zerreißen
die Wohnung in dem vornehmen Neubauviertel die du mit deiner Familie bezogen hast die vor zwei Jahren neu eröffnete Praxis der Club in dessen Swimmingpool Jasmin mit einem Gummitier herumplanschte während du mit Kollegen einen Drink nahmst während im Hintergrund die Grillkohlen rauchten und noch weiter dahinter die Kräne Betonträger in die hohe Zukunft balancierten
der PRÄSIDENT
schwamm in Öl (das seine Partei mit Beifall des ganzen Landes endlich den Engländern wieder abgenommen hatte) verschenkte Kühlschränke und Fernsehgeräte leitete Strom schickte Traktoren in entlegene Dörfer wie ein Gott wanderte Arm in Arm mit den Kommunisten für das sozialistische Arabien bis zur nächste Ecke
um die er sie gleich darauf brachte
die Schleier färbten sich an den Rändern mit Blut senke den Kopf lies die Zeitungen des Vaterlandes die Wiedergeburt des sumerischen Großreichs unter dem wahren König Saddam
Flughäfen Schulen Einkaufszentren Krankenhäuser schießen aus dem Boden es gibt schon neue Universitäten es gibt höhere Gehälter für Soldaten Polizisten Ärzte Folterknechte
die beste Zeit
ist der Glanz der Entwicklung des mit Gold und Öl und dem Blut seiner Oppositionellen überspülten Irak
es gibt
Krieg den keiner will den zunächst
kaum jemand
ernst nimmt denn Bagdad baut als wäre es ein Architekturwettbewerb als würden die Mullahs in Teheran nur mit Gegenbaustellen reagieren und gewinnen wollen mit dem besten Hochhaus und dem protzigsten internationalen Luxushotel
es ist Krieg
weil der PRÄSIDENT glaubt die revolutionären schwarzen Vögel auf den geschleiften Palästen des Schahs seien schwach die Gelegenheit also günstig einige alte Rechnungen zu begleichen und die Wunden und Schrecken zu rächen die der große persische Pfau (ausgestopft bis zum Hals mit den prachtvollen Waffen Amerikas) uns zufügen und zumuten konnte insbesondere jenen Griff nach dem Hafenfluss Sindbads Schatt al-Arab unserem einzigen Zugang zum Meer
die Mullahs sollten zudem gründlich erschreckt und gedemütigt werden damit sie uns Revolutionären keine Rückwärtsrevolution schenkten und nicht das Feuer anzündeten unter unseren Schiiten
in drei Wochen schon
erklärte der PRÄSIDENT
stünden wir in Teheran
zwei Monate später verband ich auf der Ladefläche eines Militärlastwagens die ersten (noch bloß von Unfällen während des Aufmarschs herrührenden) Wunden und träumte am Tag fassungslos zwischen den Soldaten dass ich mit ihnen in den Krieg fuhr Sindbads Stadt entgegen kein Vogel Rukh der seine Jungen mit Elefanten füttert riss uns empor und heraus (schon jetzt waren wir zu mager und kläglich) aus
dem Spiel Leben und Vernichtet-Werden gemeinsam mit diesen noch atmenden noch lachenden rauchenden jungen Männern auf der hart erschütterten Ladefläche auf die man niedrige Bänke geschraubt hatte (der ein oder andere von ihnen kehrte als Toter mit dem Taxi zurück so luxuriös auf Befehl des PRÄSIDENTEN dem der Fuhrpark ausging) ich wollte das alles
von Paris aus sehen auf einem Nachrichtenbildschirm an der Gare de Lyon oder vor einem mit Ramsch verstopften Elektrogeschäft im 20. Arrondissement oder
vom Oberarztzimmer einer vornehmlich für die Parteikader errichteten blitzmodernen Bagdader Klinik aus in das ich vielleicht gelangt wäre
hätte mir nicht Alis Freund Khalid ein PARTEI-Mann und hervorragender Chirurg und Noch-immer-Philanthrop erklärt dass sich mein Desinteresse an der PARTEI schlingenartig um meinen Hals zu legen begänne so dass ich plötzlich meine wahre Begabung meine Berufung und mein Bedürfnis nach praktischer unmittelbarer Tätigkeit erkannte und
unverzüglich
die Klinik verließ um in eine Arztpraxis einzusteigen wobei mich Prof. Dr. Khalid Yussef freundlichst unterstützte und mich damit wohl vor einer Gefängniszelle bewahrte nicht aber vor der dreimaligen Frontverwendung als Arzt im längsten und zähesten Krieg des Jahrhunderts
sieh noch einmal
Basra
