Ach ja, meine Psychotherapeutin hat gemeint, ich könnte dir eventuell noch die Information mit auf die Reise geben, dass ich mich freue, wenn du wieder zurückkommst, ich meine, nach den zwei Wochen. Sie hat gemeint, ich könne ruhig zugeben, dass ich in gewisser Weise auf deine Rückkehr warte, weil ich es irgendwie so, so, so — irgendwie schön finde, dass du da bist, wenn du wieder da bist, sehr schön. Verstehst du? Und probiere es mit Reiswaffeln, nicht mit Bananen. Bananen helfen überhaupt nicht. Bananen sind die größte Lüge in der Geschichte der Durchfallerkrankung. Mach's gut, mein Lieber!
Fünf Minuten später
AW:
Und viertens?
Zwei Minuten später
RE:
Ach ja, viertens!
4) Wenn du wieder zurückkommst, treffen wir uns dann einmal zu viert? Fiona möchte dich kennenlernen. Jonas hat ihr erzählt, du seiest so der Typ Kevin Spacey, nur ohne Haare. Fiona liebt Kevin Spacey, selbst ohne Haare, obwohl die meiner Meinung nach noch zu den interessanteren Gesichtsmerkmalen von ihm zählen. Aber ich glaube, Jonas verwechselt Spacey ohnehin mit diesem Spießerfamilien-Schauspieler, den mit dem lang gezogenen Gesicht, wie heißt der? Egal. Leo, treffen wir uns bald wieder? Sag ja!
Eine Minute später
Betreff: SAG JA!
Siehe Betreff und tu es!
50 Sekunden später
AW:
Ja! Ja! Ja! Verzeihung, ich war gerade auf der Toilette. Und der nächste Satz darf nicht zu lang werden, sonst werde ich ihn in der Mitte abbrechen müssen. Bis bald, meine Liebe!
Acht Tage später
Betreff: Daheim bist »du«
Liebe Emmi, Boston hat mich seit einer Woche fest im Griff. Wenn die Stadt einen einmal gepackt hat, dann lässt sie nicht mehr locker. Pamela kennt hier in unserer Wohnumgebung jede fünfte Familie, und jede zweite davon lädt uns zum Essen ein. Das heißt: Wir essen ungefähr achtmal täglich bei irgendwelchen Bekannten. Und da sind die Verwandtenbesuche noch gar nicht eingerechnet. Das mag für dich jetzt fürchterlich spießig klingen. Aber es geht mir gut dabei, die Freundlichkeit dieser Menschen steckt mich an, ich sehe von früh bis spät offene, lachende, strahlende Gesichter. Das strahlt auf mich zurück. Du weißt, ich hab ja einen etwas eigentümlichen Zugang zum Glück. Es erschließt sich bei mir zumeist von außen und kommt selten aus meinem Inneren. Selten, aber doch. Emmi, es ist schön, an dich zu denken! Ich muss diesem Satz noch mehr Gewicht geben: EMMI, ES IST SCHÖN, AN DICH ZU DENKEN! Ich hatte wahnsinnige Angst vor einer Renaissance meiner schmerzlichen alten Bostoner Zuflucht- und Schlupfwinkel-Gefühle. Ich danke dir so sehr, dass du die Hintertür, durch die ich unser »Uns« damals verlassen habe, nicht zugeriegelt hast. Nun kann ich selbst aus so großer Entfernung ohne Herzensstiche »zu Hause« sein: Daheim ist, wo du bist, Emmi. Ich freue mich, dir räumlich bald wieder näher zu sein. Ich freue mich auf unser nächstes Treffen. Nimm ruhig ein paar deiner pubertierenden Überraschungskinder mit. Und irgendwann einmal verrate ich dir etwas über: dich und »es« und mich. So, und jetzt sind wir bei Pamelas Uni-Freundin Maggy Wellington zum »Dinner« eingeladen. Bis bald, dein Schreibfreund Leo.
Vier Tage später
Betreff: Angekommen?
Liebe Emmi, ich hab dir vor ein paar Tagen hier aus Boston eine E-Mail geschickt. Ich weiß nicht, ob du sie erhalten hast, bei mir ist eine Fehlermeldung eingegangen. Ich fasse den Inhalt in zwei Sätzen zusammen: 1.) Mir geht es gut, aber/und du fehlst mir! 2.) Ich freue mich auf unser nächstes Treffen! Bis bald, dein Schreibfreund Leo.
Drei Tage später
Betreff: Angekommen?
