Zu einem Geburtstag hatte Helen ihm Guy de Rothschilds von ihm selbst verfaßte Lebensbeschreibung geschenkt. Sie hatte das Buch nicht gelesen, der Titel genügte ihr: Geld ist nicht alles . Wenn man’s hat, sagte Karl. Wenn du das Echo einer Trivialität wirst, bist du nichts als diese Trivialität. Aber dann sagte er noch: Wenn man’s hat und vermehrt es nicht, wird es weniger. Also gibt es jenseits aller sonstigen Begründungen einen Zwang zur Geldvermehrung. Es sei denn, man sei einverstanden, systematisch beraubt zu werden.
Jedesmal wenn Helen Erewein vom Stigma der Erfolglosigkeit gezeichnet sah, fühlte sich Karl mitgemeint, wagte aber nicht, das zu gestehen. Seine Erfolglosigkeit war eine andere als die Ereweins. Helen hatte dem groben Fortpflanzungswillen des Schlösserverwalters tapfer widerstanden. Zuerst hatte die von Thea Bauridel betreute Doktorarbeit die Dauerausrede geliefert. Dann der Aufbau der Eheberatungspraxis in der Ottostraße. Nachträglich war sie nicht mehr sicher, ob das nur Ausreden waren. Sie wollte den Titel und sie wollte die Praxis. Und sie wollte ein Kind. Diesen Wunsch schob sie auf. Dem Schlösserverwalter gegenüber sei es ihr leichtgefallen, diesen Wunsch aufzuschieben. Als sie mit Karl von Kahn im Hotel am Schloßgarten in Stuttgart im Zimmer 712 die Türe verschlossen hatte, drehte sie sich um und sagte: Ich will ein Kind von dir. Und er sagte: Ich fühle mich geehrt. Wann immer Helen diesen Satz sagte, er führte ins Bett. Entweder gleich oder sobald es eben ging. Aber — und das war sein Stigma der Erfolglosigkeit — Helen wurde nicht schwanger. Helen konnte ihren Satz nie ohne Zuversicht sagen, und Karl nahm diesen Zuversichtston jedesmal auf. Die Formel drückte inzwischen aus: Ich liebe dich. Und das ohne jedes trotzdem. Und Karls Antwortsatz signalisierte: Das grenzt an Glück.
Jetzt mußte er aufstehen und sich unter der Dachschräge auf den Racket Chair setzen. Den hat Helge Vestergaard Jensen 1955 geschaffen, und Diego hatte ihn aus Maastricht mitgebracht. Ein Sitzkunstwerk, das die zwei vorderen Beine in sanftester Rundung an der Sitzfläche vorbeiführt und oben den genauso sanften Bogen der Rückenlehne ergibt. Die Fläche der Lehne ist eine Tennisschlägerbespannung, und in die ist ein überdimensionaler weißer Kreis eingearbeitet: der Ball. Das war eine Diego-Reliquie, erinnernd an die Zeit der Zugewandtheit. Karl nahm fast feierlich Platz auf dem Racket Chair .
Er ließ jetzt zu, was jetzt zu denken war. Diego hat den Trautmann Titan- Verkauf abgemacht gehabt, bevor er Karl verständigt hat. Er hat gewußt, Karl wird unterschreiben. Das Krankenhaus-Theater war Gundis Idee. Diego hat sicher gesagt: Nötig ist es nicht, Karl unterschreibt, aber wenn du meinst, bitte. Und daß es Gundis Einfall war, zeigte ihr Satz und ist darüber so erschrocken, daß er sofort gekotzt hat .
Diego hatte in den seltener werdenden Telefongesprächen der letzten Jahre die allgemeine Kaufunlust nicht verschwiegen oder beschönigt, aber es gab keine Erwähnung eines Krisendetails, das er nicht mit einem Fortissimo des Gegentons beantwortet hätte. Alles, was der Branche gefährlich werden konnte, produzierte in ihm Einfälle, Handlungslust und eine Art Risikoleidenschaft. Der Umzug von der Theresienstraße in die Brienner, das war Diegos Antwort auf die Kaufträgheit des Publikums und aller Kuratoren. Da war er kein bißchen anders als Karl. Angstblüte heißt’s bei den Bäumen. Du kannst dem Erfolg nicht gestatten, daß er sich von dir verabschiedet. Du kannst nämlich nicht leben ohne den Erfolg. Das sich einzugestehen heißt, den Erfolg zu zwingen, bei dir zu bleiben. Würde der Erfolg sich von dir trennen, er käme nie mehr zurück. Er fände dich nicht mehr. Weil es dich nicht mehr gäbe. Ohne dich wäre dein Erfolg verwaist.
Diegos Bilder und Porzellane waren so schön, wie sie gewesen waren, als die Sammler in Maastricht, Paris, Basel und Stuttgart sich noch um seinen Stand gedrängt hatten. Den Journalisten war Diego Trautmann, dessen immer pralle Sätze sie vorher so gern zitiert hatten, kaum noch erwähnenswert. Jetzt meldeten sie aus Maastricht lieber den Verkauf eines Rosenkranzes aus Schlangenwirbeln, gekauft vom Diözesan-Museum Köln. Sie konnten eben melden, was sie wollten. Sie hatten das Sagen.
