gottes. Er wußte nun, daß in den Gassen der Judenstadt ein Sünder lebte, der in seiner Verborgenheit immer wieder von neuem frevelte, Tag um Tag. Und um dieses Sünders willen war das große Sterben über die Stadt gekommen, und um dieses Sünders willen fanden die Seelen der Kinder keinen Frieden in ihrem Grab.

Schweigend blickte der hohe Rabbi vor sich hin. Dann erhob er sich und verließ die Kammer, und als er wiederkam, hatte er in der Rechten eine Schüssel mit Grütze und zwei Fladen und in der Linken eine kleine Schale aus getriebenem Silber, in der war gewürztes Apfelmus, die süße Speise des Osterfestes.

»Greift zu und eßt«, sagte er und wies auf die Grütze und die Fladen. »Und wenn ihr euch gesättigt habt, so nehmt diese Schale mit süßer Speise und geht zurück zu den Gräbern der Kinder.«

Sie erschraken, als sie hörten, daß sie ein zweites Mal auf den Friedhof sollten. Doch der hohe Rabbi fuhr fort:

»Fürchtet euch nicht. Der, durch dessen Wort die Welt entstanden ist, hat die Macht über die Lebenden und die Toten, und sein Ratschluß allein besteht. Ihr werdet bei den Gräbern sitzen und warten, bis eines von den Kindern sich euch nähert und von der süßen Speise zu kosten begehrt, denn die Geister der Verstorbenen haben die irdische Nahrung noch nicht vergessen. Ihr aber erfaßt mit beiden Händen den Saum seines Kleides und fragt im Namen dessen, der der Ursprung ist und das Ende, um welcher Sünden willen das große Sterben über diese Stadt gekommen ist.«

Und er sprach über sie die Worte des Priestersegens. Da wich die Angst von ihnen, und sie erhoben sich und gingen, entschlossen, dem Gebot des hohen Rabbi zu gehorchen.

Sie saßen zwischen den Gräbern, an die Friedhofsmauer gelehnt, und vor ihnen stand auf der feuchten Erde die Schale mit dem gewürzten Apfelmus. Rings um sie her war Stille und tiefe Dunkelheit, kein Grashalm regte sich, kein Lichtschein kam vom wolkenbedeckten Himmel. Und während sie saßen und warteten, kam wiederum die Angst über sie, und Koppel-Bär begann mit sich selbst zu reden, denn er konnte die Stille nicht länger ertragen.

»Ich wollt', ich hätt' ein Groschenlicht«, sagte er. »Ich mag nicht hier im Dunkeln sitzen. Es sollt' heut Vollmond sein, aber ich seh' ihn nicht, da hat sicherlich ein Hahn gekräht, und der Mond ist davon. Jetzt wär' es besser, zu sitzen daheim hinter dem Ofen. Aus der Erd' kommt ein Frost, der kriecht in meinen Rock, der Frost, der ist mein Feind. Jäckele-Narr, friert dich auch, ich mein', du zitterst. Hier unter der Erd' sind viele hundert Stuben, alle wohlgebaut, die haben kein Fenster und keine Tür. Der Frost kann nicht hinein und der Hunger auch nicht, müssen beide draußen bleiben, sollen einander die Zeit vertreiben. Jung und alt, arm und reich, unter der Erd' sind alle gleich...«

Er verstummte, das letzte Wort blieb ihm in der Kehle stecken, denn vor ihnen stand, von weißem Licht umflossen, des Flickschusters Kind, Blümchen, und hielt die silberne Schale in den Händen.

»Blümchen!« sagte Jäckele-Narr mit gepreßter Stimme. »Ach, daß du gehen mußtest! Erkennst du mich? Ich bin Jäckele-Narr, und neben mir sitzt Koppel-Bär. Denkst du daran, wie du hüpftest und tanztest, wenn ich in den Gassen auf meiner Geige spielte? Und wie du lachtest, wenn Koppel-Bär auf allen vieren lief und seine Späße trieb?«

»Das alles«, sagte das Kind mit einer fremden Stimme, »das alles ist vorüber und war nur für die Zeit. Jetzt aber bin ich in der Wahrheit und in der Ewigkeit, die hat nicht Maß noch Ziel.«

Die silberne Schale glitt zur Erde nieder, und das Kind wandte sich und wollte zurück zu seinen Gefährten. Da entsann sich Jäckele-Narr des Auftrags, der ihn hierhergeführt hatte. Er hielt das Kind am Saum seines Hemdchens fest und ließ nicht los und rief:

»Im Namen dessen, der der Ursprung ist und das Ende, beschwöre ich dich: Sag und bekenne, um welcher Sünde willen das große Sterben über diese Stadt gekommen ist.«

Eine Weile hindurch war Stille, das Kind regte sich nicht und blickte in die Dunkelheit, dorthin, wo über den Gräbern, unsichtbar dem Aug' der Lebendigen, der Engel Gottes stand, der Hüter der Seelen. Dann sagte es:

»Der Engel Gottes hat gesprochen, der Diener des Herrn hat gesagt: >Es ist geschehen um der Sünde Moabs willen, die eine unter euch begangen hat. Und Er, der Ewige, hat es gesehen, und Er, der Ewige, wird euch vertilgen, wie Er vertilgt hat Moab<.«

Da ließ Jäckele-Narr den Saum des Hemdchens los. Und das Kind entschwebte, als wäre es vom Wind dahingetrieben, und sein Glanz und sein Leuchten verlor sich hinter den dunkeln Schatten der Holunderbäume.

Die beiden aber, Jäckele-Narr und Koppel-Bär, verließen den Friedhof und gingen in das Haus des hohen Rabbi und hinterbrachten ihm die Worte, die sie vernommen hatten.

Als der Morgen graute, schickte der hohe Rabbi seine Boten von Tür zu Tür. Er rief die Gemeinde in das Haus Gottes, und sie kamen in Scharen, Männer und Frauen, und niemand blieb zurück. Und als sie alle versammelt waren, stieg er die drei steinernen Stufen empor, und unter seinem Mantel trug er die weißen Sterbekleider, und über seinem Haupte rauschte die Fahne, auf der geschrieben stand:

»Der Herr Zebaoth erfüllt mit seiner Herrlichkeit die ganze Welt.«

Da nun ringsum alles still geworden war, begann der hohe Rabbi zu sprechen. Er sagte, daß unter ihnen eine sei, die dahinlebe in der Sünde des Ehebruchs, den Kindern des verfluchten Stammes gleich, den Gott vertilgt hat. Und er rief die Sünderin an, daß sie vortrete und bekenne und die Strafe auf sich nehme, die Gott, der Her, über sie verhängen wollt'.

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