«Wie geht’s deinem Jungen?«fragte Clarens den Oberarzt aus der Gynäkologie. Christian war feuerrot geworden.
«Matthias? Der ist jetzt bei der Fahne, Nachrichtentruppe. Müssen den ganzen Tag Strippen ziehen und durchs Gelände rennen. Aber was er mal machen will, weiß er noch nicht. ›Ruhig bleiben, Papa …‹ ist das, was ich von ihm immer zu hören kriege, wenn ich mir mal eine Frage, eine Andeutung gestatte. Mal will er Bühnentechniker werden, dann Rundfunkmoderator, dann Förster … Gesine und ich dachten schon, das sei nun mal was Festes, der Förster, nachdem er sich letztes Jahr an der Forstakademie in Tharandt beworben hatte; aber er hat die Bewerbung zurückgezogen. Was als nächstes kommt — tja. Er weiß nur, was er nicht will: Medizin studieren. ›Ich will nicht so wie du im Allerheiligsten ’rumfummeln, Papa‹ — das sagt einem der Bengel ins Gesicht und feixt.«
Dieses Lachen war etwas, das Christian irritierte.
«Komm, Manfred, laß dir’s schmecken auf den Schreck! Hier, diese herrlichen gefüllten Paprika …«Clarens sah Weniger über die Brille hinweg an.»Sag’ mal, was ich dich fragen wollte — du kennst doch den Chef von dieser Autowerkstatt da in Striesen, diesen Mätzold oder wie der heißt …«
«Pätzold. Ja. Was ist mit dem?«
«Du hast doch bei seiner Tochter letztes Jahr die Interruptio gemacht …«Clarens beugte sich zu Weniger hinüber und murmelte ihm etwas zu. Was Christian davon verstand, hörte sich nach» Hohlraumkonservierung «und» Karkasse «an, aber vielleicht hatte er sich bei diesem Wort auch verhört, und es mußte in Wirklichkeit» Barkasse «heißen; aber, überlegte er, was hat ein Schiff mit einem Moskwitsch zu tun?
«— Montagsproduktion, kann ich dir sagen. Vorn, wo der Beifahrer die Füße hinsetzt, fängt’s schon an durchzurosten. Sag’ ich zu meiner Frau: Wenn das mal nachgibt, kannst du aber einen Sprint hinlegen … Und die Bremsen weich wie Butter. Möchte mal wissen, wie das die Russen machen. Aber wahrscheinlich passiert dort nichts, weil bloß fünf Autos auf den Straßen fahren, oder sie kümmern sich eben nicht darum … Die Panzerungen ihrer Wolgas sind ja entsprechend. Oh, das hier sieht aber gut aus, davon nehme ich mir mal was … Also, Manfred, könntest du nicht bei diesem Pätzold was einfädeln …? Weißt du, bei mir ist doch dieser Abteilungsleiter vom VEB Vliestextilien in Behandlung. Ist völlig fertig von den Planvorgaben, sagt er. Hab’ ihm eine Kur verschafft in Bad Gottleuba, und ihm plausibel gemacht, daß eine Psychiatrische Klinik irrsinnig viel Verbandsmaterial braucht … Irrsinnig viel. Wie eine Gynäkologische Klinik. Ich nehme an, ich müßte sozusagen einen Überweisungsschein an dich schreiben für diesen, äh, Patienten?«
Weniger wölbte mit der Zunge nachdenklich die Wange aus.»Ich rufe am Montag mal bei Pätzold an. Versprechen kann ich dir aber nichts. Es gibt da nämlich ein Problem — er hat seine Tochter verstoßen, als er erfahren hat, von wem das Kind war. Vom Sohn irgendeines Heinis von der Bezirksleitung nämlich. Und die hat der Pätzold gefressen, sag’ ich euch. Der Sohn war übrigens auch in der Klinik. Immer dasselbe. Erst saufen, dann höhere Mathematik treiben und morgens die Wurzel aus ’ner Unbekannten ziehen, und dann beim Schwangerschaftstest vor Muffensausen in die bewährten Arme von Schwester Erika kippen … Christian, das hast du alles nicht gehört.«
Die Schlange rückte langsam vorwärts. Am anderen Ende des Büfetts stand Adeling und schenkte klare Brühe aus, die es zu Fleischklößchen gab; den linken Arm hatte er auf den Rücken gelegt, in der weißbehandschuhten Rechten hielt er die Kelle, verbeugte sich jedesmal vor dem Einschenken und schloß dabei lächelnd und mit bebenden Nasenflügeln, in grundsätzlichem Einverständnis mit den Wünschen des Gastes, kurz die Augen. Weniger beugte sich mit verschwörerischem Gesichtsausdruck zu Clarens und Richard.»Da wir gerade bei Bezirksleitung sind — kennt ihr den? Sagt der Lehrer: Bildet einen Satz mit den beiden Substantiven Partei und Frieden! Fritzchen meldet sich: Mein Vater sagt immer: Laß mich mit der Partei in Frieden.«»Hahaha, sehr gut. Aber gestern hat mir Schwester Elfriede einen tollen erzählt: Unterhaltung am Zeitungskiosk. Warum kostet die ›Prawda‹ nur zehn Pfennige, das ›Neue Deutschland‹ aber fünfzehn? — Kann ich Ihnen erklären, sagt die Verkäuferin, beim ›Neuen Deutschland‹ kommen noch fünf Pfennig Übersetzungskosten dazu!«
