Es war eine Hochzeit großen Stils, die Räumlichkeiten des Gasthofs wurden fast, wenn auch nicht ganz bis zum äußersten ausgenützt, und es ging für die Ozark Mountains erstaunlich vornehm zu. Die Verwandten beider Familien waren aus Chicago, New York, Massachusetts, Florida, Ohio und zwei Städten in Wisconsin gekommen. Von Morts Freunden war keiner erschienen, wohl aber vier Studienkolleginnen von Deborah, unter ihnen Leslie Rawlings, die den Bräutigam führen sollte.
Vor der Trauung saß Michael fast eine Stunde lang mit Mort und dessen jüngerem Bruder, der als Brautführer figurierte, in einem der Schlafzimmer im Oberstock. Die beiden Brüder waren sehr aufgeregt und stärkten sich pausenlos aus einer Flasche, die Michael beim Verlassen des Zimmers schließlich mit sich nahm. Er stand an der Stiege und überlegte gerade, wo er den Scotch verwahren könnte. Unten in dem großen Raum hatten sich schon die Gäste versammelt, Herren in weißen Jacketts und Damen in festlichen Kleidern, die Diors New Look gehorchten. Von oben betrachtet, sahen die Frauen mit ihren langen Handschuhen, den duftigen Hüten und pastellfarbenen Seidenkleidern eher wie Blumen aus -
selbst die dicken. Unmöglich konnte Michael mit einer Schnapsflasche in der Hand mitten unter sie treten. Er deponierte den Scotch schließlich im Oberstock in einem Abstellraum, zwischen einem Staubsauger und einer großen Dose voll Bodenwachs.
Während der Zeremonie ging dann alles wie am Schnürchen. Mort war nüchtern und ernst. Deborahs weißer Schleier, gekrönt von einem heiligenscheinartigen Kranz weißer Blüten, löste die üblichen Rufe des Entzückens aus, als sie, von ihrem Vater geführt, eintrat.
Die Augen hinter dem Schleier waren ernst und sanft, und nur der gespannte Griff, mit dem sie das Gebetbuch umklammerte, strafte ihr gelassenes Aussehen Lügen.
Als alles vorüber war und Michael jedermann beglückwünscht hatte, entdeckte er, nach einem Glas Champagner greifend, daß Leslie Rawlings ihn über den Rand ihres Glases hinweg fixierte.
Sie trank und lächelte ihm zu. »Sie können einen wirklich beeindrucken!«
»War es in Ordnung?« fragte er. »Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, wenn Sie's nicht weitersagen. Das war die erste Trauung, die ich allein vollzogen habe.«
»Gratuliere. « Sie streckte ihm die Hand hin, und er schüttelte sie.
»Wirklich großartig. Mir ist es heiß und kalt über den Rücken gelaufen.«
Der Champagner, trocken und sehr kalt, war genau das, was Michael jetzt nach der Zeremonie haben wollte.
»Ihnen muß man gratulieren! « fiel ihm plötzlich ein. »Sie und Deborah haben doch im Juni promoviert, nicht wahr?«
»Ja, ja«, sagte sie. »Und ich hab einen Posten. Nach Labor Day fange ich in der Research-Abteilung von Newsweek an. Ich bin sehr aufgeregt und habe ein bißchen Angst.«
»Denken Sie nur immer daran: bis zehn zählen und dann den Haken einrasten lassen.« Sie lachten beide. Ihr Kleid und die Accessoires waren kornblumenfarbig wie ihre Augen. Die Brautjungfern - drei Mädchen aus Wellesley und eine Cousine Deborahs aus Winnetka -
trugen Rosa. Blau machte ihr bronzefarbenes Haar blonder, stellte er fest. »Blau gefällt mir an Ihnen. Aber Sie sind schlanker geworden.«
Sie versuchte gar nicht, ihre Genugtuung zu verbergen. »Bin ich froh, daß es Ihnen auffällt! Ich habe Diät gehalten.«
»Treiben Sie keinen Unsinn. Sie gehen zu Newsweek, nicht zu Vogue.
Außerdem haben Sie auch vorher ausgezeichnet ausgesehen.« Er griff nach ihrem leeren Glas und kam bald mit zwei vollen Gläsern wieder. »Ich freue mich auf November. Drei Wochen Urlaub! Dann komme ich auch nach New York. Ich kann es kaum mehr erwarten.«
»Ich weiß noch nicht, wo ich wohnen werde. Aber wenn Sie sich langweilen, rufen Sie mich in der Redaktion an. Ich nehm Sie mit zum Fischen.«
»Okay«, sagte er.
Rabbi Sher war zufrieden. »Sehr zufrieden«, wiederholte er. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß Ihre Rundreisen sich bewährt haben. Vielleicht können wir nach dieser Erfahrung andere Rabbiner auch in andere abgelegene Gebiete schicken.«
»Ich hätte als nächstes gern ein bißchen Dschungel«, sagte Michael.
