(in dem ich
von oben her
erscheine
in seltsam gewundenen kurzen Tintenflüssen) öfter schreibe ich auch am PC die weiße Fläche der gestanzte Druck das Schnurren der Festplatte während ich Worte suche ein Schutzpolster mit dem du die Leere betrittst ich bin also
eine Dichterin am Meer (ach was: die störrische Prinzessin die Verse sucht)
oder die scheue Tochter
die durchaus einen keuchenden Jungen in ihrer Hand zucken lassen kann
von der Jones Library kommend in der ich so viele Kindernachmittage verbracht habe mit einem wissenschaftlichen Folianten als Brustwehr ging ich nach meiner Rückkehr zu Martin zwei Jahre lang so siegesgewiss durch Amherst als sei es schon eine Art
Paradies
der Ort eines ständigen verheißungsvollen Aufbruchs nämlich an dem man
immer bleiben könnte immer steckenbleiben immer mit einem Lehrbuch im Arm durch die Amity Street zur Ecke Main Street — North Pleasant Street schlendern möchte durch die vor den Copyshops Pizzerien Buchläden beisammenstehenden Jungs von der UMass vom Hampshire- oder Amherst-College hindurch sie zerteilen wie ein Seepferdchen eine nervöse Koralle (ich fasse dich nicht noch mal an Robert vergiss es)
ein Jahr mit festem Freund
das letzte (mein achtzehntes) ohne David war noch besser weil ich blieb um zu gehen und mich spannen konnte wie eine Feder
oder Nonne (Jeanne d’Arc) dreizehn Monate lange küsste ich niemanden
jedenfalls bin ich im Bewusstsein des baldigen Aufbruchs viel energischer und leichter geworden (wie Martin als er wieder zu joggen begann) heller im Inneren wenn es so etwas gibt aber man sieht doch die Ausstrahlung auch bei anderen ich war frei weil ich demnächst zum Studium nach Boston ziehen würde ich wollte keinen Freund mehr der hier irgendwo mit einem Zimmergenossen in einem Wohnheim hauste (und dann reuelos und zum Ohrfeigen kalt mit einem größeren Stipendium nach Texas in die Nähe seiner Eltern zog) ich wollte nicht mehr
die Professorentochter sein auf die man in den umliegenden Colleges schon wartete all die Lehrer die mich auf den Cocktailpartys auf den Schoß gezogen hatten und Deutsch sprechen ließen wie eine Puppe mit eingebautem Sprach-Wunderwerk
auch an Emily wollte ich nicht mehr denken ich war in meinem letzten Amherst-Jahr nicht mehr im Homestead- oder Evergreens-Haus und nur noch ein einziges Mal an ihrem Grab die Idee die ich früher liebte
im Verborgenen zu arbeiten
1700 nie veröffentlichte Gedichte als Brief an die Welt nach deinem Tod zu schreiben und in einem Haus in West-Massachusetts zu leben als stünde es auf einem grasgrünen kleinen Meteor im
Weltall
der Zeit man spürt
ich spüre
nicht genug wenn ich mich nicht bewege nicht reise nicht gegen die Dinge stoße und so gesehen war es einmal (wird es einmal) von Vorteil für mich (gewesen sein) dass sie mir die Wurzeln herausgerissen haben als wir von Paris zurückkehrten begann ich zu bluten auf Long Island in New York City in den
Gärten meiner Mutter
gibt es keine Erde für mich aber es (das Blut) war ja auch ein Zeichen für das Älter-Werden das Frau-Werden ich fand das
ruhelose Gedicht
des Hafis
schwarzes Wasser ewig ziehende Kamele schrillende Morgenglocken Pilger ohne Ziel
den ich eigentlich nur las um meinen Vater zu beeindrucken und weil mir die arabische Schrift der zweisprachigen Ausgabe so geheimnisvoll erschien es waren zu viel Weinkelche zu viele Schenken zu viele Räusche darin
der Rausch der Verzweiflung
ist womöglich eine große Musik aber nicht für Siebzehnjährige die begreifen
dass es ihnen nicht schlechtgeht ich wollte nicht mehr in Amherst bleiben und Emily Dickinson werden mir war klar dass ich die arabische Prinzessin verlassen musste
den Karton mit meinen Gedichten beklebte ich mit zwei Postkarten passend orientalisch (eine Sängerin und ein Wein trinkender älterer Mann im Burnus) und ließ ihn in Amherst zurück
in diesem Zimmer hier auf Long Island
dem Rausch-Ort meiner Verzweiflungen in meinem dreizehnten und vierzehnten Jahr
bin ich ohnehin nur noch zu Gast gewesen der Rucksack ist nur halb so schwer wie damals für die Europa-Reise im Wohnzimmer mit der großen Fensterfront zum Meer und den Dünen hin saß ich manchmal und hörte Musik und einmal schreckte ich auf und spürte ein schier blendendes Glück weil ich eine halbe Stunde neben meiner Mutter Amanda gesessen hatte wie aus Versehen vollkommen ruhig und frei
Eric wird ganz sicher
pünktlich sein
Hedschra
Verlass dein Haus, zerreiß dein Buch. Und geh!