Die Banken dürften ihm den Rest gegeben haben.
Es herrschte Glattstellung vor. Die ohnehin erloschene Freundschaft mußte verkauft werden für neunzehn Millionen. Karl hätte die Firma, wenn Diego ihn gefragt hätte, Adidas angeboten, weil Adidas gerade Salomon einverleibt hatte, da hätten die Titan-Schläger besser in die Palette gepaßt. Ach, laß es. Diego hat getan, was längst fällig war. Gundi hat ihren Mann ganz zur kulturellen Fraktion bekehrt, da gehört er hin. Und Karl gehört genau da nicht hin. Das kann er schmerzfrei konstatieren. Nichts schlimmer als Rücksichten, die keinen Grund als Rücksichten haben. Wie verzweifelt muß Diego gewesen sein, daß er so handeln konnte. So kann man nur einen Freund hereinlegen. Das ist die Kehrseite der Freundschaft, jedem anderen gegenüber wäre das Betrug. Diego weiß, daß Karl ihn nicht belangen wird. Er weiß, daß Karl weiß, daß Diego so nicht ohne Not gehandelt hat. Diego hat auch in diesen Krisenzeiten nie aufgehört, Karl zu beschenken. Die Freundschaft wurde zwar immer seltener praktiziert, aber Diego blieb der Geber, der er war, sobald er sich zum Antiquitäten-König gemacht hatte. Er ließ keinen Tag aus auf dem Geschenkkalender und ließ zu jedem Tag Erstaunliches und Überraschendes überbringen. Er kam nicht mehr selber. Aber die demonstrierte Aufmerksamkeit ließ er sich von keinem Ruin verbieten. Jetzt also ein Schlußstrich, der alles beendete. Danach ist nichts mehr möglich. Es waren einmal zwei Freunde, die wußten vor lauter Einhelligkeit nicht, wie sehr sie befreundet waren. Sie dachten keine Sekunde lang daran, ihre Freundschaft zu messen, zu wägen, zu vergleichen. Sie waren maßlos befreundet. Sie mußten ihre Freundschaft nie bezeichnen. Ihre Freundschaft war das Selbstverständliche. Das Fraglose. Karl schubste dem Freund die Firma hin. Da, nimm du sie, du kannst das besser als ich: das eigene Produkt verkaufen. Dann die atemraubenden Reisejahre. Angeblich nur, um auf den Tennisplätzen der Welt die Spieler zu finden für Trautmann Titan . In Wirklichkeit mußten die Freunde reisen, weil sie reisend viel mehr Berührungen erlebten, als wenn der eine in Schwabing und der andere in der Menterschwaige saß. Dann aber auf einmal des einen Freundes Mehralserfolg, der bewirkt, wogegen keiner gefeit ist, die Levitation. Jeff Stamp kaufte das Château Marmoutier-le-Rideau am Cher, dem lieblichen Nebenfluß der Loire. Chenonceau ist berühmter, aber Marmoutier-le-Rideau ist intimer — schöner — raffinierter. Die Adelsfamilie Fénelon, die das Schloß 1745 bis 50 erbauen ließ und dann immer dort wohnte, war am Ende. Finanziell. Und Jeff Stamp war nach zweiundzwanzig Jahren Kinderserienstar-Leben auch am Ende. Aber nicht finanziell. Er zählte zu Hollywoods Reichsten. Zum Glück hatte die Adelsfamilie das Inventar schon extra verkauft. Jeff Stamp kaufte ein leeres Schloß. Das war Diegos Stunde. Er hatte aus Santa Monica gehört, von seiner Erzkundin Luciana Herris, die er von Warhol zu Klee entwickelt hatte, gehört von dem Schloßkauf des Kinderserienstars, war rechtzeitig zur Stelle und befreite den eher depressiven als nur melancholischen Kinderserienstar von allen Geschmackssorgen. Ein halbes Jahr residierte Diego in Orléans und kaufte, was Schloß Marmoutier-le-Rideau brauchte, um einen verdrossenen Kinderserienstar noch einmal aufzuhellen. Das gelang. Jeff Stamp konnte jetzt an der Tafel tafeln, an der einmal Heinrich III. seine Gelage zelebriert hatte, deren Reiz darin bestand, daß er nur als anständig bekannte Damen einlud, die er nötigte, an seiner Tafel halbnackt zu erscheinen. Von den Tellern, von denen gegessen wurde, hat Madame de Staël Brochet rôti gegessen. Die Porzellandose, aus der Zigarren angeboten wurden, hatte Balzac in seinen Händen gehabt. Ein Bett, in dem Madame de Pompadour geschlafen hatte. Zurück in Paris, hatte sie gesagt, in diesem Bett habe sie die zweitschönste Nacht ihres Lebens verbracht. Diego konnte die Briefstelle dieser Rühmung zitieren.
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