in der Götterdämmerung seines Rufs als Venedig des Arabischen Golfs
und sieh
wie
(die Bände einer klassischen Ausgabe neben Abu Nuwas und Rumi neben al-Mutanabbi und Abu Alla al-Maari in der Bibliothek meines Großvaters)
Hafis
(Farida erzählte dass sie als Kind Tee Datteln und Brot zu den Persern brachte die in Zelten vor der Stadt nächtigten auf ihrem langen Weg nach Nadschaf und Kerbela mit ihren Kindern und ihren Toten)
stirbt
mit einem Stirnband um den Kopf die leuchtend bestickte Eintrittskarte ins Paradies
Mahdi gib mir Kraft — Für Dich Hussein — Jeder Tag ist Kerbela
sie tranken den Wein des Todes wie Süchtige in den Minenfeldern
junge Männer Schüler Lehrlinge
Kinder mit Spielzeug näherten sich winkend und warfen lachend
Handgranaten
bis man auch auf sie schoss Großväter und ihre Enkel als hätten sich die Tore einer schrecklichen Fabrik einer düsteren Schule eines riesigen Gefängnisses geöffnet so dass sie sich jubelschreiend in die Stacheldrahtwälle warfen und sich türmten Menschen-
Wellen
denn der PRÄSIDENT
hat nicht bedacht dass die Revolutionen ihre Kinder anzünden und hineinschicken können in eine Angriffswelle aus Feuer und Blut
solange
ihre Zeit währt die Verbrennung der Gegenwart für die blendende Illusion einer besseren Zukunft
aber die Mullahs wissen es und sie haben erkannt dass ihnen nichts mehr nützt als das Rollen der Blutwalze
Märtyrer auf Märtyrer
vor unseren Schützengräben die wie Visierschlitze in die lehmgelbe Einöde gezogen waren durch welche die Erde Blut und Eingeweide trank ich assistierte den Feldchirurgen ich musste selbst schneiden flicken Drainagen legen im Schein von Öllampen ich sah mit zitternden Knien und mir selbst unbegreiflich ruhigen Händen das blasse immer nur scheinbar schläfrige Krötengesicht von Marcel Cassin vor mir als hätte er einen Video-Übertragungskanal vom Engel Gabriel erhalten direkt aus einem OP der Pitié Salpêtrière in mein Gehirn Chirurgisches Praktikum I, II, III (Tarik! Eine Aorta ist kein Wasserpfeifenschlauch! Aber wenigstens führt der Mann die Nadel wie Generationen von Teppichknüpfern vor ihm und steht still wie ein Dromedar und da hat er recht Messieurs denn Ruhe ist alles und eine Naht ist nichts weniger als eine Visitenkarte!) so steuerte er mich noch ich musste (in den Nächten zwischen schreienden jammernden Soldaten) an den Junggesellenspeisesaal einer weiteren ehrwürdigen Klinik zurückdenken in dem ich Cassin zuletzt gesehen hatte einmal vor mir am Tisch und einmal als Satyr der sich über eine maskierte Schwarze hermachte inmitten weiterer als Orgienteilnehmer verewigter Chef- und Oberärzte gemalt von hierzu aufgerufenen Studenten es gab da eine Tradition der obszönen
Bilder
der AYATOLLAH winkt grandios (seht den Ring an seinem kleinen Finger)
der PRÄSIDENT mit Beduinenkopftuch und einem Kind auf dem Arm
noch in den Lazaretten starrt er auf die ihm zujubelnden Wunden eines Tages klebte er auf dem Deckel eines Mülleimers im OP und öffnete das Maul für durchgeblutete Pflaster und Verbände (einen kleinen Finger eine halbe rechte Hand)
schweige arbeite schweige wie die Soldaten die äußerlich nichts davongetragen hatten die im Schützengraben lehnten wie gefroren die es nicht mehr ausgehalten hatten Leichenberge vor sich aufzuhäufen und verrückt wurden
ohne einen Laut
bei einem der Toten (feindlichen Toten: als würden wir uns im Paradies noch abschlachten für den Triumph im nächsten Paradies) einem dreißigjährigen Mann aus Schiraz vielleicht (oder einer der anderen Städte die wir mit französischen Jagdbombern attackierten während ich mit den vertrauten Spritzen Kanülen Binden Kompressen Medikamenten von Aventis / Rhône-Poulenc / Sanofi das Leben der Instrumente des Todes zu erhalten versuchte junge Männer die auf Befehl alter Männer junge Männer ermordeten wie jener fast spurlos erschossene Perser) rutschte ein Gedichtband aus der Brusttasche der Uniform
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