Zerstöre, was dich kennt und liebt. Und geh!
Dein Herz ist ausgebrochen. Verbrenne es und geh!
Dein Gott verlor den Namen. So töte ihn und geh!
An der weiß gekalkten narbigen Wand des alten Kinos verblasst seit Jahren
der PRÄSIDENT
dicht neben unserer Schule ist sein Schnurrbart zerfasert und das linke Auge scheint allmählich von einer Krankheit aufgezehrt zu werden
aber wenn SEIN Name fällt (wie ein Schwert)
klatschen wir
wir singen es jeden Morgen aufgereiht in unseren blauen Kleidern und weißen Blusen er ist unser Vater der Schrecken den wir anbeten müssen dessen Name man nur singt nicht spricht nicht in den Mund nimmt wenn Nachbarn wenn Freunde wenn Jasmin und ihr Mann zu Besuch sind sagen wir nichts über den
PRÄSIDENTEN
ich verliere die Schwester die Sprache
fehlt mir ich würde mich wahnsinnig
schweigen hätte ich nicht Huda und Eren hinter den ockerfarbenen Mauern der Schule deren Eingang so nah an jenem Wandbild (eines von Millionen) liegt jeden Abend wünscht ER uns im Fernsehen
GUTE NACHT
als Drohung damit wir bloß nicht aufwachen in seinem Land sagt Tarik schau dir das Pferd an auf dem er sitzt sie haben es chloroformiert damit es ihn erträgt der PRÄSIDENT reitet winkend davon in die untergehende Sonne nach Westen also sagt Tarik denn heute Abend will er mit seiner Frau in London einkaufen gehen seit ich sechzehn bin redet er so mit mir und macht mir Angst damit und erfüllt mich mit Stolz zweimal im Jahr kommt Onkel Munir der die Elektrogeschäfte von Großvater weiterführt und befühlt jede Wand und jeden Schrank mit geheimnisvollen Geräten er sucht Ohren wir können das sagt Tarik eine Familie mit Spürsinn und so kann er weiter frei reden und mich stolz und traurig machen mich bestürzen und quälen mit seinen Witzen und seiner Verzweiflung bis Farida ihn beschimpft (wegen Sami sie spürt dass er mehr als ich die Stärke und die Gelassenheit seines Vaters braucht)
das verstaubte Mosaik im Innenhof der Schule zeigte die Themse und Big Ben
gegenüber hängt das glänzende doppelt so große Mosaik auf dem Saddam als Fedajin mit rot gemustertem Kopftuch und Prachtgewand Saladins Säbel schwingt gegen die angstverzerrten Gesichter von George Bush und Margaret Thatcher denn das hier ist das alte englische Mädchengymnasium auch wenn es in den vergangenen fünfzehn Jahren drei andere Namen erhielt und drei neue Direktoren und es nur noch zwei Stunden Englisch in der Woche gibt selbst für die oberen Klassen man soll das nur Nötigste
über den FEIND
verstehen
für das Mosaik zahlten die Eltern deren Kinder auf der Schule bleiben wollten freiwillig zwei Millionen Dinar
ich atme
leichter wenn ich Huda und Eren sehe die Bänke in unseren langsam dahinsiechenden Schulräumen sind so alt dass Huda den eingeritzten Namen ihrer Mutter finden konnte die Tafeln haben Sprünge seit vor zehn Jahren eine amerikanische Bombe neben dem Kino einschlug eine Bäckerei zerstörte acht Kunden tötete weil sie Brot gegen Amerika kauften
wenn Jasmin behauptet der Irak müsse sich wehren dann frage ich mich ob das heißt prahlerische Mosaike gegen Bomben an die Wand zu mörteln oder im Haus deiner Familie jederzeit von der Armee aufs Bett geworfen werden zu können ich werde mit Eren darüber sprechen als Einzigster nur sie kann schweigen wie ich ihr langer weißer Hals mit dem kleinen Muttermal am Schlüsselbeinansatz dreht sich im offenen Kragen ihrer Bluse verletzlich und frei Huda aber wird wohl sagen
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