Hallo Leo, bist du gelandet? Hat dich das heimische Top 15 wieder? Danke für die liebe US-Post! Ich fasse deine beiden Ostküsten-Mails geografisch wie folgt zusammen. 1.) Daheim ist, wo deine Schreibfreundin Emmi ist. 2.) Boston ist, wo die Gesichter strahlen und wo du »Pam« von innen (und dich dabei gleichzeitig von außen) glücklich machen kannst. Frage: Weißt du schon, wo du hingehörst? Und ab wann? Herzlichst, Emmi.
Und, ja: Verrate mir etwas über »dich und >es< und mich«!
Am nächsten Vormittag
Betreff: Hängengeblieben?
Oder bist du gleich in Boston geblieben?
Sieben Stunden später
Kein Betreff
Liebe Emmi, ich habe gestern einen folgeschweren Fehler begangen. Ich habe Pamela von dir erzählt. Ich melde mich wieder, wenn es möglich ist. Bitte warte nicht! Alles Liebe, Leo.
Zehn Minuten später
RE:
Ach, Leo!!! Warum musst du die vernünftigen Dinge immer zum unvernünftigsten aller Zeitpunkte machen? Okay, ich warte nicht. Alles Liebe, Emmi.
Einen Tag später
Kein Betreff
Nein, ich warte nicht.
Einen Tag später
Kein Betreff
Wie gesagt, ich warte nicht.
Einen Tag später
Kein Betreff
Ich warte nicht, ich warte nicht.
Einen Tag später
Kein Betreff
Ich warte nicht, ich warte nicht, ich warte nicht.
Einen Tag später
Kein Betreff
Ich warte nicht, ich warte nicht, ich warte nicht, ich warte nicht.
Einen Tag später
Betreff: Aus!
Ich habe es satt, nicht zu warten! Ich warte!
Sechs Stunden später
Betreff: Leeeo?
Willst du mir nicht mehr schreiben oder kannst du mir nicht mehr schreiben oder darfst du mir nicht mehr schreiben? Was hast du ihr von mir erzählt? WAS? WAS? WAS? Leo, wenn du dein Glück auch nur ein bisschen über mein Glück definierst, dann wirst du es ohnehin spüren: Du machst mich gerade todunglücklich. Bitte bediene die Schalthebel. Höre endlich auf, um den heißen Brei zu schweigen! Sehr verbittert, Emmi.
Eine Stunde später
Betreff: Steuerberater!
Leo, du zwingst mich dazu: Ich zähle bis zehn, dann rufe ich meinen Steuerberater an und fixiere für morgen einen Termin. Du weißt, was das bedeutet. Und ich spreche perfektes American English, wenn es gilt, persönliche Dinge aufzuklären. Eins. Zwei. Drei. (…)
Am nächsten Morgen
Betreff: Ultimatum
Hallo Leo, meine Psychotherapeutin meint, ich sollte dir noch eine letzte E-Mail schreiben, ich sollte dir sagen, dass es wirklich die letzte E-Mail ist, wenn du mir nicht bald — sogar eher sofort als bald — antwortest, und es sollte dann auch tatsächlich die letzte E-Mail sein. Dafür verbürge ich mich! Sie meint ferner, ich sollte dir vorschlagen, dass wir uns treffen und über alles reden. Und ich sollte unbedingt dazusagen, dass ich definitiv nicht will, dass »Pam« von diesem Treffen weiß oder im Nachhinein erfährt, denn das sei eine Sache zwischen uns beiden und zwischen sonst gar niemandem. Hat sich meine Therapeutin jetzt klar genug ausgedrückt? In Erwartung deiner unmittelbar bevorstehenden Antwort, Emmi.
Drei Stunden später
AW:
Liebe Emmi, bitte gib mir noch Zeit. Sie ist komplett verunsichert und zieht sich in ihr Schneckenhaus zurück. Es muss mir gelingen, ihr Vertrauen zurückzugewinnen und mit ihr eine Gesprächsbasis aufzubauen. Deine Psychotherapeutin wird mir sicher Recht geben, dass ich zuerst mit ihr ins Reine kommen sollte, bevor wir beide, du und ich, einander begegnen. Mein Konflikt mit Pamela ist noch nicht ausgetragen, vielleicht ist er noch nicht einmal so richtig ausgebrochen. Sie muss endlich reden, sie muss es rauslassen, sie muss mir ins Gesicht sagen, was es ist, das sie so ungeheuerlich kränkt, worunter sie leidet, was sie mir vorzuwerfen hat. Ich stehe vor einem finsteren Gang, den ich mit ihr zu beschreiten habe. Du kannst da nicht mit, du musst draußen im Freien bleiben. Aber wenn ich durch bin, werde ich dir alles erzählen, alles was dich und mich betrifft. Versprochen! Liebe Emmi, bitte hab Geduld und geh mir nicht verloren! Ich fühle mich elend wie schon lange nicht.
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