Die schöne Bianca sitzt im Turm gefangen und soll im Auftrag des Königs Stroh zu Gold spinnen, eine Aufgabe, die sie ohne meine Hilfe nicht bewältigen kann. Ich trete vor Bianca hin, der Gnom, welcher Stroh in Gold zu verwandeln weiß. Die Bianca spielt entzückt und drückt mir ihren Handrücken an die Stirn, dass ich mich in sie verliebe, mein Spiel fast vergesse. Das Spinnrad leuchtet und flackert, von einem Dynamo angetrieben, der unterhalb der Essensklappe hinter einem Strohballen versteckt ist: Spinne, spinne leuchtend froh. Mach zu Gold den Ballen Stroh. Hid bach i, moorn bröu i, iibermoorn hool i in der Cheenigi i ire Chind; Aa, wie gued, as niemes wais, as i Rumbelschdiilzli hais. Der Hausmeister sitzt am Bühnenrand und achtet stolz auf seine Technik. Seine Augen spiegeln die von ihm erräftelten Leuchteffekte wider. Ich springe mit Hingabe um das Lagerfeuer, klatsche in die Hände, freue mich am Gold, das ich schaffe, und bin so diebisch drauf erpicht, niemandem meinen Namen zu sagen, bis ihn mir die Bianca am Ende des Spiels mit spitzer Stimme vor den Latz haut und ich, der Angemeierte, vor Wut und Scham im Boden verschwinde. Wie mein Abgang vonstattenging, mitten durch und in der Luft auseinandergerissen, dass es dem Publikum ein Schockerlebnis ist, weiß ich nicht mehr zu sagen, ich sehe mich und meine Bianca an die Hand genommen uns vor den Leuten verbeugen.
Im Museum liegt auf einem Stehpult ein großes Gästebuch aus. Ich schreibe mich gern in Gästebücher ein: Sagen Sie mir bitte Ihren Lieblingssatz, fordere ich die Museumsdame auf, die von meinem Ansinnen baff erstaunt ist, es ungewöhnlich findet, noch nie von einem Besucher aufgefordert worden ist, etwas Persönliches von sich zu geben, eher doch wohl angestellt ist, um achtzugeben auf die Leute, dass die Kinder nicht nach den Museumsstücken greifen. Sie ziert sich eine Weile und lässt sich überreden, ihr falle dieses Lebensmotto ein, sagt sie schließlich: Die unglaublichsten Dinge im Leben sind die wirklich wahren.
Ich schreibe den Satz so nieder, setze meinen Namen darunter, füge das Datum des Tages an und den Begriff Mutter-Findung und bin für die Dauer meines Besuches im Museum auf mich allein gestellt. Ich bewege mich unter Puppen, Spielzeug. Mir kommen Kinderzeiten in Erinnerung. Die Museumsdame spricht mich erst wieder vor dem Verlassen der Ausstellungsräume in ausgewählter Höflichkeit an. Wenn sie was fragen dürfe, dann, was sie zum Begriff Mutter-Findung zu denken habe. Unter den wachen Augen einer Großfigur mit Museumsbezeichnung Marianaua; brasilianisch, Bernadinergesicht, Augenbrauenwulst, himmelblaue Glitzeraugen, Schmollmund, Glatze und Streifenhaar (schwarz), unterrichte ich die Museumsdame über mein Unterfangen, erzähle ihr, wie ich an die Adresse gekommen bin, rede von der Seezunge beim Minister und welche Gedanken mir dauernd im Kopf herumschwirren, bis ihr der Kopf schwirrt, wie sie sagt, sie kann und will nicht fassen, was es für Menschen in der Welt gibt. Fünf verschiedene Polizistenhandpuppen aus fünf verschiedenen Epochen liegen still unter Glas, als hörten sie genauso verwundert zu, als wären König und Hexe, Großmama, Koch und Jäger gleichfalls betroffen.
Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild: Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht sein Stündchen auf der Bühne und dann nicht mehr vernommen wird. Ein Märchen ists, erzählt von einem Dummkopf, voller Klang und Wut, das nichts bedeutet. Macbeth, Shakespeare WIE, BITTE SCHÖN, ist der werte Name Ihrer Frau Mutter. Ich nenne ihn ihr. Sie erschrickt und redet tonlos, ohne Punkt und Pause zu setzen: Da ist mal eine Frau gewesen eine kleine unscheinbare zierliche Person war das mit mehreren Kindern vier denke ich nach so vielen Jahren weiß ich dass sie wie soll ich sagen verwirrt schien ja so in etwa will ich meinen wenn Sie verstehen ich habe da so eine Ahnung ich meine die könnte den Namen getragen haben den Sie mir eben genannt haben ist eher ein recht seltener Name in dieser Gegend denken Sie ein paar Monate nicht länger hat sie über uns gewohnt in einer engen Wohnstatt für heutige Verhältnisse immerhin ein Dach übern Kopf wo immer die hergekommen ist mehr eingeliefert worden glaube ich verdonnert dort zu wohnen könnt ich mir denken war eh mit ihr ein ziemliches Durcheinander wenn ich mich klar genug ausdrücke ist ja auch Takt erforderlich weil es handelt sich ja um Ihre Mutter und Geschwisterchen möglicherweise zudem worüber ich Ihnen berichte so Sachen dass die Frau eines Morgens dann spurlos verschwunden war bei Nacht und Nebel wie man sagt weitergezogen eher ausgebüxt und abgehauen ohne die Kinder wie ich sicher weiß denn das war ja dann auch der Anlass zu aller Aufregung zu dieser Person die ihre Kinder alleine hausen lässt und aber auch firm darin schien sie zu lassen und sich nicht zu jucken dran möchte ich anmerken alles eingeübt und angewiesen dass die älteste von allen den weniger älteren sofort die Ersatzmama wird verstehen Sie mich bitte richtig bei denen sah es aus als gehörte es fest zu deren Leben wissen Sie Kinder streckenweise ohne Mutter sein zu lassen und sich damit abfinden zurechtzufinden weil die zuvor immer mal wieder abgehauen ist wenn ihr die Sache zu viel wurde alles über den Kopf wuchs sogar über die Grenze denken Sie an wie Sie sagen ist sie von Ost nach West getürmt und hat die Kinder damals schon zurückgelassen was schrecklich ist bewahre Gott einen davor und fragen Sie mich nicht was aus der geworden ist das alles ist gute dreißig Jahre her ich kann mich täuschen völlig falschliegen weiß ja nicht einmal wie die Angelegenheit behandelt wurde und sich ergeben hat man steckt doch nicht drin und ist im nächsten Tagesgeschäft begriffen bevor man eine Sache weiterverfolgt vermute eher man wird sie aufgespürt ihr die Kinder hinterhergebracht haben wo sie doch die Mutter gewesen ist bei allem als Mutter zu behandeln war ja nun viel hatte die nicht dabei die Frau wenn ich es recht überlege zwei Koffer bei all den Kindern habe ich mich verwundert die um sie waren und rasch die enge Treppe herunter befördert weg ist sie die Frau ach ja einen Hund weiß ich der anschlug ein bissiges Vieh das die Kinder vor dem Amt beschützt und den Rettungsmännern schön zugesetzt hat weil die Frau sie nicht in die Wohnung gelassen hat meine ich wir waren beschäftigt sind uns einfach nicht aufgefallen die Kleinen obwohl man so beieinander wohnt und im Alltag keinem begegnet wo doch grad Hunde Auslauf haben müssen bewegt werden wollen wie von mir und meinem Mann die wir wahrlich per Rad in der Umgebung von Eberbach am Neckar entlang dem Ufer unterwegs sind sonst wäre uns der Hund eingegangen wenn da ein Hund ausgeführt worden wäre bei denen das hätten wir bemerken müssen bis kurz bevor es dann bei uns zu einem Unfall gekommen ist der Mann körperlich so intakt dann lange Zeit außer Gefecht gesetzt war wir also eine Weile nicht mit dem Rad aus waren weil ihm dann das nicht mehr so möglich gewesen ist dass es komisch war und ungewohnt ohne ihn und ich eben mit dem Fahrrad raus bin allein sehen Sie und komme ins Reden Sie werden entschuldigen die Erinnerungen es brennt mir in der Seele ich musste es Ihnen mitteilen dass es ein Hinweis ist für Sie ein kleiner Fingerwink der Ihnen hilft.
Steht nach diesem für sie ungewohnten und so ausführlichen Bericht sichtlich verwirrt und peinlich berührt vom eigenen spontanen Redefluss vor mir, sagt, dass sie mich herzlich drücken muss und in die Arme schließen. Es kommt zur emotionalen Übereinstimmung zweier im bisherigen Leben unbekannter Wesen. Die Museumsdame ist ergriffen. Uns stehen Tränen in den Augen. Die Kette aus kleinen flachen Perlen, unterbreche ich die Situation, um ihren Hals ist schön. Sie sagt, woher sie stammt und, um was zu sagen, dass sie über siebzig Jahre alt ist, wie viele Jahre über die Siebzig verrät sie nicht. Ich denke, nicht jünger und älter als meine Mutter an Jahren. Dann fasst sie neuen Mut, will das Thema abschließen, sagt: Sie werden es nicht glauben aber vor Tagen habe ich am Morgen gedacht was aus den Kindern und dieser armen Frau mit den Kindern so geworden sein mag ist schon verwunderlich wie einem das Leben zuspielt gibt ja keine Zufälle hat mein Mann immer gesagt weil alles hat mit allem zu schaffen eins geht ins andere über und alles wechselt mit jedem ein jedes was aus dem großen Pott entsteht und wächst und zerfällt so will ich meinen Mann zitieren und zum Ende weiß kein Mensch wie er in Verbindung ist zu einem anderen Menschen nebenan und weit weg in Afrika der Mongolei wo alles im Fließen begriffen ist und man ein wenig mehr ein wenig heftiger an der Sache kratzen braucht schon kommt was zum Vorschein oder nicht?
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