«Na!«Weniger schlug Richard mit seiner Schaufelhand auf die Schulter.»Herrn Kohler solltest du das nicht erzählen.«
«Ein idealistischer Intrigant«, erwiderte Richard.»Und als Arzt nicht mal schlecht.«
«Am schlimmsten sind die, die daran glauben, woran sie glauben. Und genügend Energie für die Zweifler aufbringen. «Weniger stieß den Daumen schräg nach oben.»Zweifellos habt ihr gelacht.«
«Wernstein ist die Kornzange aufgegangen, in der er den Bausch zum Desinfizieren hatte … Aber ich hab’ noch einen. Der Generalsekretär steht an der Mole in Rostock und sieht beim Beladen der Schiffe zu. Fragt die Seeleute: Wo fahrt ihr hin? — Nach Kuba. — Was bringt ihr hin? — Maschinen und Fahrzeuge. — Womit kommt ihr zurück? — Mit Apfelsinen. Fragt die Seeleute eines zweiten Schiffes: Wo fahrt ihr hin? — Nach Angola. — Was bringt ihr hin? — Maschinen und Fahrzeuge. — Womit kommt ihr zurück? — Mit Bananen. Und die eines dritten Schiffes: Wo fahrt ihr hin? — In die Sowjetunion. — Was bringt ihr hin? — Apfelsinen und Bananen. — Womit kommt ihr zurück? — Mit dem Zug.«
Clarens wisperte:»Anfrage an Sender Jerewan: Zum sechzigsten Geburtstag der Oktoberrevolution soll eine neue Geschichte der KPdSU erschienen sein? — Antwort: Ja, sogar illustriert! Mit Radierungen von Breshnew!«
«Der ist gut! Den könnten wir mal ans Schwarze Brett beim Parteisekretär hängen!«
«Ich weiß auch einen. «Christian, der sich seinen Teller mit Obst, knusprig gebratenen Beef- und Lendensteaks, Brot und Reis vollgeladen hatte, mischte sich mit heißer Haut ins Gespräch.»Breshnew besucht die USA. Am Morgen des zweiten Besuchstages wird er von Präsident Ford gefragt, was er denn geträumt habe. — Ich habe vom Capitol in Washington geträumt, auf dem Dach wehte eine rote Fahne! — Merkwürdig, sagt Ford, ich habe vom Kreml-Palast geträumt, und auf dem wehte auch eine rote Fahne! Breshnew lächelt überlegen. — Die können Sie doch dort immer sehen! — Ja, aber auf der Fahne stand noch irgend etwas geschrieben. — Was denn? — Das weiß ich nicht, ich kann kein Chinesisch!«
«Achtung«, warnte Clarens. Müller kam, süßsäuerlich lächelnd, in der Linken einen Teller mit Schaschlikspießen und Pfirsichen.»Was gibt es denn, meine Herren? Darf man mitlachen?«
«Wir haben uns gerade einen neuen Witz erzählt, Herr Professor«, sagte Weniger in herausforderndem Ton. Müller hob die Brauen.
«Auf dem Alexanderplatz in Berlin wurde ein Bananenautomat aufgestellt. Steckt man oben eine Banane hinein, kommt unten ein Markstück heraus.«
Müller spitzte die Lippen.»Hm, ja. Nun, ich glaube doch, daß das eher kein so besonders guter Witz ist, meine Herren. «Müllers Mund wurde schmal, die Augen verengten sich.»Gewisse Kreise würde es freuen, wenn sie wüßten, daß es ihnen gelungen ist, so weit vorzudringen … Und ich bedaure das um so mehr, als ich gerade auf Ihrem Teller, Herr Weniger, eine Banane sehe …«Müllers Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.»Wir haben Verantwortung, meine Herren, und es ist leicht, sich an billigen Spöttereien über unser Land zu beteiligen … Aber es ändert nichts, wissen Sie, es ändert nichts … Und gerade Sie, meine Herren«, er schüttelte mißbilligend den Kopf,»— wir, wir sollten uns unserer Stellung bewußt sein. Ob mit oder ohne Bananen … Und vor allem sollten wir«, er sagte»ßollten«, sprach leise und gedehnt, mit noch immer leicht schräggeneigtem Kopf,»die Spötteleien über einen großen Toten unterlassen, den unser Brudervolk verloren hat, meinen Sie nicht auch, Herr Kollege?«Weniger schluckte und sah beiseite.»Natürlich, Herr Professor.«
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