»Etwas mit Sümpfen und viel Malaria.«
Rabbi Sher lachte, aber er sah Michael scharf an. »Müde?« fragte er.
»Wollen Sie's jetzt einen andern versuchen lassen?«
»Ich habe zwei Schüler, die demnächst bar-mizwe werden. Ich kenne mich nun aus in den Bergen. Ich bereite für nächste Ostern einen gemeinsamen ssejder in Mineral Springs vor, an dem ungefähr vierzig Familien teilnehmen werden.«
»Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, nein.«
»Noch nicht.«
»Gut. Nur denken Sie daran, daß ich das nie als Ihre Lebensaufgabe betrachtet habe. In ganz Amerika und auch außerhalb werden Rabbiner gesucht. Wenn Sie vom Pionierdasein genug haben, lassen Sie's mich wissen.«
Beim Abschied waren sie beide zufrieden.
New York, New York. Es war etwas schmutziger, aber viel aufregender, als er es in Erinnerung gehabt hatte. Der gehetzte Rhythmus von Manhattan; das achtlose Gedränge auf den Gehsteigen; der herausfordernde Reiz der smarten Frauen auf der Fifth Avenue und Upper Madison; der Hochmut eines weißen Französischen Pudels, der sich in einem Rinnstein an der 57th Street nahe dem Central Park hinhockt, um seine Notdurft zu verrichten, während der Hauswart, ein grauhaariger Neger, ein Stäubchen von seinen Manschetten schnippt, die Leine locker läßt und nach der anderen Seite sieht - all dies erschien Michael jetzt neu, obwohl er es sein Leben lang gekannt und sich nichts dabei gedacht hatte.
Am ersten Tag, nach dem Gespräch mit Rabbi Sher, ging er lange spazieren und fuhr dann mit der Untergrundbahn zurück nach Queens.
»Iß«, sagte seine Mutter.
Er versuchte ihr zu erklären, daß er gut verköstigt worden war, aber sie war überzeugt, daß er log, um sie zu schonen.
»Wie findest du die Kinder?« fragte sein Vater.
Ruthies Sohn war sieben Jahre alt. Er hieß Moshe. Chaneh, das Mädchen, war vier. Die Großeltern waren im Vorjahr für zwei Monate bei ihnen zu Besuch gewesen, trotz Araberüberfällen und britischer Blockade, die sie auf Grund ihrer amerikanischen Pässe durchbrochen hatten. Sie hatten einen ganzen Koffer voll Aufnahmen von zwei kleinen sonngebräunten Fremden für Michael.
»Stell dir nur vor«, sagte seine Mutter, »so klein, und schon ganz allein, weit weg von Vater und Mutter, schlafen müssen. In einem eigenen Haus, nur mit anderen pützeles. Zustände sind das!« »Lauter Sozialisten, der ganze kibbuz«, sagte sein Vater. »Und die Araber draußen sehen dich an, als wollten sie dich abstechen. Kannst du dir deine Schwester als Lastwagenfahrerin denken, mit dem Schießeisen am Beifahrersitz?«
»Es ist ein Bus für die Kinder«, sagte seine Mutter.
»Ein Lastwagen mit eingebauten Sitzen«, sagte der Vater. »Ich bin froh, Republikaner in Amerika zu sein. Und diese britischen Soldaten, die überall ihre Nase hineinstecken. Und nichts zu fressen. Weißt du, daß es nicht möglich ist, auch nur ein Dutzend Eier zu kaufen?«
»Iß doch«, drängte die Mutter.
Am dritten Abend ließ er alle die Mädchen, die er gekannt hatte, in Gedanken an sich vorüberziehen. Soviel er wußte, waren nur zwei von ihnen noch ledig. Die eine rief er an - auch sie war verheiratet. Die Mutter der anderen teilte ihm mit, daß ihre Tochter sich an der University of California auf ihr Doktorat in klinischer Psychologie vorbereitete. »An der Universität von Los Angeles«, betonte sie. »Wenn Sie an die andere schreiben, erhält sie die Post nicht.« Er rief Maury Silverstein an, der nun in Greenwich Village eine eigene Wohnung gemietet hatte. Maury hatte an Queens College Chemie fertig studiert, war aber gleich nach seiner Rückkehr von der Marine zu einer der größten Fernsehgesellschaften gegangen. »Hör zu, in einer Dreiviertelstunde geht's ab nach Kalifornien«, sagte er. »Ich bin aber schon nächste Woche zurück. Dann müssen wir uns treffen. Am Donnerstag gebe ich in meiner Wohnung eine Party. Du bist eingeladen. Ein Haufen interessanter Leute, du mußt sie kennenlernen.«
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